Montag, 21. Dezember 2015

Des Drärchens unnötige Fortsetzung, Teil III

3.  Akt, 2. Szene
Wenig später vor der königlichen Bühne. Es dämmert bereits. Einige Fackeln wurden angezündet. Die Dorfbewohner haben sich reichlich mit Snacks und Getränken versorgt und johlen auf der einen Hälfte der Zuschauerränge, während der Hofstaat auf der anderen Seite still auf seine Linie achtet und sich damit begnügt, dem Pöbel spitze Blicke zuzuwerfen und ab und an in Ohnmacht zu fallen. Gelegentlich sieht man ein Gesicht durch den Vorhang auf der Bühne spähen, entsetzt die Augen aufreißen und sich hastig wieder hinter dem Stoff verstecken. Hinter den Zuschauern sitzen Gustavo und der Handlanger im ersten Stock des Schlosses auf den königlichen Rängen und lächeln tapfer, gelegentlich winken sie auch. Der Handlanger wirkt ein wenig blass.

HANDLANGER (nervös): Müsste es nicht bald anfangen?

GUSTAVO (betont ruhig): Mach dir keine Sorgen, Schatz.

HANDLANGER (nickt und streicht sich dabei fahrig die Halskrause glatt): Natürlich … keine Sorgen … (schließt die Augen, atmet tief) Ich bin eine Topfpflanze … nichts kann mir etwas anhaben …

GUSTAVO (legt ergeben die Stirn in Falten und sieht den Handlanger lang an; murmelt dann kopfschüttelnd zu sich selbst): Ich muss unbedingt ein Wörtchen mit dem Entspannungsgärtner wechseln.

Vor der Bühne werden die Fackeln gelöscht und der dissonante Kammerton der königlichen Trompeten und der königlichen Triangel verstummt nach und nach. Übrig bleibt nur das gleichmäßige Pauken der Pauke, das auch das Öffnen des Vorhangs untermalt. Dahinter steht ein einsamer, gelangweilter Schauspieler in Königinnenrobe und beruft sich im Stillen auf Brecht, während er zu seinem ersten Satz ansetzt.

GELANGWEILTER SCHAUSPIELER 1: Oh! Schon wieder ist es Weihnachten!
STATISTEN (strömen auf die Bühne, formieren sich, und beginnen zu singen): Weihnachten! Weihnachten!

URALTER MANN (mit durchdringender Stimme von den Zuschauerrängen): Jetzt machen die auch noch diesen Scheiß!

Eine Schippe Gelee fliegt entschlossen auf die Bühne und klatscht gelangweiltem Schauspieler 1 ins Gesicht.

GELANGWEILTER SCHAUSPIELER 1 (bleibt stehen, starrt in die Menge und durchbricht damit aus Versehen die vierte Wand. Am Bühnenrand sieht man den königlichen Intendanten die Hände über dem Kopf zusammenschlagen): Wer war das?!

Aus der Menge hört man eine durchdringende Stimme kichern. Die tanzenden Statisten hören nacheinander auf zu singen und werfen dem Intendanten unsichere Blicke zu. Dieser gestikuliert wild, sie sollen weitermachen, was aber keiner tut. Stattdessen beginnt einer der Statisten zackig zu steppen. Die anderen werfen ihm befremdete Blicke zu, die er ignoriert, bis ihn ein Kürbis trifft.

GELANGWEILTER SCHAUSPIELER 1: Und wenn wir bis morgen früh hier sitzen!

Keiner antwortet ihm. Am Bühnenrand sieht man den Intendanten weinen. Dann wird er resolut mit einem Brett niedergeschlagen und hört auf zu weinen, stattdessen geht er zu Boden. Der einsame Rächer betrachtet ihn und nickt zufrieden. Dann winkt er hinter sich, setzt sich auf den Boden und packt ein Sandwich aus.

KNOCHIGE FRAU (tritt leise hinter gelangweiltem Schauspieler 1 und den Statisten auf die Bühne): So höret mich an, Volk!

Das Volk beachtet sie nicht, sondern wirft einige Tomaten auf die Statisten.

KNOCHIGE FRAU (räuspert sich nachdrücklich): So höret - ! (Eine Tomate fliegt haarscharf an ihr vorbei. Sie überlegt kurz, dann geht sie entschlossen auf Meger Vohn zu): Du da! Komm und hilf mir.

MEGER VOHN (verwirrt): Soll ich nun singen?

STIMME AUS DER MENGE: Bitte nicht … 
     
KNOCHIGE FRAU: Du sollst sie zum Schweigen bringen.

MEGER VOHN: Aber …

KNOCHIGE FRAU: Sag ihnen, sie sollen leise sein.

MEGER VOHN (vollkommen durcheinander): Aber wer sind sie denn überhaupt?

KNOCHIGE FRAU (mit lauter Stimme in die unpraktischerweise genau in diesem Moment eintretende, kurze Stille, in der ihre Worte ausnehmend gut über den extra dafür konzipierten Platz vor der Bühne tragen und auch noch bis in die unterirdischen Küchen der königlichen Kinderarbeiter dringen): ICH BIN DIE SCHWESTER DER KÖNIGIN!

Eisiges Schweigen flutet über die Menge. Eine Tomate bleibt erschrocken in der Luft stehen und geht daraufhin klatschend zu Boden. Alle Augen sind auf die Schwester der Königin gerichtet. Irgendwo aus der Menge hört man zustimmendes Murmeln, die Ähnlichkeit sei in der Tat unverkennbar. Im ersten Stock des Schlosses sieht man den Handlanger sich ans Herz fassen und diskret umfallen. Gustavo stürzt sich auf ihn und ruft etwas in die Tiefen des Schlosses, dann fühlt er den Puls des Handlangers und beginnt mit der Herzmassage. Seine festliche Stola wippt im Takt.

DIE SCHWESTER DER KÖNIGIN (überrascht von der plötzlichen Aufmerksamkeit): Ja … Ich bin die rechtmäßige Thronanwärterin, und keiner wird mich von meinem Recht abhalten können!

Das Volk starrt sie nach wie vor ungläubig an. Das einzige Geräusch in der Stille ist das leise Zählen Gustavos und schließlich das Röcheln des Handlangers. Die Schwester der Königin steht ein wenig unentschlossen auf der Bühne und bemüht sich, königlich auf die Menschen hinabzusehen. Der einsame Rächer verschluckt sich an seinem Sandwich und beginnt zu husten.
Dann kriecht auf einmal ein kalter Windhauch über den Platz und die verbliebenen Fackeln hauchen knatternd ihr Leben aus. Es wird dunkel, Gemurmel kommt auf. Man hört unerklärlicherweise hallende Schritte das Theater betreten und die Stille darum herum scheint undurchdringlich zu werden. Ein einziges Spotlight geht an und zeigt den Zauberer in seinem Umhang.

ZAUBERER (an die Schwester der Königin gewandt): So musste es ja kommen!

DIE SCHWESTER DER KÖNIGIN (ungeduldig): Und Sie sind - ?

EINSAMER RÄCHER (schaut um die Ecke, sieht den Zauberer und beginnt wieder zu husten, wobei er rot anläuft, wofür es verschiedene Ursachen geben könnte)

ZAUBERER (drohend): Ich bin der, der deine Schwester zu Fall gebracht hat …

DIE SCHWESTER DER KÖNIGIN (mustert ihn von Kopf bis Fuß und fragt, zweifelnd bis mitleidig): … wirklich?

ZAUBERER (bemüht sich sehr, den Einwurf zu überhören und weiterhin ein gewisses Maß an Autorität zu projizieren): WIRKLICH! (seine Stimme hallt ebenso unerklärlich wie seine Schritte. Einige Höflinge sehen ihn ehrfürchtig an. Der Zauberer fährt leiser fort und fixiert die Schwester der Königin durchdringend) Aber dich werde ich nicht zu Fall bringen …

DIE SCHWESTER DER KÖNIGIN (herablassend): Das dachte ich mir. (Als die durchdringende Stille sich nicht legt, legt sie stattdessen ihre Stirn in Falten. Der Pöbel sowie die Höflinge sehen sie düster an. Der Handlanger steht wieder aufrecht, wenngleich auf Gustavo gestützt und ein wenig grau im Gesicht. Der Statist von zuvor versucht einige, auflockernde Steppschritte und wird von seinem Nachbarn k.o. geschlagen. Dann wenden sich gleichzeitig alle Blicke dem Zauberer zu, dessen Stimme wie nordisches Grollen in Asgard über den Theaterplatz rollt)

ZAUBERER (wie oben beschrieben): Das Volk wird das tun.

Das Volk nickt hemmungslos und sieht wieder auf die Bühne. Dann schwemmt nach und nach erst Verunsicherung, dann Erkenntnis über die Gesichter. Höflinge wie Pöbel sehen sich untereinander ratlos, dann immer entschlossener an. Schließlich beginnt einer von ihnen laut zu schreien, die anderen stimmen ein. Es dauert nicht lange, ehe Hofstaat und Dorfbewohner an geschlossener Front auf die Bühne stürmen und auf die Schwester der Königin losgehen, die zwar noch versucht, ihre Gewänder zu raffen und davonzueilen, aber zu langsam ist. Der einsame Rächer tut mehr oder weniger gekonnt, als würde er ihre schrillen Aufrufe, ihr zu helfen, nicht hören, und betrachtet eingehend einen Fleck auf seinem Sandwichpapier. Der ehemals steppende Statist wacht wieder auf und schlägt seinen Nachbarn k.o. Im ersten Stock des Schlosses sieht man Gustavo und den Handlanger sich unbemerkt küssen. Tomaten, faulige Kürbisse, Gelee und Lametta fliegen feierlich durch die Luft. Dann fliegen Fetzen der Gewänder der Schwester der Königin in die Höhe und die Angehörigen des Hofstaats, die das Pech hatten, zu nah dran zu stehen, in Ohnmacht. Das königliche Trompetenorchester und die königliche Triangel stimmen gemeinsam mit der Pauke einen treibenden Marsch an. Ein wenig am Rand sieht man ein paar betrunkene Eichhörnchen mit einem ganzkörperbandagierten Geier schunkeln. Der Zauberlehrling und Jutta entfernen sich unauffällig aus der Menge und verschwinden hinter einem Gebüsch. Alkohol fließt in Strömen und das Volk feiert.
Etwas abseits steht eine dunkle Figur in einem langen Mantel, deren Anwesenheit bereits wieder vergessen wurde, was genau ist, was von der dunklen Figur im langen Mantel, bei der es sich natürlich um den Zauberer handelt, antizipiert wurde. Langsam rückt der Lärm der Feier in den Hintergrund und die Lichter dimmen sich, bis nur noch er im Spotlight steht und das Treiben schweigsam beobachtet. Dann dreht er sich um und schreitet mit wehendem Mantel langsam von der Bühne, das Licht folgt ihm, und erstirbt letztendlich ganz.
Vorhang.

