Freitag, 31. Januar 2014

Zeitraffer, SlowMo und die Flucht nach vorne


Freunde der Nacht!

Exakt vier Monate habe ich mich in eisernes Schweigen gehüllt. Selbstredend geplant und einem höheren Zwecke dienend, is klar, ne. Und ich wünschte, ich könnte jetzt mit neuem Layout/Design/Bannerlogo/Mittagstisch mit/ohne Getränk aufwarten, aber, nee, is alles beim alten, mit Ausnahme, dass ich das Gefühl habe, ein bisschen aus der Übung zu sein. Dennoch lässt man es sich natürlich nicht nehmen, nun, in gebührendem Abstand zum letzten sinnfreien Erguss, mal wieder eine Botschaft in den Äther zu schicken. Und zwar, wie wäre es mit, ich weiß nicht, hm, Zeit.
Komische Botschaft, höre ich es da aus den hinteren Reihen, verstohlene Blicke zu den Nebensitzern in den vorderen, was ist jetzt in sie gefahren, als nächstes wird sie mit einem toten Hasen auf dem Arm von Bild zu Bild laufen und Ja Ja Ja, Nee Nee Nee murmeln bis uns die Ohren bluten. Aber seid versichert, das wird sie nicht tun, denn erstens fehlen ihr die Bilder, und zweitens der Nager. Abgesehen davon wäre dem toten Hasen die Bilder nochmal zu erklären natürlich pädagogisch höchst wertvoll und dementsprechend in näherer Zukunft in den Bildungsplan aufzunehmen, aber das nur am Rande. (Ein bisschen weiter am Rande noch als das schon: ist ein Hase überhaupt ein Nager?)
Nun aber, Zeit, rief sie theatralisch und riss die Augen auf, Zeit, das geflügelte Monster, das Schwein, das uns ein Schnippchen schlägt (ich entschuldige mit präventiv aus rechtlichen Gründen bei allen mitlesenden Schweinen. Ihr seid eine edle und verkannte Rasse, der Ente, dem königlichen Federvieh, nicht unähnlich, aber aus literarisch-phonologischen Gründen lasse ich vorangegangenen Satz trotzdem so stehen. Ätsch bätsch.). Vier Monate seitdem ich zuletzt hier war, und vier Monate, seit ich zuletzt in Deutschland war (so grob), und dazwischen? Zeitraffer.
Vielleicht ist das ja das eigentliche Problem, nicht die Zeit als solche, sondern die Art und Weise, wie sie läuft. Natürlich ist es das, ohne Zeit wäre alles ein wenig schwierig, wenn nichts vorwärts (oder rückwärts) ginge, dann ginge es nirgendwohin, wir würden faktisch auf der Stelle treten, nein, wir würden vermutlich nicht mal existieren, und was nicht ist, kann auch nicht stehen bleiben, oder sich überhaupt erst zu bewegen anfangen. Unsere Existenz wäre in der Nichtexistenz der Zeit, und ergo der Bewegung aller Dinge, im Keim erstickt worden und wir wären nichts als gedankenförmige Hypothesen, irgendwo im Äther, wo wir dann unserem potentiellen Dasein in der Theorie frönen und dabei mal so richtig über die Stränge schlagen würden. Wasn Leben.
Das Problem als solches ist also nicht die Zeit, sondern der Zeitfluss. Der während aufs absurdeste ausufernder Mathestunden scheinbar so endlos dehnbar, und während anderer, angenehmerer Tätigkeiten so ultrakomprimierbar wirkt, als gäbe es ihn gar nicht. Als wäre der Zeitfluss im Grunde auch einfach nur das, was wir wären, gäbe es die Zeit nicht: eine Idee.
Und, oh, wir driften in gefährlich philosophische Gegenden ab hier, meine Lieben. Wenn Zeit also eine bloße Idee ist, wir ohne sie aber nichts wären, zu was macht das uns dann, im Umkehrschluss?
Gut, aber damit wollten wir uns eigentlich nicht aufhalten. Darüber könnt ihr dann heute Nacht nachdenken, wenn ihr schlaflos in euren Bettchen liegt, an die Decke starrt und über die Existenz des Hundes nachdenkt. Oder auch über die Möglichkeit, dass der Mensch eine bloße Idee ist.
