Sonntag, 27. Mai 2012

Sprachloser Text ohne Worte


Heute sage ich gar nichts und bediene mich stattdessen der Worte eines anderen, weil es gerade einfach nicht geht, das selber Dinge sagen; meine Worte sind irgendwo zwischen früher und jetzt stecken geblieben und müssen erstmal alles realisieren, bevor sie sich wieder zu, ja, Wort melden. Außerdem ist so ein bisschen literarische Bildung ja nie ganz deplatziert, zumal mein Kopf schon weiß, was es zu sagen gilt, aber die Worte nun mal nicht wollen; und der gute Erich schafft das ganz hervorragend an deren Stelle, wie ich finde. Hier nun also fremder Federschmuck und als einzige konkrete Aussage meinerseits heute ein Danke, auch wenns nicht so ganz die acht Jahre waren- trotzdem.

Sachliche Romanze

Als sie einander acht Jahre kannten
(und man darf sagen: sie kannten sich gut),
kam ihre Liebe plötzlich abhanden.
Wie andern Leuten ein Stock oder Hut.

Sie waren traurig, betrugen sich heiter,
versuchten Küsse, als ob nichts sei,
und sahen sich an und wußten nicht weiter.
Da weinte sie schließlich. Und er stand dabei.

Vom Fenster aus konnte man Schiffen winken.
Er sagte, es wäre schon Viertel nach Vier
und Zeit, irgendwo Kaffee zu trinken.
Nebenan übte ein Mensch Klavier.

Sie gingen ins kleinste Café am Ort
und rührten in ihren Tassen.
Am Abend saßen sie immer noch dort.
Sie saßen allein, und sie sprachen kein Wort
und konnten es einfach nicht fassen.

(Erich Kästner)


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Dienstag, 22. Mai 2012

Weiteratmen



Ein Sommergewitter, draußen im Garten und wohl auch sonst überall. Das dunkle Fenster, das sich in rhythmischen Abständen für den Bruchteil einer Sekunde in die blendend helle Negativzeichnung der Außenwelt verwandelt und in düsteren Bildern das Leben an der Oberfläche skizziert: windgepeitschte Bäume, deren dürre Zweige verzweifelt versuchen, vor dem Sturm zu fliehen und doch nur mitgerissen werden, hilflos und dünn. Fliegende Blätter, von der vorangegangenen Sommerhitze schwach und ausgedörrt und jetzt durch die gewalttätige Entladung der Selben in ein frühes Grab befördert; ein paar panische Runden auf dem wütenden Wind und hinein in den Matsch. Und Wasser. Überall Wasser, eine Flut von oben und keiner, der ihr entkommen kann.
Die Welt vor dem Fenster lässt ihrer Wut freien Lauf, schreit ihre Gedanken rücksichtslos ins Leben hinaus, sollen die anderen doch damit klar kommen.

Im Inneren wirkt alles still. Die Geräusche des Kriegs vor der Tür sind zwar gut zu hören; das Fenster steht offen, vereinzelte Wasserspritzer auf dem Fensterbrett, Windböen, die sich kalt in die eigenen Gedanken schieben und die Haare auf den Armen zornig die Fäuste heben lassen. Aber die Außenwelt mit all ihrer Theatralik und ihrem Lärm, ihren dramatischen Gesten und Wutausbrüchen unterstreicht nur den krassen Kontrast, hebt die Leere, das Schweigen im Inneren hervor.
Wir schweigen. Sind still. Schweigen still und leiden heimlich, wenn wir es denn tun.
Man wünscht sich, eins der Blätter zu sein, vom Sturm weggeweht zu werden, vom Winde verweht; auf Wiedersehen, es war sehr schön, aber jetzt ist es Zeit, zu gehen.
Und gleichzeitig wünscht man sich, bleiben zu können. Dem bekackten Gewitter den Finger zu zeigen.
Und dann kommt einem das verdammte Leben dazwischen und tut einfach, was es will. Und lässt einem keine Wahl, als mitzuziehen: der Platzregen kam und brach die Zweige ab, die zuvor noch so standhaft ihre Stellung gehalten hatten, wenngleich eine Zeit lang willenlos dem Wind ausgeliefert. Und jetzt trudeln sie wild mit den Blättern von einem Wirbel in den nächsten, stetig fallend, immer ein bisschen tiefer sinkend, bis sie schließlich auf dem Grund ankommen und einfach liegen bleiben. Keine Energie mehr.

Gewitter kommen und gehen, dazwischen sind sie laut und herrisch und lassen einem nicht viele Wahlmöglichkeiten, mit ihnen umzugehen: man schaut ihnen zu und wartet ab oder man schaut weg und wartet ab.
Und wenn man fertig gewartet hat, auf welche Art auch immer, wird es dunkel und still draußen. Die Stille aus dem Inneren wird zur Stille auf der Außenseite, alles ist ruhig. Das Fenster steht immer noch offen und prüfend blickt man hinaus ins Schwarz, in die Ruhe nach dem Sturm-
und wenn lange genug nichts mehr passiert ist, dann steht man auf und schließt das Fenster.
Und dann: weiteratmen.

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