Nachhall
Ist die Wut nur groß genug
Bedarf es keiner Monster mehr
Da gibt die Wut an sich
Genug schon her.
So gings ins Land, das Weihnachtsfest,
Nach dem Sturz der Königin.
Auch ihre Schwester ist nun hin
Und ward gefunden wenig später
Einen knappen Kilometer
Weiter südlich.
Bleibt nur zu hoffen für die Zukunft,
Dass die Royals es nun belassen.
Dem Volk jedoch, dem ists egal –
Denn scheinbar kann es alles schaffen.
Doch für dieses Jahr wars auch genug,
Ein weiteres Fest ward vergonnen.
So viel nun zu: neu ersonnen …

Frohe Weihnachten!















Samstag, 19. Dezember 2015

Des Drärchens unnötige Fortsetzung, Teil II

1.     Akt, 1. Szene
Weihnachten, früher Morgen. Die königliche Bühne. Die Generalprobe zum Weihnachtsdrama, das anlässlich des ersten Jahrestages des Todes der Königin aufgeführt werden soll (gegen Nachmittag), ist in vollem Gange.

GELANGWEILTER SCHAUSPIELER 1 (in Königinnenrobe und angemessen herablassend, was Teil der Rolle sein mag, oder auch nicht): Können wir jetzt Frühstückspause machen?

GELANGWEILTER SCHAUSPIELER 2, 3 und 4 (nicken zustimmend)

KÖNIGLICHER INTENDANT (mit leicht bebender Stimme): Wir hatten das geklärt, wir proben die Szene, wie die Königin im Dorf ankommt, und dann können wir Pause machen …

STATIST (aus dem hinteren Teil der Bühne): Es ist aber schon beinahe acht.

KÖNIGLICHER INTENDANT (fährt aufgebracht herum und sucht erfolglos den aufmüpfenden Statisten in der Menge der ansonsten angenehm eingeschüchterten Höflinge, die ihr Glück nicht fassen konnten, eine Rolle beim königlichen Weihnachtsdrama bekommen zu haben): Wer war das?!

STATISTEN (Schweigen unisono und äußerst unbefriedigend)

KÖNIGLICHER INTENDANT (seufzt und reibt sich die Nasenwurzel; der Druck der drohenden Aufführung sprießt ihm in Form von übel riechendem Schweiß aus jeder Pore): Gut, dann also von vorne … Die Karawane kommt im Dorf an und die Königin beginnt, Geschenke des Pöbels entgegenzunehmen …

LEISE STIMME VOM BÜHNEHINTERGRUND: Der Handlanger hat gesagt, wir sollten die Dorfbewohner nicht ‚Pöbel‘ nennen.

KÖNIGLICHER INTENDANT (dramatisch; gelegentlich fühlt er den Drang herauszustellen, dass er im Grunde der einzig wahre Schauspieler an der königlichen Bühne ist, und nur aufgrund eines blöden Fehlers die undankbare Rolle des Intendanten zugeschoben bekommen hat): So störet mich nicht ewiglich mit euren niederen Gedanken! Ich, und ich allein, …

Der königliche Intendant monologisiert mehrere Minuten. Die Schauspieler ziehen nacheinander ihre Miniaturbarden[1] aus den Taschen ihrer Kostüme und beginnen, gelangweilt darauf zu starren und vereinzelte Nachrichten an ihre diversen Affären zu diktieren. Die Barden machen blasierte Gesichter und entfernen sich zum Großteil zügig.

GELANGWEILTER SCHAUSPIELER 2 (deutet auf den Barden von Gelangweilter Schauspieler 4, der seit zwei Minuten versucht, mit leerem Ausdruck die Stufen der Bühne hinabzusteigen, aber nicht mit den Füßen auf den Boden kommt): Was macht der da?

GELANGWEILTER SCHAUSPIELER 4: Der hat Verbindungsprobleme in letzter Zeit.

GELANGWEILTER SCHAUSPIELER 2 (nickt wissend)

Der Intendant hat seinen Monolog beendet und sieht erwartungsvoll in die Runde.

KÖNIGLICHER INTENDANT: Also?

Schweigen macht sich breit, das nur vom elenden Röcheln des Miniaturbarden von Gelangweilter Schauspieler 4 unterbrochen wird, der den Barden verärgert vom Boden aufhebt und darauf herumdrückt, was darin endet, dass der Barde einen Miniaturstrick aus seiner Tasche zieht und sich am nächstbesten Balken aufhängt.

STIMME VOM BÜHNENHINTERGRUND: Was? Entschuldigung, ich hatte gerade nicht zugehört.

KÖNIGLICHER INTENDANT (explodiert, rein metaphorisch, aber mit hochrotem Gesicht): Was FÄLLT euch eigentlich ein …

Er wird von Gemurmel unterbrochen, ehe eine extrem laute Stimme, man wäre beinahe versucht zu sagen: die lauteste Stimme der Welt, ihn unterbricht.

MEGER VOHN: TÄTÄTÄTÄÄ! SO NEIGET EURE HÄUPTER; DER HANDLANGER!

Köpfe neigen sich zögerlich, während der Handlanger an Meger Vohn herantritt.

HANDLANGER (leise, dafür mit Nachtruck peinlich berührt): Wir hatten uns doch darauf geeinigt, dass Sie die königlichen Trompeten nicht imitieren, falls die Instrumente selbst unabkömmlich sind …

MEGER VOHN: VERZEIHUNG!

HANDLANGER (zuckt deutlich zusammen): Ist ja gut … Sie brauchen nicht so zu schreien …

MEGER VOHN: SELBST- … Selbstverständlich.

KÖNIGLICHER INTENDANT (nähert sich mit mühsam unterdrückt genervt schief gelegtem Kopf und interpretiert sein gequältes Grinsen dabei aktiv als zuvorkommendes Lächeln fehl): Eure Majestät! (knickst. Gustavo kichert kokett im Hintergrund und erinnert den Handlanger damit unbequem an die freizügige sexuelle Vergangenheit seines Gatten)

HANDLANGER: Ähm. Ja. Ich wollte nur mal sehen, wie die Vorbereitungen so vonstatten gehen. Immerhin ist bereits Weihnachten und …

KÖNIGLICHER INTENDANT (eilig): Das wissen wir natürlich, Eure Majestät.

HANDLANGER (irritiert; sein Blick haftet seitlich an einem der gelangweilten Schauspieler, der eben sehr energisch seinen Miniaturbarden mit einer kleinen Handkurbel aufzieht): Äh – ja … Ich meinte. Sie wissen ja. Das Volk erwartet einiges. Wir leben in einem neuen Zeitalter und so weiter, Sie kennen das. Stand alles im Pamphlet.

KÖNIGLICHER INTENDANT (nickt eifrig und kann seine rechte Hand dabei nur knapp mit  seiner linken Hand davon abhalten, sich dem Handlanger in den Rücken zu legen und ihn von der Bühne zu schieben)

HANDLANGER: Ja … (schüttelt einmal den Kopf und winkt schließlich ab. Sofort dreht sich der kleine Hofstaat, der ihn begleitet hatte, um und marschiert zurück in Richtung   Schloss, sofort, nachdem sie den Karren Lametta, den einige Dorfbewohner mühsam vorbeiziehen, passieren haben lassen)

Der Intendant verdreht hinter ihnen heimlich die Augen und wendet sich wieder seinen gelangweilten Schauspielern zu, nur, um einen eindrucksvollen Blick darauf gewährt zu bekommen, wie sie geschlossen versuchen, im vorziehenden Baumbehang ihr Spiegelbild zu erhaschen. Das Licht erstirbt, die letzten Geräusche, die man wahrnimmt, sind das erneute Röcheln des Barden, untermalt vom leiser werdenden Fluchen von gelangweilter Schauspieler 4. Vorhang.

1.     Akt, 2. Szene
Die Gemächer des Zauberers. In einer hohen, weitläufigen Halle befindet sich, bis auf einige, leer an die Wand geschobene Umzugsweidenkörbe und einen Karren, nichts. Im Dunkel hört man das leise, hektische Trippeln einer Ratte, dicht gefolgt von einem deutlich lauteren, aber angestrengt unauffälligen Trappen; kurz darauf lautes Quieken und Kaugeräusche. Vor dem Fenster sieht man einen Uhu schuhuen; kurz darauf sticht die Silhouette eines großen Vogels, der erstaunliche Ähnlichkeit mit einem Geier hat, auf den Uhu hinab und fliegt davon. In der Halle ist das lautere Trappen verstummt; ein leises Rülpsen dringt durch die kalte Luft, ehe sich am hinteren Ende eine Tür öffnet, aus der sich flackerndes Licht in den Raum ergießt. Dahinter sieht man den Zauberer gebeugt an einem Tisch sitzen und primär die Stirn runzeln.
Im Labor des Zauberers. Hier neigen sich die billigen, schwedischen Stellkästen, die die Wände bedecken, unter unzähligen Gläsern und Gefäßen. Einige davon sind mit Schlössern verriegelt, andere mit Ketten an die Wand geschmiedet. Ein paar getrocknete Ratten und Kröten sind zu sehen, ein Ochsenhuf; ein wenig weiter rechts sitzt ein kleines, flauschiges Monster und hüpft aufgeregt auf und ab. Daneben ein abgetrennter menschlicher Kopf, der den unangenehmen Eindruck erweckt, sich gerne am Ohr kratzen zu wollen. Dazwischen Unmengen von Büchern über Alchemie, Physiologie und Medizin; etwas weiter hinten ein unauffällig an den Rand geschobenes Exemplar von 50 Shades of Grey.
Vor den Regalen sitzt der Zauberer und brütet. Neben ihm steht eine Glaskugel, daneben befindet sich ein Kessel und sondert gelegentlich unterdrückt hustende Rauchwolken ab. Wiederum daneben steht ein junger Mann und starrt den Zauberer begierig an.

ZAUBERLEHRLING (hält es nach mehreren Minuten Schweigen einfach nicht mehr aus): Meister …

ZAUBERER (genervt): Nicht jetzt!

ZAUBERLEHRLING (nach weiteren Minuten betretenen Schweigens): Aber, Meister die …

ZAUBERER (ungehalten): Ich habe nicht jetzt gesagt!