Gut. Bleiben wir aber beim Thema: Zeit. Vielgefürchtet, der Gegner, den es zu besiegen gilt, den aber nie jemand schlagen wird, der uns immer die Zunge rausstreckt, sei es, weil er mit wehendem Morgenrock davonsaust und uns zurücklässt, mit offenem Mund, oder sei es, weil er einfach stehen bleibt und die Landschaft bestaunt, genau dann, wenn wir nicht schnell genug davon kommen können. Trotzdem rennen wir alle gegen ihn, wollen immer schneller sein, schneller als die Zeit, die ja eigentlich ohnehin nur eine Hypothese ist, wie wir ja soeben festgestellt haben, und dementsprechend wohl eher schwer zu besiegen. Ich meine, wie wollte man die Idee von Grün besiegen? Geht nicht. Erstmal wissen wir nicht, ob jeder dieselbe Idee mit sich durch die Gegend trägt. Wer weiß? Vielleicht ist meine Idee von Grün für Versuchsperson A eigentlich Schokoladeneis und für Versuchsperson B kopulierende Bienen im Gegenlicht. Wer weiß.
Dasselbe geht aber auch für die Zeit. Nehmen wir mal American Hustle: für mich waren das entsetzlich lange zwei Stunden, für die Academy scheinbar nicht, oder woher, bitteschön, kommen diesen ganzen bizarren Oscarnominierungen? Da seht ihrs. Zeit ist relativ wie Grün relativ ist und was relativ ist lässt sich nur schwer auf einen gemeinsamen Nenner bringen, was den Kampf dagegen enorm erschwert.
Aber das nur mal dahin. Gekämpft wird ja trotzdem, dafür, damit, dagegen an. Gewinnen tut keiner, man merkts nur nicht, man spürt nur immer wieder recht deutlich, wenn man verloren hat. Wobei "verloren" auch ein seltsamer Begriff ist im Bezug auf etwas, das sich so vollkommen unserem Einfluss entzieht und, wie wir ja nun wissen, auch so grundlegend notwendig für unser gesamtes Dasein ist, dass ohne einfach nichts wäre.
Und trotzdem fühlen sich manche Dinge einfach wie Niederlagen an, wie grausame Niederlagen. Man will nichts mehr als anhalten, aussteigen, einmal drumherum gehen, tief einatmen, sich nen Kaffee holen, sich bereit machen für das, was kommt: das Ende -  aber man kann nicht, die Zeit läuft weiter und pfeift dabei noch fröhlich, denn ja, sie hats mal wieder geschafft, sie hat uns überlistet.
Und dann steht man da. Und guckt dem langsam verblauenden Punkt hinterher, der eben noch jetzt gewesen ist und der nun auf einmal gestern, vor einer Woche, vor einem Jahr ist. Vorbei ist, nicht mehr wiederkommt. Und mann zieht die Nase hoch und spuckt auf den Boden, verfluchter Bastard, murmelt man, dreht sich um und geht in die andere Richtung davon.
Manchmal dauert es länger, manchmal weniger lang. Aber meistens geht es schnell, und auf dem Weg schenkt man den Kleinigkeiten zu wenig Beachtung. Das fällt einem erst ein, wenn es zu spät ist, und dann geht es nicht mehr.
Aber: Niederlage?
Nur, wenn wir es eine sein lassen. Relativ, wir erinnern uns? Keiner kann uns sagen, dass wir besiegt worden sind, wenn keiner wirklich weiß, gegen wen wir angetreten waren, und wie eine Niederlage auszusehen hat. Wir können auch einfach sagen, nein, ich nenne das jetzt einen Sieg. Oder zumindest unentschieden.
Zeit vergeht, immer, und wir können es nicht ändern. Ideen kommen und gehen, verändern sich, werden groß, ziehen aus, bauen sich ein eigenes Leben auf. Gehen zu ende, enden in einem Flug nachhause, einer Busfahrt nachhause, ein paar Tränen, aber auch in einem Neuanfang. Wir müssen uns nicht besiegen lassen, es sei denn, wir wollen es - und wer verliert schon gern? Stattdessen kann man das nehmen, was war, den kleiner und unschärfer werdenden Punkt in der Ferne nehmen und auf unser hypothetisches (da ist es wieder), imaginäres Trophäenregal stellen und darunter ein Schild anbringen. Uns daran erinnern, und uns dabei nicht ins Gedächtnis rufen, dass es wieder viel zu schnell vorbei war, dass wir nicht genug aufgepasst haben und jetzt keine Wiederholung läuft, dass wir schon wieder zu langsam waren, während uns alles davongelaufen ist - stattdessen können wir uns daran erinnern, wie schön es war, und dass wir uns glücklich schätzen können, soviel Zeit dafür gehabt zu haben. Auch wenn uns eine Woche, vier Monate, ein Leben wieder viel zu kurz erschienen sind.

In diesem Sinne, soviel zur Zeit.
Vielleicht bis bald, man gibt sich Mühe.
Slainte!