Samstag, 24. Januar 2015

I'm not a fighter, I won't fight you

... und irgendwann kann man richtig nicht mehr von falsch unterscheiden und vorwärts nicht mehr von rückwärts, man weiß nicht mehr, ob was man tut einen Sinn ergibt, oder ob man sich den Sinn nur einredet, weil er eben gerade so schön ins Bild passen würde; man weiß nicht, ob man sich selbst täuscht, indem man sich sagt das ist jetzt so, oder ob man nicht vielleicht eigentlich gar nicht mehr weiß, ob irgendetwas eigentlich noch einen Nutzen hat oder ob wir im Grunde nicht sowieso alle nur wie die kopflosen Hühner über unseren kosmischen Spielplatz torkeln, ab und an gegeneinander stoßen und die Bedeutung davon hoffnungslos falsch verstehen.
Vielleicht sind wir auch einfach alle irgendwo auf der Strecke wahnsinnig geworden und keiner hats gemerkt.
Die Tage sind zu kurz und ähneln mehr denn je der Messywohnung; deckenhoch schwankende Stapel schlecht sortiertes Irgendwas, mit Mühe und dem System jahrelanger Unordnung findet man ungefähr die Hälfte von dem, was man sucht. Der Rest modert vor sich hin, wird vergessen, oder später wiedergefunden; zu viel von allem und nichts scheint entbehrlich, heute habe ich schon wieder das alles nicht gemacht, ich sollte anfangen Not To Do Listen zu schreiben, so viele Dinge, die ich nicht getan habe und dann abhaken könnte. Vielleicht ist man auch einfach zu langsam, vielleicht sollte man aufhören zu schlafen oder weniger grübeln.
Man schleppt ein ständiges Gefühl irgendetwas vergessen zu haben mit sich herum. Irgendetwas, auf dem Weg zwischen Vergangenheit und Zukunft. Es ist nicht das Jetzt, nein, das drängt sich sehr penetrant in den Vordergrund und schiebt damit den Konjunktiv in die hinteren Hirnregionen, wo er zum schlechten Gewissen wird. Das Jetzt ist groß und pulsiert wie eine Eiterbeule, manchmal tut es auch weh. Am Fuße des Jetzt hat sich viel bald, morgen, heute Abend, vielleicht später angesammelt und wartet, klein und ein bisschen unscheinbar und halb vergessen im alles unter sich begrabenden Schatten der Gegenwart, die mit zu viel gefüllt ist, was vielleicht nie hätte darin sein sollen und trotzdem auf eine perfide Art Sinn ergibt (da ist er wieder).
Und so oft droht einfach alles im Dunkel zu verschwinden, obwohl man sich nichts mehr herbeisehnt als Licht; so häufig liegt man nachts wach, obwohl man nur schlafen will; andauernd droht einen das Leben zu überfluten mit all seinen kleinen, hinterhältigen Komponenten, die einem in den Rücken fallen, sich anhäufen und groß werden, eine Flutwelle, die sich meterhoch auftürmt, den Himmel zur Erinnerung verkommen lässt und auf einen zurast, bis man in einer letzten Momentaufnahme den Dreck darin sieht, eine braune Wand, eingefroren in den Details der letzten Sekunde, ehe sie über einem zusammenschlägt, unter sich begräbt und alles, was war, mit sich nimmt.
So oft, zu oft, fühlt sich das Leben so an. Manchmal ist es laut dabei, schreit einen an, hundert Stimmen aus weit aufgerissenen Mündern, der Zug, der durch den Kopf rast, von nirgendwo nach nirgendwo fährt, voller Menschen mit Augen, die nur aus Weiß zu bestehen scheinen, Haare flattern im Wind.
Und manchmal ist es leise, farblos, kalt, irgendwo unter Null, unter neutral, langsam und schwerfällig und eingepackt in feuchte Watte, die nichts rein, aber auch nichts raus lässt.
Manchmal lebt man auch auf ihr, der Nullinie, wenn man Glück hat häufig, irgendwo in der Neutralität.
Und manchmal fängt das Leben an zu leuchten, wird groß und bunt; die Sonne, die auf die Häuserfront fällt und eine Phalanx aus Farben daraus macht; Lichter und das ewige Blau über dem Kopf, das ebenso wie die Wand aus Wasser zuvor über einem steht, aber einen in sich aufnimmt, fliegen lässt. Die Sonne, die auf die geschlossenen Lider fällt und die Welt in Rot taucht, die auf den höchsten Stellen des eigenen Gesichts aufprallt und sich in die weiße Haut gräbt und die noch fadenscheinige, aber stärker werdende Wärme in einen hineinträgt, wo man sie versucht, aufzufangen, zu konservieren, für schlechte Tage einzulagern.
An manchen Tagen sieht man sich selbst an und merkt, dass es okay sein kann. Dass es sogar gut sein kann. Dann sieht man die Menschen, mit denen man sein Leben teilt, und weiß nicht mehr wohin mit sich, man möchte lachen vor Glück und tut es auch. Man merkt, dass die vielen kleinen, hinterhältigen Dinge, die zwar so häufig groß und überwältigend werden, auch so unbedeutend sein können, wenn man sie in Relation zu allem anderen setzt; wenn man es will, und wenn man es schafft, in den Momenten, in denen einem schon die Gischt des Tsunamis ins Gesicht spritzt, sich zur Ruhe zu zwingen.
In den Augenblicken, in denen das Leben einfach nur gut ist, in denen der seltene Vogel kommt und kurz bleibt, ehe er weiterfliegt, merkt man, was man eigentlich hat. Trotz allem, was passieren oder nicht passieren mag - das hier ist mein Leben, und ich wünschte, es würde häufiger jemand kommen, mit auf die Schulter tippen und sagen: jetzt.
Denn schneller als einem lieb ist ist der Vogel weitergeflogen und hat die leuchtenden Häuserfronten und die Sonne mit sich genommen. Alles türmt sich wieder auf (vielleicht hatte es sich auch nie abgetürmt), und irgendwann macht sich der Eindruck bemerkbar, dass man verlernt, Worte aneinanderzureihen, Sätze zu bilden, Sinn zu ergeben. Gleichermaßen drängt sich das Gefühl auf, auch aus Worten und Sätzen, die man liest, keinen Sinn mehr ziehen zu können; vage Bedeutungen verschwimmen im Kopf und schließen sich zu bunten Spiralen aus Konditionalformen zusammen, ein einziger Rausch aus Missverständnissen, hinein in den Ausguss aus Gedankenmüll, weg damit, weg damit.
Manchmal wird das Geradeausdenken schwierig, also denkt man in Kreisen, malt Flächen mit Farbe aus, statt Worte zusammenzukleben. Manchmal, manchmal auch häufig, braucht man leiernde Rhythmen und Stimmen und Melodien, weil alles andere zu konkret ist und man geradlinig ja nicht mehr vorankommt. Dann wacht man morgens auf und die Welt ist weiß, man fängt an, sein altes Leben zu vermissen und fragt sich einmal mehr, wo das eigentlich hinführen soll, aber das weiß man ja nicht. Alles scheint zeitgleich richtig und falsch zu sein. Man landet im Kinderliedland des eigenen Kopfes, wo alles alles bedeutet und deswegen gar nichts, wo einem nichts anderes übrig bleibt, als weiterzumachen und auf die Sonnentage zu warten; die, für die es sich lohnt, die Tage, an denen man das Tippen auf der Schulter spürt und die Stimme hört: jetzt.