ZAUBERLEHRLING (nachdrücklich, dafür mit Beben in der gelegentlich, sehr zu seinem Leidwesen, immer noch brechenden Stimme): Aber Meister die Glaskugel!

ZAUBERER (wendet den Blick unwillig auf die Glaskugel; das Design stößt ihm seit jeher sauer auf, aber seiner Zeit waren die Glaswürfel aus und seither irgendwie aus der Mode gekommen): Was ist denn … oh.

In der Glaskugel zeichnet sich zunehmend deutlicher das Bild einer knochigen Frau und eines mürrischen Mannes ab, die sich dem Schloss zu Pferde nähern. Der Zauberer beugt sich näher heran und dreht den Ton lauter. Sofort füllen die Stimmen der beiden den Raum und bringen selbst das kleine, flauschige Monster zum Stillsitzen.

MÜRRISCHER MANN: Wir haben es beinahe geschafft!

KNOCHIGE FRAU (blickt versonnen auf das Schloss. Auf dem Weg vor den Schlosstoren stehen bereits unzählige Dorfbewohner, verteilen Popcorn und üben sich vorsorglich im lautstarken Rufen wüster Beschimpfungen und Tomatenwerfen): Du hast recht, einsamer Rächer!

Der Zauberer runzelt die Stirn, lässt ein wenig zurücklaufen und hört genau hin. Sie hat es wirklich gesagt. Der Zauberlehrling wippt unterdessen eifrig von seinen Zehen auf die Fersen und zurück.

EINSAMER RÄCHER: Euer Plan ist genial, Eure Hoh…

KNOCHIGE FRAU (fällt ihm ins Wort): Nennt mich noch nicht so! Obgleich es nur eine Frage der Zeit ist … (sie reibt ihre knochigen Hände klischeehaft aneinander, dann kratzt sie sich hektisch am Gesäß und wirft einen Kontrollblick auf den einsamen Rächer, der aber angestrengt so tut, als habe er nichts gesehen)

EINSAMER RÄCHER (pflichtet ihr stattdessen bei): Nur eine Frage der Zeit!

Sie reiten aus dem Bild. Der Zauberer dreht den Ton leiser und kann sich gerade noch davon abhalten, ebenfalls klischeehaft die Handflächen zu reiben. Alternativ wendet er sich grimmig an seinen Lehrling.

ZAUBERER (blickt auf die Sanduhr in der Ecke des Labors): In wenigen Stunden beginnt das königliche Weihnachtsdrama. Der Pöbel, äh- ist beinahe am Schloss angekommen. Es funktioniert.

ZAUBERLEHRLING (reißt die Augen auf): Tut es das?

ZAUBERER (schiebt Augenbrauen zusammen, blickt seinen Lehrling an, setzt zum Sprechen an und unterbricht sich wieder; schüttelt ergeben den Kopf): Ja, das tut es.

ZAUBERLEHRLING (nur eine Spur zu laut): Das ist ja fantastisch!

RAUCHWÖLKCHEN (hustet)

ZAUBERER (senkt seinen düsteren Blick wieder auf die Glaskugel und spricht mit leiser werdender Stimme): Das ist es allerdings, das ist es …

Ein ausnehmend gut passender, steifer Windhauch zieht zügig durch den Raum und verlässt ihn eilig. Dabei passiert er eine entschlossen blickende Ratte mit einem Knüppel, die an der angelehnten Tür vorbeitrippelt und deren Schritte sich langsam im kühlen Hall der leeren Halle hinter dem Labor verlieren. Vorhang.

2.     Akt, 1. Szene
Vor dem Schloss, gegen früher Nachmittag. Die Zugbrücke wird langsam und quietschend herabgelassen. Die Dorfbewohner drängen sich und kämpfen um die besten Plätze. Schnee türmt sich vor den Schlossmauern, im Hintergrund sieht man ein verzweifeltes, einsames Eichhörnchen über den Boden torkeln, es hält eine Flasche in der Hand und schüttelt die andere Faust gelegentlich wütend in den Himmel. Die Hofdiener, die auf der Schlossmauer stehen und versuchen, die Zugbrücke gleichmäßig nach unten zu lassen, werfen in regelmäßigen Abständen zunehmend befremdete Blicke auf die Dorfbewohner unter ihnen. Einer von ihnen beginnt im Rhythmus der Brückenkurbel leise ein tragisches Solostück anzustimmen, ehe er von einer fliegenden Tomate an der Backe getroffen wird und sofort in würdevolles Schweigen verfällt. Neben ihm auf der Brüstung hockt mit halbgeschlossenen Augen ein Geier und stößt unauffällig auf.

KLEINER MANN MIT HUT (an große Frau neben ihm): Gib mir mehr Tomaten!

GROßE FRAU NEBEN IHM (verdreht die Augen): Jetzt doch noch nicht!

KLEINER MANN MIT HUT (vehement, die zusammengekniffenen Augen auf die Brüstung gerichtet): Aber der will schon wieder anfangen zu singen, ich sehs ihm doch an!

MÄDCHEN (ein wenig weiter rechts in der Menge; an seine Mutter): Mama, ich muss aufs Klo!

MUTTER (sieht Mann neben ihr zunächst bohrend an, verfällt dann in süßlichen Singsang): Hattest du nicht gesagt, Schatz … ?

MANN NEBEN IHR (schürzt die Lippen, sieht zu Boden, räuspert sich sehr laut und  versucht, den Mann neben ihm, der gerade versucht, beiläufig einige faulige Kürbisse unter seinem Mantel verschwinden zu lassen, einen betretenen, wenngleich konspirativen, Blick zuzuwerfen)

MUTTER (sieht die Kürbisse und plustert sich auf in Vorbereitung dafür, sich in Rage zu reden)

URALTER MANN (direkt vor der Zugbrücke, die beinahe den Boden erreicht hat, mit durchdringender Stimme): Jutta? Jutta! Gib mir die Geleeschleuder!

JUTTA (mit Nachdruck): Noch nicht, Opa!

Die Zugbrücke landet knarzend auf dem gefrorenen Boden und die Tore zum Schlosshof öffnen sich nur zögerlich. Der Pöbel stürmt ungeachtet dessen vor und hilft ihnen ein wenig nach. Dahinter offenbart sich der augenscheinlich gesamte Hofstaat, der geschlossen unruhig von einem Fuß auf den anderen tritt. Über ihnen sieht man den Handlanger, den Handlanger des Handlangers, Gustavo und Meger Vohn auf dem königlichen Verkündigungsbalkon stehen. Unterdessen schiebt sich ein hektischer junger Mann wichtig und eilig an dem voranstürmenden Pöbel vorbei und bleibt unter dem Balkon stehen. Er packt ein Pergament aus und wendet sich an den Handlanger.

JUNGER MANN (mit unerhört lauter Stimme): OH HANDLANGER! DIE DORFEBWOHNER HABEN DAS SCHLOSS BEINAHE ERREICHT!

HANDLANGER (befremdet): Das, äh, sehe ich. (wendet sich an seinen Handlanger) Weiß jemand, wer … ?

MEGER VOHN (mit vor Stolz geschwellter Brust): EURE HOHEIT, DIES IST MEIN BRUDER TELER!

HANDLANGER (zuckt zusammen): Ihr Bruder - ?

MEGER VOHN: MEIN BRUDER TELER VOHN[2]! ER ÜBERBRINGT NACHRICHTEN!

HANDLANGER (den Blick auf Teler Vohn gerichtet): Ach.

TELER VOHN: STELLT EUCH AUF GROßEN ANDRANG … (wird von stürmender Masse zu Boden geworfen und verstummt)

GUSTAVO (trocken): Gott sei Dank kam der noch rechtzeitig. Sonst hätten wir das ja nie bemerkt.

Die Menge sammelt sich, hinter ihr fallen die Tore wieder ins Schloss. Eine Weile schreien die Dorfbewohner noch durcheinander, dann gehen sie dazu über, den ihnen gegenüber aufgestellten Hofstaat finster anzufunkeln. Meger Vohn ergreift die Gelegenheit und mit ihr das Wort.

MEGER VOHN: OH DORFBEWOHNER … OHNEROHNER

HANDLANGER (leise): Was soll das denn, Herr Vohn?

MEGER VOHN: ICH HABE IM VERGANGENEN SOMMER EINEN KURS BESUCHT. „HALL FÜR FORTGESCHRITTENE“.

HANDLANGER (fasst sich an die Nasenwurzel, murmelt): Könnten Sie diesen, äh, Specialeffekt vielleicht für die Party nach dem Weihnachtsdrama aufheben? Wir werden sie doch mit Sicherheit ohnehin nicht davon abbringen zu können, für uns zu singen .. ? (blickt Meger Vohn hoffnungsvoll an. Die Ironie stürmt freudig los, rümpft dann die Nase und bleibt stehen. Sie wirft dem Handlanger noch einen pikierten Blick zu, ehe aus dem Nichts ein Geier auf sie herabstößt)

MEGER VOHN (strahlt): SELBSTVERSTÄNDLICH WERDE ICH SINGEN! INGEN! INGEN(hält inne, denkt angestrengt nach) ENTSCHULDIGUNG.

HANDLANGER (seufzt): Na wunderbar. Wenn Sie jetzt bitte fortfahren würden - ?

MEGER VOHN (dreht sich schwungvoll wieder ans Volk. Hinter ihm sieht man Gustavo gelangweilt an seinem Nagellack knibbeln, dann zieht er seine Federstola enger um  den Hals.): DORFBEWOHNER! DER HANDLANGER UND SEIN HOFSTAAT HEIßEN EUCH HERZLICH AM HOFE WILLKOMMEN ZUM ERSTEN JAHRESTAG DES STURZES DER KÖNIGIN! (wendet sich selbstzufrieden ab. Unsicheres Schweigen schlägt ihm vom Pöbel entgegen, eine einsame Tomate fliegt und zerplatzt drei Meter neben dem Balkon. Von irgendwo aus der Menge hört man ein leises ‚Autsch!‘)

HANDLANGER (nachsichtig, wenngleich ein wenig desillusioniert): Fehlt da nicht noch etwas, Herr Vohn?

MEGER VOHN (blickt Handlanger mit zusammengezogenen Brauen an, dann erhellt sich seine Miene schlagartig und er dreht sich wieder um): DAS WEIHNACHTSDRAMA BEGINNT IN WENIGEN MINUTEN AUF DER KÖNIGLICHEN BÜHNE ZU IHRER RECHTEN. SNACKS UND GETRÄNKE GIBT ES AM EINGANG. WIR BITTEN DARUM, WÄHREND DER             VORSTELLUNG KEINE PORTRAITS VON DEN SCHAUSPIELERN ZU ZEICHNEN, DANKE. FROHE WEIHNACHTEN!

