Donnerstag, 19. Januar 2012

Prayer 1

Mein Herz schlägt laut und immer wieder,
Ich beobachte die Stille da draußen und
Den Lärm hier drin, zerbrochen
Vom Schlagen, vom Schlagen; gerochen
Habe ich schon lange nichts mehr.
Nicht Rauch, nicht Scheiße, kein Flieder.

Was sagen sie dir, wenn du zur Schule gehst-
Sie sagen, geh nicht mit Fremden, trödel nicht rum. Sie sagen, nimm keine Süßigkeiten, später sagen sie nimm keine Drogen, dann sagen sie nimm dein Leben unter die Lupe. Wir lieben sie, wir hassen sie- und das ist der Punkt, an dem das Porzellan springt, an dem das stinkende Dunkel auf den Asphalt tropft, an dem der Schein, der schöne, schöne Schein endet und das Leben anfängt.
Mein Herz schlägt, laut und herrisch, in meiner Brust, und nein, es ist nur eins. Ich liege auf der Seite, der linken, und höre, wie es mich von innen verprügelt, ruhelos; es schreit mich an: hier bin ich, hier bin ich, tu schon was.
Ich will doch nur schlafen.
Ich drehe mich auf die rechte Seite, leiseres Schlagen, Gnade der Anatomie. Meine Hand kribbelt, wächst meine Zunge wirklich oder redet sie mir das nur ein, hinterhältige Kollaborateurin meines verräterischen Herz?
Herzklopfen. Kein Rasen, nur Klopfen. Laut und vernehmlich ('Muss ich jetzt sterben?'). Ich drehe mich auf den Rücken und lege meinen kribbligen Arm hinter meinen Kopf.
Meine Augen sind geschlossen, aber meine Lider zucken nach oben. Es ist überall dunkel.
Ich winkle ein Bein an. Mein Herz beruhigt sich ('Gott sei Dank, ich muss nicht sterben.').
Mein Kopf liegt. Auf dem linken Ohr, auf dem rechten Ohr, auf dem Hinterkopf, auf dem Gesicht. Mein Kissen führt die "Widerspenstige Zähmung" auf, ich werde es an der Schauspielschule anmelden, sobald ich Zeit dafür habe, es hat wirklich außerordentliches Talent. Ich rolle mich zu einem Ball zusammen, ein Fötus, fest verschnürt von unablässigen Gedanken und verstreichender Zeit. Noch drei Stunden. Noch zwei Stunden. Noch eine. Morgen.
Mein Kopf ist so laut, so verdammt laut. Waren das Zeiten, als nur mein Herz geprügelt hat.
Mein Kopf schreit mich an, ich weiß nicht genau, worüber oder weswegen, aber ich bemühe mich, gewissenhaft zuzuhören, stundenlang, dem ausschweifenden, selbstverliebten und unablässigen Monolog meiner rastlosen Gedanken.
Ich kann nicht schlafen.
Manchmal ist es ein Murmeln, manchmal ist es ein Zug, ein lauter, rasender Zug voller Verrückter. Weit aufgerissene Augen, Haare wehen im Wind, Chai, Chai!
Ich kann nicht schlafen.
Ich stehe auf, ich laufe auf und laufe ab; ich gehe aufs Klo und trinke einen Schluck Wasser, sollte Vodka sein, hab ich keinen.
Ich schaue auf die Uhr, zum sechshundertfünften Mal in dieser Nacht, einer von vielen in einer endlosen Folge derer.
Ich bin müde habe Augenringe bin bleich und meine Haare sehen schrecklich aus, ich könnte duschen (Nein, du duschst jetzt nicht, morgens um vier). Ich könnte lesen.
Ich lese. Mein Kopf ist abgelenkt und kurzzeitig zufrieden (Beschäftigung!). Dann lege ich das Buch weg, lösche das Licht und lege mich auf die Seite, die linke. Ein-Aus-Ein-Aus.
[...]
Mein Herz schlägt laut und herrisch. Es schlägt mich von innen grün und blau, ein Schläger, ein hyperkinetisches Kind. Mein Kopf beginnt, zum anregenden, rhythmischen Klopfen zu singen. Mein Fuß zuckt. Ich will schreien.
Was sagen sie dir, wenn du zur Schule gehst-
Sie sagen, geh nicht mit Fremden, trödel nicht rum. Sie sagen, nimm keine Süßigkeiten, später sagen sie nimm keine Drogen, dann sagen sie nimm dein Leben in die Hand.
Bitte.
Ich liebe euch, aber ich kann nicht mehr denken.
(Insomnia.)

