Dienstag, 22. Juli 2014

Tick Tack


Ten years have got behind you, no one told you when to run, you missed the starting gun -
So you run and you run to catch up with the sun but it's sinking, ...*

In fünf Monaten ist Weihnachten. Gerade eben erst bin ich nach Irland geflogen, jetzt ist es beinahe schon wieder ein Jahr her, dass ich in den Flieger gestiegen bin.
Nächstes Jahr werde ich 30. Freunde, die heiraten, sind keine Seltenheit mehr. Kinder wohl nur eine Frage der Zeit.
Eine Frage der Zeit ...
Mit sieben erschien der Vormittag unendlich lang, bis man endlich mittags um eins seine Freunde zum spielen hat treffen können. Mit sechzehn war eine Doppelstunde Mathe und das Warten auf den freitäglichen Tanzkurs das langwierigste und quälerischste Folterinstrument der Welt. Dann wird man zwanzig und dann achtundzwanzig - und immer wieder verändert sich alles, man sieht die Welt aus anderem Winkel, und die Zeit vergeht schneller. Und schneller. Und schneller.
Irgendwann fragt man sich: wenn das so weiter geht, komme ich noch dazu, alles zu tun, was ich tun wollte? Was war das gleich nochmal? Habe ich noch genug Zeit, eine Liste zu schreiben? Ist es schon an der Zeit für die Bucket List, oder kann ich vorher noch kurz aufs Klo? Dauert auch nicht lang.
Das tut das Leben auch nicht. Muss ein himmlischer Witz sein. Bin gleich wieder da, werde schnell wiedergeboren und bring ein weiteres Leben hinter mich - dauert nicht lang. Ja, haha, ich lache. Aber wo sie recht haben, achtzig bekackte Jahre sind bekackt wenig. Und eigentlich überhaupt nicht bekackt - so man den Startschuss nicht verpasst.
And you run and you run ...
Kann man alles aufholen? Kann man verpasste Dinge nachholen wie versäumte Vokabeln in der letzten Stunde oder Alkoholeinheiten, die einem die anderen voraus haben, wenn man später zur Party kommt?
Hm. Da scheiden sich die Geister wohl mal wieder mit Begeisterung, in etwa wie beim Schlaf nachholen. Wissenschaftler sagen, geht nicht, ich sage, geht wohl (tja, wem glaubt man da jetzt. Schwierig, ich weiß ...). Und genauso sage ich auch hier: geht wohl. Wem nicht erst mit 79 einfällt, dass er mit 80 gerne promoviert wäre, vorher aber erstmal die Hochschulreife machen müsste, der kann wohl nachholen, was bislang vielleicht verpasst wurde (und selbst was realistisch nicht mehr erreichbar ist - der Wille zählt! Realismus wird sowieso furchtbar überbewertet). Man muss es nur tun, was wahrscheinlich die größere Herausforderung ist.
Meine Oma ist mit 82 (oh Gott - glaube ich ...) Jahren gestorben, und hat, so zumindest das Hörensagen, mindestens seit meiner Geburt in regelmäßigen Abständigen unheilvoll verkündet, das doch sowieso nicht mehr zu erleben (was auch immer, lasst euch was einfallen. Den nächsten guten Sommer [hier wiederum, wenn man meiner Mutter glaubt, dann lag sie damit richtig, meine Oma]? Den ersten schwarzen Präsidenten Amerikas? Ein Oscar für DiCaprio? Man weiß es nicht). Mit der Einstellung wird das nichts, nein. Jetzt ist sie ohnehin tot, von dem her brauchen wir das jetzt auch nicht mehr krümelig reden, aber das Prinzip bleibt ja bestehen. Wer mit 65 beschließt, Opernsänger zu werden, obwohl er bislang hauptberuflich Hemden gebügelt hat - der solls doch tun! Und sich nicht davon abhalten lassen, was die anderen sagen. Was die Wahrscheinlichkeitsrechnung sagt. Oder der "gesunde Menschenverstand" (ohnehin ein bescheuerter Ausdruck, der hat einen schon von so vielen Dingen abgehalten, dieser Menschenverstand, gleichzeitig scheint er aber absolut nichts dagegen einzuwenden zu haben, andere Menschen aufgrund ihrer Religion umzubringen .... okay, nicht politisch werden Isa). In jedem Fall. Run, run, try to catch up with the sun - und wenn sie dir dann vor der Nase im Horizont versinkt und dabei vielleicht noch hämisch lacht, dann lach halt hämisch zurück. Immerhin hat man es versucht, und wer sagt einem denn, dass es dabei nicht auch geblieben wäre, hätte man seine Versuche vierzig Jahre früher gestartet?
Eben. Keiner. Nicht mal der gesunde Menschenverstand.
Mein Punkt ist also: Tut. Es.
Hört auf nachzudenken und fangt an, zu tun. Egal wie alt man ist, egal wie "die Umstände" gerade sind, egal, ob man glaubt, gerade Zeit zu haben oder nicht. Wer sich immer mit "keine Zeit" rausredet, der will ohnehin nicht. Denn wer will, der tut auch, auch wenn er keine Zeit hat (mal ehrlich - wir haben alle gleich viel Zeit. Es ist alles eine Frage der Aufteilung).
Also, nochmal für alle: wer sich das nächste Mal überlegt, gerne etwas zu tun, und dann sofort im erstbesten Nebensatz das aber feiert und sich hundert total plausible Ausreden einfallen lässt, weswegen es jetzt gerade nicht geht, die dann am besten selbst noch glaubt und dabei gestresst die Backen aufbläst und sein Gegenüber leidend anschaut - get a grip. Niemand steht uns im Weg außer wir selbst (in der Regel, wir gehen jetzt einfach mal davon aus, dass keine unterdrückten Farbigen aus dem Jahr 1800 mitlesen). Zur Motivation stelle ich mir gerne musikalisch unterlegte Szenen von mir selbst auf vor Standing-Ovations wackelnden Bühnen vor, oder mich auf einer hohen Klippe, Haare und weite Gewänder wehen im Wind (letzteres nenne ich den Lord of the Things), den Blick Caspar-David-Friedrich-Style in die am Horizont verblauende Ferne gerichtet, vielleicht mit Inception Soundtrack im Hintergrund. Ihr dürft euch alternativ natürlich auch die holde Jungfrau aus dem Turm rettend vorstellen, oder meinetwegen beim Eiskunstlauf Gold gewinnen sehen, was weiß denn ich. Wichtig ist, dass es getan wird, größenwahnsinniges Fantasieren ist eine hervorragende Motivation.
In jedem Fall. Es gibt kein zu spät, solange ihr nicht gerade röchelnd auf dem Sterbebett euer letztes Lüftchen raushaucht. Und selbst dann könnte man vielleicht noch einen Versuch starten. Ich meine, wer weiß? Letztendlich müssen wir Glück haben, mit fast allem, aber wer dem Glück keine Angriffsfläche bietet, der pisst sich doch von vorn herein selbst ans Bein (und ich habe mir sagen lassen, mit der Zeit stinkt das gewaltig). So denn - Hanging on in quiet desperation is the English way; die Engländer in Ehren, aber da mögen sie falsch gepolt sein. Und Pink Floyd mit ihnen.
The time is gone, the song is over -  thought I'd something more to say.

Dann tuts doch, bitte. Tut euch einen Gefallen und tut es.

Bye.

* Pink Floyd, Time.