HANDLANGER (leise zu sich): Na geht doch …

Schleppend setzt sich die Menge in Bewegung. Ein wenig verspätet fliegt ein fauliger Kürbis und zerplatzt spritzend auf dem leeren Verkündigungsbalkon. Man hört zweistimmig unterdrücktes Glucksen aus der Menge und eine erboste Frauenstimme, die damit droht, sich scheiden zu lassen [3]. Nach und nach leert sich der Hof, bis nur noch wenige, verwirrte Höflinge, sowie etwas am Rand eine knochige Frau und ein einsamer Rächer, und noch etwas weiter am Rand eine dunkle Gestalt mit langem Mantel und Kapuze zurückbleiben. Es wird merklich dunkler. Im Hintergrund bricht ein Eiszapfen vom Schloss und ersticht im Fallen einen Geier, der träge auf dem Boden hockt. Kurz darauf tanzen einige offensichtlich betrunkene Eichhörnchen in einer Polonaise an dem regungslosen Geier vorbei. Eins von ihnen hält eine Säge in der Hand.

KNOCHIGE FRAU: Die große Stunde ist gekommen!

EINSAMER RÄCHER (abgelenkt von der Figur im langen Mantel, die ihn dunkel anstarrt. Blickt erst interessiert zurück, dann verwirrt, dann ein wenig genant und erfolglos unterdrückt grinsend zu Boden): Hm-hm …

KNOCHIGE FRAU (wirft ihm einen verständnislosen Blick zu und beschließt, unqualifizierte Einwürfe künftig zu ignorieren): Lasst uns der Menge folgen … eine Bühne ist genau, was ich brauche …

EINSAMER RÄCHER (folgt ihr, nimmt vorher aber noch schnell allen Mut zusammen und zwinkert der Figur in Kapuze zu, bei der es sich natürlich um den Zauberer handelt, wie der aufmerksame Leser inzwischen verstanden hat)

Der einsame Rächer und die knochige Frau entfernen sich. Es wird noch dunkler, bis schließlich der Zauberer als einziger noch im Licht steht und den beiden nachsieht, ehe er seinen Kopf in den Nacken wirft und in schallendes Gelächter ausbricht, was selbstverständlich außer uns niemandem auffällt, weswegen er sich hinterher auch ungehindert mit dramatisch schwingendem Mantel umdrehen und von der Bühne schreiten kann. Vorhang.






[1] Nevermind.
[2] Der, seinem Bruder nicht unähnlich, mit der Intelligenz eines Bettsteins gesegnet war. Trotz dieser widrigen Umstände erfand er einige Jahre später, nachdem er sich von seinem Unfall erholt hatte, das Telefon und wurde unerhört reich.
[3] Was zur Zeit des Drärchens natürlich noch eine unerfundene Maßnahme war, weswegen die Frau kurz darauf von ihrem eigenen Mann der Hexerei beschuldigt und verbrannt wurde. Einige Jahre später jedoch kam ein Geist, der erstaunliche Ähnlichkeit mit der Verstorbenen hatte, zurück ins Dorf und zündete das Bett des Exmannes an, während er darin lag. Damit waren nicht nur dringende Gelüste befriedigt, sondern praktischerweise auch gleich noch das Barbecue erfunden worden.

Donnerstag, 17. Dezember 2015

Des Drärchens unnötige Fortsetzung, Teil I


Vorab!
Ich freue mich ganz fürchterlich, ein neues Drärchen in die Welt hinaus zu pusten und damit natürlich (selbstverständlich) einen unerlässlichen Beitrag zur Weihnachtsstimmung und allem beizutragen. 
So. Wer will, darf gerne hierhier und hier Teil eins bis drei des letztjährigen Originaldrärchens nachlesen.
Damit nun also, ne. 




Vorspiel
Vor einem Jahr, so munkelt man,
War Ferniziens Königin dran.
Jetzt ist sie töter als ein Stein[1][2]
Nackt ward sie gefunden (von einem armen Schwein)
 Der Faltenwurf war wunderbar!
Das Volk feierte.
Und als es wieder nüchtern war,
Nach mehreren kurzen Wochen,
War sie schon steif und angerottet,
Die Krone wurde eingemottet,
Und der Handlanger zum Haupt ernannt,
Die arme Sau; doch so gings ins Land.
Ein Jahr ists her und wieder
Weihnachtets sehr
In Fernizien, doch dieses Mal
Mit neuen Exerzitien.
So hört und staunt und lest gebonnen,
Es war einmal, neu ersonnen.


Es folgt: des Weihnachtsdrärchens unnötige Fortsetzung
Es treten auf:
Der Handlanger
Gustavo
Der Handlanger des Handlangers
Der Königliche Intendant
Gelangweilte Schauspieler 1 - 4
Meger Vohn
Teler Vohn in einer Gastrolle
Eine knochige Frau
Ein einsamer Rächer
Ein Zierfischer
Der Zauberlehrling
Diverse Dorfbewohner
Einige Eichhörnchen
Ein Geier
Und: Der Zauberer …




Intro
Es war einmal in einem fernen, fernen Königreich. Oder nein, es war einmal in Fernizien, streichen sie den ersten Teil … Haben Sie das? Gut. Was? Nein, Sie sollen das nicht mit aufschreiben … ach geben Sie her! Zu nichts zu gebrauchen, dieser Meger Vohn …
Intro, zweiter Versuch
Es war einmal im fernen Königreiche Fernizien, mon.fr.K.reich[3]. Ein Jahr war vergangen, seitdem die Königin am vergangenen Weihnachtsabend durch den heroischen und im Großen und Ganzen doch beeindruckenden Einsatz des Zauberlehrlings gestürzt worden war. Seither war Fernizien ein friedliches und beschauliches Reich geworden, dem es an nichts mangelte außer adäquater Monarchie; hieran hatte sich also nicht viel verändert. Auch sonst waren viele, liebgewonnene Traditionen aufrechterhalten worden. Im Dorfe lebte der Pöbel, trat Hunde, jagte Ratten und ärgerte sich über den Hofstaat; am Hofe lebte man in Saus und Braus und ignorierte den Pöbel weitestgehend. Doch wie bedauerlicherweise jedes Jahr so näherte sich auch in diesem Jahr das Weihnachtsfest schneller als eine Schwindsüchtige dem Medikamentenschrank, und es wollten Vorbereitungen getroffen werden. Vorbereitungen, die mehr denn je dem Handlanger oblagen, der sich in seiner neuen Rolle als Interimsherrscher mehr als unwohl fühlte, dennoch aber fand, eine ganz gute Figur abzugeben auf dem Thron; zumindest, wenn er sich ein wenig seitlich setzte und das Kinn auf die Faust stützte, weswegen er sich auch gleich in dieser Position hatte malen lassen. Aber ich schweife ab.
Weihnachten näherte sich also, und die Vorbereitungen liefen auf Hochtouren, im fernen Königreich Fernizien, mon.fr.K.reich. Doch Düsteres näherte sich …

1.     Akt, Ouvertüre
Ein dunkler Wald, früher Morgen. Es raschelt dramatisch im Geäst und würde ebenso dramatisch im Laub rascheln, wären die Bäume nicht winterlicher Wipfeldürre zum Opfer gefallen. Ebenfalls der Wipfeldürre zum Opfer gefallen ist der Mann, der mürrisch auf seinem Pferd sitzt und an seiner Mütze zupft, mit der er die Wipfeldürre zu kaschieren versucht. Neben seinem Pferd, das ebenso mürrisch wie er aussieht, aber bedeutend mehr Haar besitzt, steht ein weiteres Pferd, dessen Knochen sich stalagmitengleich in die kalte Luft bohren und gelegentlich klirrend an einen weiteren Satz spitzer Knochen stoßen, den der Frau, die auf ihm sitzt, nämlich. Alle vier produzieren kleine, weiße Wölkchen und sehen preisverdächtig verdrießlich drein. In einiger Entfernung sieht man ein Eichhörnchen sehr entschlossen mit einem Stein auf den gefrorenen Boden einschlagen, während ein anderes Eichhörnchen ein Stück daneben steht und unmerklich den Kopf schüttelt. Im Hintergrund erscheint die spitze Nase eines Fuchses, die unmissverständlich auf die beiden Eichhörnchen gerichtet ist. Als er zum Sprung ansetzt, wird er jedoch in letzter Sekunde von einem herabstechenden Geier zur Seite geworfen, der in der nahrungsknappen Not dazu übergegangen ist, seine Definition von Aas ein wenig zu dehnen. Im Vordergrund lässt das erste Eichhörnchen seinen Stein fallen und zeigt dem zweiten Eichhörnchen einen Vogel. Der mürrische Mann und die knochige Frau blicken weiterhin verdrießlich.

MÜRRISCHER MANN: Seid Ihr sicher, dass dies der richtige Weg ist?

KNOCHIGE FRAU: Selbstverständlich! Wie könnt Ihr es wagen - !

MÜRRISCHER MANN (hebt abwehrend die Hände, sagt jedoch nichts. Man weiß ja nie.)

KNOCHIGE FRAU (entschlossen): Da entlang!

MÜRRISCHER MANN (mürrisch): Wenn Ihr meint.

Hufgetrappel setzt ein. Sie entfernen sich. Wir verweilen noch einige Sekunden an Ort und Stelle, gerade noch lang genug, um zu sehen, wie eines der Eichhörnchen von einem Geier aus dem Flug geschnappt wird und das andere ihnen ungläubig nachstarrt. Im Hintergrund sehen wir einen Fuchs unmerklich den Kopf schütteln.

1.     Akt, 1. Szene
Am Hofe Ferniziens, im Thronsaal, am Tag vor Weihnachten. Der Handlanger sitzt steif auf dem Thron und fühlt sich aktiv unwohl. Ihm gegenüber steht ein dünner, junger Mann und fühlt mit ihm. Gustavo sitzt auf einem prächtigen Stuhl am Fenster und übt sich im Augenverdrehen.

HANDLANGER: Nun, äh, Handlanger, ähm …

HANDLANGER DES HANDLANGERS: Richtig, Eure, äh, Hoheit?

HANDLANGER: Ja, hm, eigentlich nicht …

HANDLANGER DES HANDLANGERS: Aber …

GUSTAVO (springt dramatisch auf, wirft die Hände in die Luft und den Kopf in den Nacken): Bitte, könnte sich wenigstens einer von euch beiden einen anderen Titel geben? Nicht mal ich komme noch nach!