Samstag, 14. Januar 2012

Fool's paradise comes at a price that I am not prepared to pay ?

I've had recurring nightmares that I was loved for who I am
And missed the opportunity to be a better man.*

Task: define "irrational".




*Muse, Hoodoo

Montag, 9. Januar 2012

Gespräche mit einer Wand, Teil 3

Kürzlich hatte ich nach einer wahrlich nicht zu verachtenden Funkstille das erste Gespräch mit meiner Wand seit Jahren. Genau genommen war es nicht DIE Wand, sondern eine andere; diese ist aber nicht minder weiß, kalt und aufwärts gerichtet, schlägt den selben arrogant näselnden Ton an wie ihre österreichische Kollegin von vor einigen Jahren und erzählt, wie mir scheint, von nicht minder abwegigen Dingen wie ihre Vorgängerin. Zudem glaube ich, dass diese jetzige Wand unter nervösen Zuckungen leidet, zumindest hatte ich den eindringlichen Eindruck, sie würde unter meinem stechenden Blick (unsere Diskussion wurde recht hitzig nach einer Weile) respektive unter dem an sie gehängten Bild erzittern. Könnte man ihr, genau betrachtet, auch nicht verübeln; meine Begeisterung hielte sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch in recht eng bemessenen Grenzen, sollte jemand auf die bizarre Idee verfallen, einen Nagel in mich zu schlagen, um eine obskure, wenngleich brillante, Interpretation des letzten Abendmahls daran zu hängen. Andererseits wiederum bin ich auch keine Wand.
In jedem Fall lag ich in der nicht allzu weit zurückliegenden frühmorgendlichen Vergangenheit, ich schätze, es war gegen vier, halb fünf und die Sonne machte so absolut keine Anstalten, aufzugehen, wie sie das um diese Uhrzeit nur im Januar tun kann, in meinem beengten Bett und starrte ans Fußende des selbigen, aus Gründen, die nun nicht näher erläutert werden können, als ich in erschreckender Nähe plötzlich ein blasiertes Räuspern vernahm.
„Ähömm.“
Oh je, das ist jetzt also der Anfang vom Ende, körperloses Räuspern morgens um vier, kein gutes Omen, das sag ich dir. Nun denn. Es wiederholte sich.
„Ähömm!“ mit einigem Nachdruck und der Betonung auf der hinteren Silbe.
Kurz versuchte ich mich am rationalen Überlegen, was in aller Welt dieses Räuspern produziert haben könnte und beließ es auch schnell dabei. Man rufe es sich ins Gedächtnis, dass meine letzte Unterhaltung mit einer Wand fast drei Jahre zurücklag und in einem anderen Land stattgefunden hatte. Woher sollte ich denn in meinem übernächtigten Zustand wissen, dass die Wände auch hierzulande sprechen, obgleich sie recht wählerisch zu sein scheinen, was ihre Gesprächspartner anbelangt- in jedem Fall hatte ich in letzter Zeit nicht dazu gehört. Eine ausgesprochen angenehme Tatsache, wie mir hinterher wieder bewusst wurde, hatte ich über die Jahre doch scheinbar vergessen, was für ein ausnehmend anstrengendes und unerquickliches, kräftezehrendes und wenig zielführendes Unterfangen es war, mit einer Wand zu diskutieren, zumal morgens um vier.
„Ä-hömmm !“ dieses Mal begleitet von einem leichten Zittern zu meiner Linken (ich bin mir SICHER, dass sie sich bewegt hat). Ermattet von der Räusperei drehte ich also meinen Kopf zur Seite und starrte meine Wand an.
Ein weit verbreiteter Irrglaube unter denen, die noch nie in den fragwürdigen Genuss kamen, mit einer Wand zu reden, ist der, dass der Wand beim Sprechen plötzlich Augen wachsen oder sie einfach ein Paar, das sonst unter dem Putz, der Tapete oder sonstigem Gezier versteckt ist, offenbart. Dem ist nicht so. Des Weiteren bekommt die Wand auch keinen Mund, keine Nase, keine Ohren und mit Sicherheit keine Falten oder Pickel, keine schlecht gezupften Augenbrauen und in der Regel errötet sie auch nicht, sollte man sich denn ereifern und einen anzüglichen Kommentar über ihr Verhältnis mit der Deckenlampe machen. Und nein, mit meiner Deckenlampe habe ich mich noch nie unterhalten, obgleich es mit größter Wahrscheinlichkeit höchst interessant wäre, dies zu tun, starrt sie mich doch tagein, tagaus aus ihren großen, lidlosen Augen an, ohne den Blick abzuwenden; mir fiele tatsächlich spontan kein Szenarium ein, das meine offensichtlich voyeuristisch veranlagte Lampe je dazu bewegt hätte, wegzusehen. Wie dem auch sei, zurück zum Thema.