WACHE (steht am Rand und kichert verschämt in seine Rüstung)

GUSTAVO (redet sich ein wenig in Rage): Du könntest wenigstens das Schild an deinem Büro ändern. Was soll denn eigentlich das Volk denken!

HANDLANGER (senkt seinen Blick auf seine in roten Bommelschuhen steckenden Füße): Ja, Schatz …

GUSTAVO (setzt an, wird aber vom Handlanger des Handlangers unterbrochen)

HANDLANGER DES HANDLANGERS: Ich störe ja nur höchst ungern …

WACHE (leise an Wache neben sich): Was er nicht sagt …

ANDERE WACHE (reißt weit die Augen auf und nickt wissend)

HANDLANGER DES HANDLANGERS: Aber …

GUSTAVO (fährt herum und funkelt zweiten Handlanger an): Hat das nicht vielleicht einen Moment Zeit?

HANDLANGER DES HANDLANGERS: Sicher; aber, mit Verlaub, der Lamettalieferant dürfte da anderer Meinung sein. Zudem sollten die letzten Vorbereitungen für das Weihnachtsdrama getroffen werden. Ihr seid euch doch sicher im Klaren darüber, dass morgen bereits Weihnachten ist und das Volk nach dem Sturz der Königin etwas Besonderes erwartet.

HANDLANGER: Ja, natürlich …

Es klopft lautstark an der Tür. Der Handlanger sinkt ein wenig auf seinem Thron in sich zusammen. Gustavo seufzt theatralisch und macht ein Geräusch, das stark an „Argh!“ erinnert. Unzählige Wachen treten aus ihren Verstecken hinter den schweren Samtvorhängen, die den Thronsaal säumen, und formieren sich. Man hört einen von ihnen leise einzählen. Die meisten der Wachen wippen bereits im Takt mit; ehe sie zu ihrem penetrant musicalhaften Stück ansetzen können fliegt jedoch die enorm schwere Doppeltür des Thronsaals auf und ein dafür erstaunlich kleiner und alter Mann betritt strammen Schrittes und sichtlich verstimmt die Szene.

KLEINER ALTER MANN (an Handlanger; mit unangenehm hoher, zum Räuspern animierender Stimme): Was soll denn die Scheiße? Im Hof stehen die bestellten zwei Tonnen Lametta. Würde sich einer dazu herablassen, mich zu bezahlen? Und versucht gar nicht erst, es in Naturalien zu versuchen, das zieht nicht mehr!

Die Wachen verschwinden verschämt wieder hinter den Vorhängen. Gustavo wirft beiden Handlangern bedeutungsschwere Blicke zu; der Handlanger rutscht unbequem auf dem Thron herum, der trotz all seiner Bemühungen auch nach einem Jahr noch kein Sitzkissen bekommen hat. Der Handlanger des Handlangers schürzt die Lippen und sieht selbstzufrieden auf den Boden.

HANDLANGER: Nun, äh. Wir sind ein wenig im Verzug!

KLEINER ALTER MANN (resolut): Das sehe ich!

HANDLANGER: Wir werden selbstverständlich … (wird von vor dem Fenster aufkommendem Tumult unterbrochen)

SCHRILLE STIMME AUS DEM HOF: Himmelarsch, Karl!

KARL (vermutlich): Reg dich ab, Gerda.

Man hört einige Rüstungen in rhythmischen Trab verfallen, zunehmend aufgeregte Stimmen rufen durcheinander. Die königlichen Trompeter nutzen die Gunst der Stunde, um das königliche Trompeten zu üben, ehe die Instrumente nacheinander abrupt verstummen. Schließlich legt sich unheimliche Stille über den Hof, fast so, als schritte ein Zauberer bedeutungsschwer über dessen Mitte und würde dabei düster unter seiner Kapuze hervor nach links und rechts sehen.

GUSTAVO (am Fenster): Schatz, sieh nur!

HANDLANGER (eilt zu ihm, wirft einen Blick auf den lehmigen, wenngleich winterlich gefrorenen Hof): Oh.

Es wird langsam dunkel. Vorhang.

1.     Akt, 2. Szene
Der Zauberer, ehemals Zauberlehrling, schreitet bedeutungsschwer über den Hof des Schlosses. Dabei wirft er düstere Blicke nach rechts und links. Der anwesende Hofstaat geht theatralisch aus dem Weg, vereinzelte Hofdamen fallen strategisch in Ohnmacht. Nachdem die königlichen Trompeten allesamt erstorben sind, hört man nur noch die königliche Pauke düstere und erstaunlich gleichmäßige Paukenschläge über den Hof pauken. Alle Augen sind auf den Zauberer gerichtet, der langsam im Spotlight weiterschreitet, während der Rest des Hofes dunkler zu werden scheint.

ZAUBERER (murmelt): Dem Untergang geweiht war der Hof; die Königin war weg, und ihre Schwester fand das gar nicht doof …

ZIERFISCHER (der die Schwere der Situation noch nicht begriffen zu haben scheint): Was?

ZAUBERER (bleibt kurz stehen, wirft dem Zierfischer einen irritierten Blick zu, geht weiter): Ach, nichts …

Vorhang.




[1] Wir entschuldigen uns im Voraus bei der Steincommunity und verweisen nur zu gerne auf die moralisch geradezu mittelalterlichen Verhältnisse, die zur Zeit des Drärchens in Fernizien geherrscht haben. Die Verfasser sind nach Beendigung der Niederschrift ein paar Hexen verbrennen und Gänse vergewaltigen gegangen; des Nachdrucks wegen.

[2] Wir entschuldigen uns auch bei den Gänsen und werden nun aus Platzgründen darauf verzichten, weitere Minderheiten zu erwähnen.
[3] Monarchiefreies Königreich

Dienstag, 1. Dezember 2015

Advent!*

Dear everyone,
heute hatte ich ein interessantes Gespräch mit meiner Namens- und Schreibgefährtin Isa, die sagte, aber auf dem Blog ist doch alles erlaubt.
Und wo sie recht hat, da hat sie so recht. Ist ja nicht so, als hätte ich Pulitzerambitionen hier. Oder irgendwelche Ambitionen (Ehrgeiz wird völlig überbewertet), außer dem ewigen zynischen Murmeln in meinem Kopf Auslauf zu verschaffen, damit es mal wieder ordentlich irgendwo hinkacken kann. Muss ja keiner reintreten.
Vor fünf Jahren war meine Expertise (Substantiv, feminin) diesbezüglich noch ein wenig ausladender (blümerant! Und weitere kreative Fehlverwendung hübsch klingender Worte. Dada! Es ist alles erlaubt im Krieg und in der Sprache. Oder dem anderen Dings mit L, brr). Heute wird jedes Komma hinterfragt, was ja bei Gedichten nett und wichtig sein mag (eine Tatsache, die Schüler nie verstehen werden), auf einem Blog, der einzig und allein dem endlosen verbalen Dünnschiss geschuldet ist, aber ein wenig hinderlich daherkommt.
[Viele sinnentleerte, nachträglich eingefügte Zeilen zum Test, ob der Link funktioniert, wenn er tiefer unten steht. Anekdote: gestern hat es auch geregnet. Oder gelb. Oder was auch immer. Am allermeisten stört es mich, wenn der Satz mitten drin]
Deswegen nun also und früher war mehr Plastikgebimmel zum an den Baum hängen:
Soeben kochte ich Nudeln. Ich hasse das Wetter so passend es auch erscheinen mag. Dereinst weihnachtete es sehr in meinem Kopf jetzt regnet es und lässt das Weihnachten bleiben. Draußen wie drinnen. In der Wohnung über mir bellt ein Hund. Jetzt klingelt auch noch das Telefon bei denen! Ich mag das Ausrufezeichen als solches nicht und nehme die Interpunktion des vorangegangenen Satzes zurück. Überhaupt Interpunktion. Versuch, ohne Kommas zu schreiben, an innerem Pingel gescheitert. Das Grauen überkam sie, als sie die Sätze ohne ihre Kommas sah, und nahm sich fest vor, sie im neuen Jahr auf die Transplantationsliste zu setzen. Sowieso, das neue Jahr, schon wieder eins, verdammt. Vor vielen Jahren schrieb ich ein Erhardeskes Gedicht über eine Waschmaschine, aber das finde ich nicht mehr. Ich habe kein Waschmittel gekauft, Mist.
recht haben, Recht haben, es gibt eine Duden-Sprachberatung (guten Tag! Was kann ich für Sie tun?), quasi die Grammatikhotline unseres Landes. Unseren Landes. Von unserm Land. 0900 1870098 Isa.
Letzte Woche war Thanksgiving und wir gaben reichlich, dann aßen wir reichlich, niemand musste sich übergeben. Der Backofen stand nur kurz in Flammen, quasi zu vernachlässigen. Wir sind heute noch satt. Und ausreichend mit Senf und Bürsten bestückt, die Apokalypse darf jetzt kommen (was, schon wieder?).
Auf meinem Schreibtisch steht seit gestern die LED Dekofigur "Schnee", halb verdeckt von bekritzelten Papieren und vollgerotzten Taschentüchern (Räum mal deine Taschentücher weg! dicht gefolgt von Häng mal deine Wäsche ab! auf der Hitliste der meistgehörten wie -gehassten Sätze meiner Jugend). Mein Virenscanner ist heute wieder sehr entschlossen. Manch einer kann Kathedralen in seine Nase stecken.
Und noch das hier (und alle so Isaaa).


*Womit dieser Text rein gar nichts zu tun hatte.

Samstag, 26. September 2015

30 ist eine Zahl zwischen 1 und 100.

Folgendes. Ich hatte mehrere Anläufe gestartet, einen Text zum Thema "30 werden" zu verfassen, und habe immer irgendwann aufgegeben. Dementsprechend lang haben meine Weisheiten jetzt auch gebraucht.
Und zwar, weil -
Weil ich immer irgendwann gemerkt habe, was soll ich denn sagen, das irgendwem irgendetwas bringen würde? Was bringt es, wenn ich hundert Seiten darüber schwadroniere, wie krass ich die Idee von drei Jahrzehnten finde, wenn es andere völlig kalt lässt (auch nurn Geburtstag ... wo sie recht haben)? Oder wenn ich der Welt mitteile, was man meiner Meinung nach vor der 30 mal gemacht haben könnte, womit man sich arrangiert haben könnte, worüber man schon mal nachgedacht haben könnte etc. etc. und bla bla bla. Nix bringts nämlich. Seltsame Idee, dieses etwas an einer Zahl festmachen. Der Gedanke, dass man mehr vom Leben verstehen muss, wenn man älter wird. Oder sich selbst besser verstehen muss. Ohne Zweifel lernt man über die Jahre dazu, nichtsdestotrotz gibt es Leute, die sind mit 24 weiser als andere mit 50. Altersweisheit, überhaupt. Was, wenn dieser Zustand nicht existiert und wir ihn uns bloß einreden? Was, wenn die Solipsisten recht hatten und sowieso alles nur ein einziger Bluff ist? (Oder so. Philosophen, bitte steinigt mich nicht.)
Was, wenn einfach bei allen alles anders ist als bei allen anderen, weil wir alle Individuen sind, deren Leben nicht anhand von Alterserwartungen gemessen werden kann?
Tja, verdammt. Was machen wir bloß, wenn wir uns nicht mehr in Schubladen ordnen können, wenn jemand mal was anders macht oder sich anders entwickelt als alle anderen. Wenn jemand mit 30 noch nicht erwachsen sein will oder kann, oder wenn jemand mit 40 kein Bock auf Kinder hat, oder wenn jemand schon mit 16 Mutter wird. Scheiße, da fallen die Leute durch alle Raster hier - und jetzt?
In jedem Fall: es gibt kein Fazit zum Thema "30 werden". Es gibt auch keine Liste, oder Ratschläge, oder irgendwas. Stattdessen gibt es ein: tut doch, was ihr wollt! Und tut es, wann ihr wollt. Ich persönlich (und ich bin ja leider auch jemand, der irgendwo viel zu viel auf das gibt, was erwartet wird. Weswegen ich schrecklich viel Zeit damit zugebracht habe, über diesen blöden Geburtstag nachzudenken. Aber! Nachdenken tut Not. Und ob man das jetzt tut, weil man 30 wird, oder weil man einfach nur nachdenken will, ist ja auch irgendwie egal) finde 30 bislang ziemlich geil. Und nein, nicht nur, weil ich jetzt die nächsten zehn Jahre eine 3 an mir pappen haben werde (fantastische Zahl, besser wird nur 70). Also, nicht nur.

So! Nachdem dieses Thema nun also abgearbeitet ist, ein wenig weniger esohafte Gefilde. Denn! Es existiert eine Liste (oh nein, also doch ...) über die Filme, die ich sehen will, zwischen jetzt und Silvester (Schwein gehabt). Sie ist vorläufig, sie ist großartig, sie ist lang.
Obacht! Here it goes:
(Man beachte, dass dieser Text eine Weile vor sich hingestaubt hat schon. Demenstprechend sind ein paar der Filme bereits angelaufen ... aber es ist ja nichts gegen einen guten Filmbinge einzuwenden, also gehet hin und schauet alle am Stück. Ich befürworte.)

- Frank (27.8. - hat mich auch überrascht! Dachte, der wäre schon gelaufen hier)
- Queen of the Desert (3.9.)
- Knight of Cups (10.9.)
- Life (24.9.)
- Maze Runner II (24.9. - Juchee! Juchee!)
- The Martian (8.10.)
- American Ultra (15.10. - Jesse Eisenberg, ach, wat ham wir dich vermisst!)
- Crimson Peak (15.10. - wenn ich nicht zu sissy bin dafür ...)
- The Tribe (15.10. - vielleicht. Vielleicht auch nicht)
- James Bond: Spectre (5.11. - Lalaa! Lalaa! Tataratataa! Ich freu mich)
- Irrational Man (12.11. - YES. Absolut. Woody Allen, Joaquin Phoenix UND Emma Stone. YES.)
- Mockingjay II (19.11. - Aaah. Ich bin SO gespannt)
- Diary of a Teenage Girl (19.11. - vielleicht)
- Me an Earl and the Dying Girl (3.12.)
- By the Sea (10.12.)
- Mistress America (10.12. - YES the sequel. Und wer Frances Ha noch nicht gesehen hat, der tue das. Schnell.)
- Star Wars (17.12. - aah. Die Musik spielt in meinem Kopf. Jetzt schon. Unablässig.)
- Carol (17.12. - Cate Blanchett and Rooney Mara go lesbian. Yay!)
- Joy (31.12. - we'll see)
- The Danish Girl (7.1. - jahaa, ich weiß, dass Silvester da schon rum ist. Trotzdem!)

Ja. Falls ich noch dazu komme, werde ich eventuell gelegentlich dazwischen duschen und ein Häppchen essen. Ansonsten findet ihr mich im Kino ...
Zusatz: Maze Runner. Erwähnte ich, dass ich die ganze Reihe in einer Woche gesuchtet habe? War ne gute Woche. Vermutlich die besten eigentlich irgendwie schlechten Bücher aller Zeiten. Und! Ich habe sie mir nun auch als Print gekauft. In einem Schuber. Einem Buchschuber. Mein erster, teurer, zu viel Wert auf Optik legender Buchschuber. Aber!
Ich darf das jetzt. Ich bin jetzt 30!

Dienstag, 25. August 2015

Bücher! Bücher!

Freunde des gehobenen Unfugs!
(Vorab: vor lauter Begeisterung über diesen nun folgenden Blog habe ich mich eben unter der Dusche am Duschwasser verschluckt. Da seht ihr mal, was ich hier auf mich nehme.)

Ich bin Literaturwissenschaftler. Naturgemäß sollte ich euch nun also erzählen, wie sehr ich es genossen habe, meine bisherigen Semesterferien damit zuzubringen, nochmal Goethes Gesamtwerk zu lesen und, zur Erholung nebenbei, alle Rollen im Othello auswendig zu lernen, im Original und mit Akzenten (ich weiß nicht, was ich für ein komisches Bild von Literaturwissenschaftlern habe, eigentlich kenn ich ja genug, um es besser zu wissen, aber das mal dahingestellt. Suhlen wir uns in Vorurteilen und erfreuen uns maßlos daran). Fakt ist aber, dass ich mich statt im Kanon in der Young Adult Unterhaltungs(igitt)literatur gewälzt habe und noch wälze, und es ist wunderbar. Es ist besser als Kaffee mit Butterbrezel und Brownies zu jeder Mahlzeit. Und da ich dieses wunderbare Gefühl ja nicht vor euch verheimlichen kann, hier nun also der überhaupt nicht polemische Aufruf zum nachmachen.

So höret und staunet!

Erstens:
The Maze Runner
Ja. Ich gebe es zu. Ich musste erst den Film sehen, ehe ich mit den Büchern angefangen habe. Hierzu sei zu sagen: der Film ist super. Man darf sich auf Teil zwei freuen.
Und die Bücher ... sind wirklich schlecht geschrieben. Und trotzdem total gut. Und wer diesem Mysterium auf die Schliche kommen will, der schalte nächsten Samstag wieder ein, bei Isa Erzählt Unsinn!
...
Nein. Es ist folgendermaßen: James Dashner bricht auf entnervendste Art und Weise sämtliche Schreibregeln, weigert sich standhaft, zu showen statt zu tellen (show don't tell, Freunde, show don't tell), hat inkohärente Charaktere, die alle ein bisschen bipolar wirken und sich nicht so richtig entscheiden können, wer sie eigentlich sind, wen sie mögen und wen nicht und warum. Dazu kommen haarstreubende Logiklücken und ein Plot, der zwar einen nachvollziehbaren Konflikt hat, aber trotz allem streckenweise grauenhaft konstruiert und unauthentisch wirkt.
Hab ich mal richtig Werbung gemacht hier, wa.
Trotz allem aber kann man das Buch nicht weglegen. Auf der ersten Hälfte vielleicht noch, ja (wer also entkommen will - tut es schnell!), danach, vergesst es. Ich habe Teil eins zum Großteil in einer Nacht gelesen (dabei alle fünf Minuten James Dashners Vertreter - das Buch - angeschrien, er könne überhaupt nicht schreiben! Und dann umgeblättert und weiter gelesen. Bis ungefähr morgens um vier), und mir innerhalb von zehn Minuten nach dem letzten Satz das zweite gekauft. Es ist ein bisschen rätselhaft. Andererseits: aller Makel zum Trotz will man wissen, wie es weitergeht. Irgendwie wachsen einem die Charaktere (oder: manche der Charaktere) doch ans Herz und man bekommt es mit der Angst zu tun (wehe, Mr. Dashner, wehe du ermordest meinen Lieblingscharakter). Außerdem ist das Tempo durchgängig gut, ausbalanciert, mal ruhiger, ziemlich oft ziemlich rasant, nie langatmig, zwar auch nie wirklich tiefgründig, aber mei. Wer stundenlang Charakteren beim Teetrinken zusehen will, dem empfehle ich dann doch eher ein paar englische Klassiker.
In jedem Fall: dieses Buch lohnt sich. Man sehe über Mängel hinweg, und ja, es gibt bessere YA Literatur da draußen. Aber das Gute am Lesen ist ja, dass man einfach alles lesen kann, es nicht dick oder krank macht, nicht verpönt ist, nicht illegal ist, und eigentlich auch sonst überhaupt keine Fehler hat. Keine! Also Ruhe jetzt.

Zweitens:
Silber
Von Kerstin Gier. Ja, eine Deutsche, hört hört! Es gibt sie noch, die deutsche Fantasy Jugendliteratur.
Zur Info: Die liebe Kerstin hat vor ein paar Jahren die Edelsteintrilogie geschrieben, Rubinrot und Irgendwasblau und Smaragdgrün, oder so. Letzter Teil dann Kackbraun, zumindest laut des toternst abgegebenen Statements meines Vaters nach einem ähnlichen Rant wie diesem hier eben, nur noch untermalt von aufgerissenen Augen und wedelnden Armen, da in der Unvirtualität (ja, so sollte man das nennen) angesiedelt. Das aber nur am Rande.
Jetzt ist es also so, dass Kerstin was neues hat, oder eigentlich nicht mehr neu. Okay, nochmal.
Nach der Edelsteintrilogie(r) hat Kerstin dann also was anderes geschrieben, nämlich die Silbertrilogie (Trilogien sind so in man, total fesch. Und eigentlich auch schon wieder out, mittlerweile). Auch Fantasy, auch Young Adult, auch schön. Ein Pageturner. Sogar ein gut geschriebener, mit Ausnahme einiger kleiner Beanstandungen, die aber vermutlich nicht der Rede wert und im Grunde nur meinem inneren Pingel geschuldet sind. Was muss man auch so verdammt akribisch sein, meine Fresse. Kann man nicht einmal ...
Alles auch sehr lesenswert also. Edelsteine wie Silber, anbei. Was die gute Frau sonst noch so geschrieben hat unterschlagen wir mal, denn das befindet sich in den Sphären der ChickLitHausfrauenMännersuche Literatur, und das ist ja nun wirklich unter unserer LitWiWürde ...