„Guten Abend“, vernahm ich da auf einmal eine leicht nasale Stimme, die scheinbar aus der Wand zu kommen schien. Und da, und nun verwende ich eine Redewendung, die ich im Grunde zutiefst verabscheue und die ich unter normalen Umständen niemals in den Mund geschweige denn aufs Papier nehmen würde, nur, um anmerken zu können, wie radikal ich sie ablehne, fiel es mir wie Schuppen von den Augen.
Sammeln wir uns kurz und verarbeiten diese ungehörige Ausdrucksweise.
[…]
Gut. Wie gesagt, mir ging ein Licht auf, nicht, um die Lampe wieder auf die Bildfläche zu bringen, sondern, weil ich entdeckte, wer da mit mir sprach. Leider ist der Überraschungseffekt jetzt ein wenig minimiert, trotz allem war es meine Wand.
„Guten Abend“, grüßte ich zurück, setzte mich im Bett auf und schämte mich umgehend meiner knotigen Haare und meines wenig formschönen Schlafdresses.
„Ich würde gerne eine Anmerkung machen“, ließ die Wand verlauten.
„Ich höre.“ Mein Interesse war geweckt. Wie aufregend.
„Unter Umständen scheint dies jetzt nicht ganz angemessen, im Hinblick auf meine verachtete und im Wesentlichen komplett ignorierte Daseinsform, aber ich hätte trotz allem etwas zu sagen. Zwar bin ich nur eine Wand, aber dennoch habe ich ein Recht auf eine Meinung, eine, wohlgemerkt, kritische und anspruchsvolle Meinung.“
Sie sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen leicht von oben herausfordernd an. Das heißt, natürlich tat sie es nicht wirklich, aber, hätte sie ein Gesicht gehabt an Stelle dieser kahlen, leeren Weiße und diesem einzigen, gewagten und dennoch bahnbrechenden Abbild des letzten Abendmahls, so hätte sie es getan. Mit Sicherheit.
„Ja..?“ Ich war verunsichert. Meine positive Aufregung drohte ins Gegenteil umzuschwingen; sollte es etwa sein, dass auch diese Wand ein eher launischer und, alles in allem, wenig vernünftiger Zeitgenosse war?
„Ich“, begann die Wand und räusperte sich kurz (‚Ähömm!‘), „würde gerne deklamieren, dass ich in Zukunft keinen, ich wiederhole: keinen, Wert darauf lege, in Reichweite irgendeiner der anderen Wände dieses Zimmers zu stehen.“ Sie zitterte. Ganz leicht.
„Ich. Ähm.“ Ich rieb mir über die Stirn und stellte fest, wie fettig diese war. Ich ignorierte es und rieb weiter, in der vagen Hoffnung, wenn ich nur lang genug riebe würde ich aufwachen und erleichtert feststellen, dass ich nur geträumt hatte. Bedauerlicherweise schien dem nicht so zu sein, sprach die Wand doch, obwohl ich lang und hingebungsvoll an meiner fettigen Stirn gerieben hatte, weiter:
„Ich distanziere mich von meinen ungehobelten Artgenossen, mit denen ich hier ungefragt und ungewollt gemeinsam stehen muss. Es ist eine Ungeheuerlichkeit wie wir Wände, verkannte architektonische Kreaturen von anmutiger Eleganz und ungeheuer ansprechender Statik, immer und immer wieder ungefragt zu Dingen gezwungen werden, die SO nicht in der Broschüre standen!“
„Broschüre - ?“
„Zudem würde ich gerne von diesem entwürdigenden Gehänge an meiner Vorderseite befreit und mit echter Kunst behangen werden.“
Ich staunte. Dann fing ich mich wieder.
„Du weißt doch gar nicht, was da an dir hängt“, schnappte ich zurück, in der Hoffnung, dass der Mangel an Sehorganen die Wand im Großen und Ganzen blind zurückließ.