Drittens (und hier begeben wir uns in spekulative Gewässer):
Der Zahlenmörder
Ja. Es ist weder Young Adult, noch Fantasy. Es handelt von echten, erwachsenen Menschen, noch dazu in Bielefeld (vielleicht also doch ein bisschen Fantasy ... ach, wat ham wir gelacht). Und eigentlich lese ich es, weil es der (huch, Werbung) Grafit Verlag herausgebracht hat - und stellt sich heraus, da hatte der Grafit Verlag recht mit. Gutes Buch! Obwohl ich erst auf Seite 50 bin. Soviel zum Spekulativen. Andreas Hoppert, anbei. Ich lege es euch ans Herz, vorläufig. Wenn ich fertig bin und nicht mehr gut finde, lege ich es aber auch wieder weg, versprochen.
(Nachträgliche Anmerkung: es ist ein Krimi. Erwähnte ich, dass es ein Krimi ist? In jedem Fall ist es ein Krimi. Und nein, der Ermittler ist kein depressiver, geschiedener Endvierziger. Auch mal schön.)

Soho! Das wars.
Ich weiß nicht, wie diese Booktuber es schaffen, jeden Monat mindestens 37 neue Bücher zu empfehlen. Vielleicht lesen sie einfach schneller, wer weiß. Vielleicht sind sie auch alle Aliens, die auf die Erde geschickt wurden, um Menschen wie mir ein schlechtes Gewissen zu bereiten.

Dienstag, 18. August 2015

On Hermitism

Langsam glaube ich, wichtigstes Charaktermerkmal für angehende Schreiberlinge ist die Fähigkeit, tagelang ohne die Gesellschaft anderer Menschen zu existieren und sich dabei gut zu fühlen. Andere real existierende Menschen, meine ich damit. Imaginäre Freunde, treue Halluzinationen, oder Buchcharaktere sind okay.
Fakt ist, dass ich tatsächlich seit etwas über einer Woche nur eine Unterhaltung mit irgendjemandem geführt habe außerhalb der gängigen Möglichkeiten, die die physische Anwesenheit überwunden haben. Und selbst der Austausch, den ich mittels diverser okkulter Mittelchen wie dem beispielsweise Telefon hatte, hält sich in Grenzen. Direkter Menschenkontakt ist aktuell also eher die Seltenheit, und es ist fantastisch; man soll ja sowieso nicht so häufig duschen.
Ich plotte und schreibe, ja, liebe Welt (oder: lieber unbedeutend winziger Teil der Welt, der sich tatsächlich noch hier aufhält), die Blockade ist vorbei und die Sonne scheint wieder in meiner alternativen Realität, die ich mit meiner Entourage aus erfundenen Personen und Lebewesen bevölkere. Nicht so sehr in der echten Realität, aber das stört mich auch nur marginal. Alles ist, wie es sein sollte: ich verprokrastiniere den halben Tag auf Youtube und gehe dann frisch entnervt von meiner mangelnden Disziplin ans Werk, gegen elf Uhr abends. Dann läuft die Produktivität zu Hochtouren auf, letzte Nacht habe ich gegen vier meinen Laptop aufgeräumt und fand, das sei die völlig normale und vertretbare Uhrzeit dafür. Ich schreibe also und lebe aktiv den Schlafrhythmus eines Hamsters.
Im Zuge dieser wunderbaren Entwicklung habe ich auch ein paar Dinge herausgefunden: Jennys Wedding, neuer Homoehestreifen (mehr oder minder) mit, Obacht, Katherine Heigl in der Hauptrolle, enttäuscht zu großen Teilen. The Maze Runner (manchmal bin ich ein wenig langsam) hingegen enttäuscht überhaupt nicht, weswegen nach dem Film jetzt das Buch auf meinem Kindle eingezogen ist und sich da außerordentlich gut macht (Anm.: Der Film ist nicht auf meinem Kindle eingezogen. Nur, um Verwirrungen und Leserbriefen vorzubeugen). Hierzu sei zu sagen: der zweite Teil schlägt am 24.9. in unseren wunderbaren Kinos auf. Die Bücher aber kann man ohne Hemmungen auf einen Rutsch lesen, da bereits alles publiziert wurde, was es zu publizieren gab, inklusive eines Prequels der eigentlichen Trilogie - mit Ausnahme eines weiteren Prequels, das, soweit ich weiß, auf 2016 angesetzt ist.
Abgesehen davon ziehe ich es stark in Erwägung, die erste Staffel von You're The Worst nochmal zu schauen, da am 9.9. die zweite anläuft. Wer die Serie noch nicht kennt, der schaue sie: es ist großartig. Zwei Soziopathen versuchen eine Beziehung. Groß-ar-tig.
Weitere Onlineperle, die sich nebenbei auch absolut hervorragend zu Prokrastination auf olympischem Niveau eignet: http://www.untitledrothfuss.com/episodes (erwähnte ich schonmal, dass ich Pat Rothfuss verehre wie der Dodo die Wassermelone? Eventuell.)
Das Einsiedlerdasein lohnt also. Nichtsdestotrotz - auch die schlimmste Schreibwut braucht gelegentlich Unterbrechungen. So betrachtet ist es wahrscheinlich gut, dass ich ab Mitte September einen dortmunder Krimiverlag mit meiner täglichen Anwesenheit erfreuen werde. Auch wenn es danach vorbei sein wird, der sozialunverträgliche Lebensstil, für immer, möge man vermuten (ja, auch ich werde mein Studium irgendwann abschließen. Es hat ja nun doch ein paar Tage länger gedauert. Bei Kritik verweise ich immer wieder gerne auf den oben bereits erwähnten Pat Rothfuss und seinen formidablen Lebenslauf. Nicht, dass mich irgendwer kritisieren würde ...). Auch nicht unbedingt das Allerschlimmste; dereinst stellte ich fest, dass ich gerne früh morgens wach bin, selbst, wenn ich mich dafür vorher mit meinen klingelnden Weckern (Plural) auseinandersetzen muss. Gelegentlich wäre ich gern eine Lerche, aber! Was soll man tun. Einmal Eule, immer Eule.
Und damit entlasse ich euch aus Randomrambleland. Nachdem ich ja nun doch schon ein paar Stunden wach bin und schon in ausreichendem Maße nicht das getan habe, was ich tun wollte, könnte ich nun zelebratös meine gar nicht weihnachtliche Lichterkette einstecken und mich ans Werk machen. Meine imaginären Freunde rufen.

Cheers!

P.S.: Zudem besitze ich einen neuen Laptop. Ein (Aaah Achtung Product Placement Aaah) Asus ZenBook. Er heißt Ted und ist großartig. Wir werden heiraten. Da soll nochmal einer sagen, ich hätte keine Sozialkontakte gerade ...

Montag, 10. August 2015

Boah, total kreativ und so voll mit Tiefe.


Vor lockeren fünf Stündchen hatte ich mich zum Schreiben an meinen Schreibtisch gesetzt. Mein Vorhaben war klar: mein aktuelles Manuskript ist ein bisschen zu ambitioniert, als dass ich es hinbekommen würde, irgendetwas Brauchbares an dieser Front zu produzieren, ehe das Studium nicht zu Ende ist (ja, auch ich lebe mit der Angst, dass es auch hinterher nicht besser werden wird. Die einzige Lösung, die ich bislang zu diesem Problem gefunden habe, ist schnell das Thema zu wechseln und zu tun, als habe man das nervtötende kleine Stimmchen nicht gehört. "Du wirst auch nach dem Master keine Zeit haben!" - "Oh, der Müll müsste auch mal wieder raus ..." - Ja.). Also sollte etwas anderes her, etwas Geradliniges, etwas unter 600 Seiten, etwas, das vielleicht nicht zu jeder Nachtzeit vollste Konzentration erfordert, um sich nicht um sich selbst zu wickeln.
Dementsprechend also setzte ich mich übermotiviert mit dem obligatorischen Familieneimer Kaffee auf meinen Drehstuhl. Und öffnete Spotify. Hörte dann elf Songs, die ich gar nicht hatte hören wollen, die mir aber zu schnell in den auditiven Weg sprangen, als dass ich mich hätte wehren können, um dann das, was ich eigentlich hören wollte, nicht zu hören, weil sich Spotify noch rechtzeitig vorher aufhängte. Daraufhin verbrachte ich eine erquickliche halbe Stunde mit Wiederbelebungsversuchen, die schließlich darin resultierten, dass ich Spotify schloss. Und einen weiteren Eimer Kaffee aus dem Wasserkocher zauberte.
Daraufhin habe ich ein Weilchen die Notizen der vergangenen Woche gelesen, dann die Notizen von vor ein paar Monaten, dann war ich die obligatorischen sieben Mal auf dem Klo, dann habe ich die Notizen noch einmal mit einem Blick gestreift und mir dann überlegt, ob ich wirklich ein neues Manuskript anfangen sollte, oder ob das alte nicht eigentlich ganz okay ist. Dann fiel mir wieder ein, dass ich für das alte offenkundig zu wenig mentale Kapazitäten habe zurzeit, dann kam Eimer Nummer drei.
Ein Paar mal war ich auf Facebook. Ich habe zwei halbherzige Versuche gestartet, irgendetwas zu schreiben, das auch nur entfernt einem Outline gleicht, um dann zu bemerken, dass ich eigentlich gar nicht weiß, was ich schreiben will.
Gefolgt von der schrecklichen Erkenntnis, dass es Blockaden vielleicht doch gibt. Is this writer's block, God?!
Ich vertrat bis vor einer Stunde die Meinung, Schreibblockaden gäbe es eigentlich gar nicht, man müsse nur anfangen, der Rest komme von alleine. Jaahaaa, ganz toll! Die Einsicht kann sich gleich neben das blöde Stimmchen von vorhin setzen.
Ich glaube, Kreativität braucht Luft, wie Wein, vielleicht braucht Kreativität auch Wein, aber lasst uns das heute mal aussparen. In jedem Fall: ohne Luft und Raum und Freiheit keine Kreativität. Und wenn dann Raum und Freiheit da sind, dann braucht man ein bisschen Nichts, das darin steckt. Und dann, irgendwann, kommen auch wieder die (guten ..) Ideen. Denke ich. Hoffe ich zumindest, mit großer Hingabe und Aufopferung für die Sache.
Momentan aber ... habe ich Bulgur mit zuviel Wasser gekocht (Ich habe gelben Schleim gemacht!) und Around The World Tickets gegoogelt. Damit man vielleicht wenigstens nach dem Studium ein bisschen zum inspiriert werden kommt, oder zum abschalten, oder vielleicht studiere ich einfach schon zu lange. Zu. Lange. Es muss ein Ende haben.
(Alles hat ein Ende nur die Wurst hat zwei ... Und jetzt alle!)
Ja, es war ein unproduktiver Tag. Sollte dringend ein bis siebenundfünfzig Youtubevideos schauen.

Auf Wiedersehen.

Montag, 20. Juli 2015

Mut zum Kontrollverlust


Erstaunliche Dinge sind geschehen in den vergangenen sechs Wochen. Nicht alles davon war schön, aber der Großteil zumindest richtungsweisend. Es ist eine seltsame Sache, dieses Leben, aber man wälzt sich trotzdem irgendwie jahrelang hindurch, und auf einmal stellt man fest, dass man eigentlich beinahe klar kommt, dass es irgendwie okay ist, und dass (und jetzt Obacht) man sich im Grunde ganz gut fühlt dabei.
Manch einer mag vertraut sein mit meiner Grundannahme, dass das Konzept des Glücklichseins ein Mythos und dementsprechend natürlich nur verächtlich unter hochgezogenen Augenbrauen beiseite zu wischen ist. Tatsächlich bin ich mir immer noch nicht ganz sicher, ob dauerhaftes Glücklichsein ohne konstante Alkoholzufuhr möglich ist. Worüber ich aber in den letzten Wochen eine geradezu bizarre Klarheit erlangt habe ist folgendes: man kann sich wohlfühlen, zufrieden sein und irgendwie Spaß am Leben haben, auch wenn man einfach lebt wie bisher. Klingt komisch, is aber so.
Es ist ein obskurer Moment, wenn man sich dabei ertappt, wie man einfach zufrieden ist, obwohl man sich in so viele Dinge hineinsteigern könnte, die mal wieder nicht so laufen, wie das ursprünglich angedacht war. Wenn man merkt, wie man sich zwar der suboptimalen Natur mancher Angelegenheiten bewusst ist und das auch liebend gerne ändern würde, es aber gleichermaßen akzeptiert, dass das eben gerade nicht geht. Außerordentlich ungewohnt.
Ich weiß nicht so wirklich, woran diese ganze höchst befremdliche Entwicklung liegt und rede mir ein bisschen ein, dass alles auf mein jetzt bereits sechs Wochen altes Veganexperiment zurückzuführen ist; andererseits kanns das allein auch nicht sein. Viele Bananen sind ja schon toll und so, aber das Leben steht und fällt nicht mit der Banane allein (man verkneife sich die Vielfalt der Sexwitzchen, die mit dieser Aussage mitgeliefert wurden).
Was also dann?
Ich habe die Hoffnung, dass das, was hier gerade passiert, eine normale Entwicklung ist, die sich "erwachsen werden" nennen könnte, sofern man in solchen ausgelutschten Terminologien herumpulen will. Wir setzen hier erwachsen jetzt mal nicht mit langweilig gleich, auch nicht mit eingefahren und unflexibel und dem allem, sondern eigentlich nur mit - hm. Vielleicht ein bisschen klüger als zuvor? Wie auch immer wir das jetzt definieren, vermutlich bleibt das ohnehin jedem selbst überlassen, in weniger als zwei Monaten werde ich dreißig - was, wie ich gerade feststelle, ausgeschrieben noch viel beängstigender wirkt als ausgesprochen. Anders betrachtet aber, wenn dreißig werden mit Zufriedenheit einhergeht, dann tue ich es liebend gerne.
Dann wiederum lässt sich natürlich nichts an einer Zahl festmachen. Die schwammige Klarheit, die ich nun in minutiöser Kleinstarbeit erlangt habe, und der ich immer noch nicht wirklich über den Weg traue, ist anderen vielleicht in die Wiege gelegt. Andere wieder nennen mich Esofreak und halten sämtliche Epiphanien meinerseits für Humbug. Letzten Endes ist das aber alles irgendwie egal; was zählt ist das Ergebnis und auf dem Weg vom Startschuss bis zum sich gut fühlen ist alles erlaubt, was keinen umbringt. Folgendes allerdings halte ich für eine gute Grundlage: Kontrolle ist eine Illusion. Eine schöne Illusion, aber eine Illusion nichtsdestotrotz.
So wirklich weiß sowieso keiner, was er tut. Keiner weiß irgendwas und am wenigsten was er will. Morgens klingelt der Wecker und man steht auf, abends geht man wieder ins Bett, schon wieder zu spät, wieder keine acht Stunden Schlaf. Dazwischen weißes Rauschen, durchsetzt von Kaffeepausen.
Ich habe die Theorie, dass sich die Menschheit in folgende zwei Gruppen einteilen lässt: die, die ihre Wohnungstür abschließen, statt sie nur ins Schloss fallen zu lassen, wenn sie morgens aus dem Haus gehen, und die, die dasselbe tun, wenn sie sich nachts ins Bett legen, aber nicht umgekehrt. Noch bin ich zu keinem befriedigenden Pauschalurteil gekommen, was welche Gruppe aussagt, aber ich gehöre zu letzterer, fürchte um Leib und Leben und verwirkliche meinen Kontrollzwang in luxuriösem Türverriegeln.

"Universum hier, Isa hier, alles, wo es hingehört. Ich denke nicht nach. Ich schlafe." *

Ich befinde mich im eigentümlichen Zustand unabänderlichen Unwissens. Tun wir alle. Traditionell ist Nachdenken die Waffe meiner Wahl und ein Mangel an Kontrolle meine größte Angst, also baue ich Scheinsicherheiten mittels Grübeln und versuche, das Unkontrollierbare durch Gedanken kleinzusortieren. Ich lege im Kopf Butterbrotpapier über alles und ziehe mit weichen Bleistiften Linien um Zusammengehöriges, dann beschrifte ich, kritzele einzelne Worte in die formlosen Blasen: Freunde. Uni. Bücher. Sonstiges.
Oft ist das in Ordnung. Manchmal aber läuft der Verstand ins Leere, steuert auf etwas zu und verliert es kurz davor aus den Augen, rennt daran vorbei und braucht ein paar Meter, um seinen Lauf abzubremsen und umzudrehen und dasselbe noch mal zu tun, in die andere Richtung. Manche Sachen entziehen sich dem Nachdenken und verunsichern damit. Werden unberechenbar wie die schwarze Spinne, die man jeden Moment an der weißen Wand erwartet, abends, kurz bevor man das Licht ausschaltet.
Dann traut man sich nicht, hinzusehen. Will man aber. Und wenn man es tut, dann will man die Störung wegüberlegen, geht aber nicht. Man kann sie noch nicht mal wegdiskutieren. Kann keine schlüssigen Argumente finden und läuft im Kreis.
Wo soll das nur alles mal enden, fragst du dich jeden Tag die angemessenen siebzehn Mal und schüttelst dabei langsam den Kopf. Wohin soll das nur alles mal führen! Optionen:
a) zu Rum und Ehre
b) siehe c)
c) in die Klappsmühle
d) [Lücken bitte mit Kreativem füllen]
e) Arbeitslosigkeit, Geldnot und einem fürchterlichen Dasein im Freien bei Regen
f) nichts davon, mit Milch

Das Problem an allem: Kontrolle.

Man wird es schrecklich leid. Werde in Zukunft nur noch existentialistische Lyrik verfassen. Beginne Unterfangen mit Googlesuche 'Haiku'.
Was also jetzt? Ikeamöbel zusammenschrauben brachte keine Erleuchtung (obgleich die Erfahrung, ein "selbsterklärendes" Regal aufzustellen, um es am Tag darauf wieder ab- und dann richtig nochmal aufzubauen durchaus therapeutisch war). Nach fünfminütigem Überlegen stellt man fest: mehr fällt einem nicht dazu ein. Nichts, was wirklich irgendetwas bringen würde oder Sicherheit gäbe oder sonst irgendwie gut wäre. Alle Kontrollnetze, die man seinem Leben und sich auferlegt, sind schlechte Imitate von schlechten Imitaten von irgendetwas, das man sich in monatelangem Nachdenken als Theoriekonstrukt im Kopf zurechtgelegt hat und das vermutlich auch nur dort funktioniert.
Wenn einer fragt, was wir tun; wir proben das Reenactment von Zombieland. Alternativen wären in der Wüste Sterne anschauen, gerne auch mit Weltraumteleskop, obwohl eventuell schwer umzusetzen. Oder auch in Südfrankreich am Strand liegen. Man sollte viel mehr in Frankreich an Stränden liegen, macht halt bloß keiner, vermutlich nicht mal die Franzosen.
Sinnig wäre jedoch:
Den Kontrollfreak sperren wir im Keller ein. Zumindest planen wir, es zu tun, sobald wir ihn vom Treppengeländer losgerissen haben, an dem er sich krampfhaft festklammert und in voller Lautstärke IHR SEID ALLE DEM UNTERGANG GEWEIHT! schreit, seit ungefähr einer Woche.
Klingt durchaus plausibel; alles weitere findet sich dann.

Wir sehen: hat man erst einmal akzeptiert, nie wirklich Kontrolle über irgendetwas zu haben, lebt sichs deutlich entspannter. Vielleicht ist das ja des Rätsels Lösung, vielleicht komme ich langsam zu dem Schluss, dass Entscheidungen nicht so wichtig sind, wie ich immer dachte, dass es "das Richtige" nicht gibt, und dass man sich sein Leben zur Hölle machen kann, indem man mit diesen Tatsachen nicht klarkommt - oder es eben lässt und stattdessen Wein trinken geht. Seit einer Weile plädiere ich irgendwie für letzteres, und habe außerordentlich viel Spaß daran. Es lebt sich ziemlich gut in diesem eigenartigen Zustand des Zufriedenseins. Jetzt nur versuchen, nicht in alte Verhaltensmuster zurückzuverfallen, denn ein bisschen fremd bin ich mir schon, momentan. Andererseits kann man auch mit Fremden Wein trinken gehen, dann lernt man sich erfahrungsgemäß schneller kennen als ohne (vielleicht liegt ja doch alles nur am Alkohol, wer weiß).

In diesem Sinne, cheers!

* Wolfgang Herrndorf, Bilder deiner großen Liebe