„Aber sicher weiß ich, was da an mir hängt!“ Die Stimme meiner Wand schlug an die Decke ihres wie auch immer gearteten Klangkörpers, überschlug sich wie ein Haufen junger Hunde, denen nur ein Futternapf zur Verfügung gestellt worden war, die aber trotzdem alle als erster fressen wollen, und trat daraufhin ihre gepeinigte Reise zurück in die Tiefen ihrer normalen Tonlage an. Dann erholte sie sich ein bisschen.
Ich nutzte die Stille zu einer kürzeren Tirade darauf, wie wenig ich es begrüßte mitten in der Nacht von meiner Wand aus dem Schlaf gerissen zu werden (an dieser Stelle fand sie ihre Stimme wieder und bemerkte spitz, dass ich überhaupt nicht geschlafen, sondern ans Fußende meine Bettes gestarrt hatte, warum, würde wohl auf immer mein Geheimnis bleiben. Kühn ignorierte ich sie.) und dass ich in keinster Weise weder beabsichtigte, sie, meine Wand, meine feste, treue, senkrechte Wand, umzustellen und somit ein Loch in meiner Behausung zu erschaffen, noch dass ich gewillt war, meinen kostbaren Raumschmuck in Form des letzten Abendmahls abzuhängen, geschweige denn durch etwas anderes zu ersetzen. Sie schwieg. Ich war zufrieden mit mir.
Dann, zu meinem allergrößten Bedauern, holte meine Wand tief und gut hörbar Luft und schoß zurück.
Ich legte mich wieder hin und rieb mir nun statt der Stirn die Augen, beide gleichzeitig, mit einer Hand, während ich die andere hinter meinen mit knotigen Haaren dekorierten Kopf legte. Meine Wand redete sich in Rage und schwang eine geräuschvolle Rede über die Rechte einer Wand, selbst einer kleinen, weißen und nur äußerst erbärmlich geschmückten Wand (an dieser Stelle überlegte ich ernsthaft, einen Kommentar zum Geniestreich des neuinterpretierten Abendmahls einzuwerfen, ließ es aber nach reiflicher Überlegung bleiben), die zu allem Übel auch nur mit der undankbaren Aufgabe betraut war, einer nichtigen Person wie mir Schutz zu bieten und nicht etwa jemand anderem, egal wem, Hauptsache jemand, der nicht ich war und vorzugsweise viel Geld für echten Wandschmuck besaß.
Irgendwann hörte ich nichts mehr und öffnete letztlich widerwillig ein Auge und dann auch noch das Zweite; hätte ich gekonnt, hätte ich daraufhin vermutlich auch noch das Dritte geöffnet, was sich allerdings als ungleich schwieriger erwies als es das mit den beiden davor gewesen war.
Trotz mangelnder Augenpaare aber sah ich in diesem Moment recht deutlich meine Wand neben mir bedrohlich zittern und leichte Wellen schlagen; ich warf einen kurzen Blick auf meine nächtlich ausgeschaltete Lampe und hätte schwören können, dass sie auch zusah.
Die sonst so ruhige und tatsächlich ansprechend statische Mauer mit ihrem weißen Verputz und besagtem epochalen Kunstwerk neben mir wand sich geradezu, schweigend, zum Glück, dafür um so wendiger; wer hätte gedacht, dass ein derart in sich ruhendes Objekt wie eine Wand a)ein so hitziges Temperament an den Tag legen und b)sich so verbiegen könnte. Ich fühlte mich beinahe schon ein wenig unwohl auf meinem doch so direkt neben der Wand liegenden Nachtlager und zog es kurz in Erwägung, selbiges zu verlassen, aber da war es auch schon zu spät.
Ehe ich mich wieder aufsetzen, mich meiner Haare und meiner Kleidung schämen, an meiner fettigen Stirn reiben und schlußendlich aufstehen konnte, ehe ich auch nur dazu kam mir zu überlegen, ob es sich lohnen würde, in der Zwischenzeit, bis die Gefahrenzone umschifft war, auf die Toilette zu gehen, ehe irgend etwas davon geschehen konnte hatte die Wand schonen einen letzten, energischen Schwenk durch ihre Gesamtheit beschrieben und dabei mit ungehörigstem Nachdruck das an ihr hängende Meisterwerk der zwölf Jünger, Jesus, Magdalena und mit Sicherheit einiger kleinerer Insekten, eventuell Nagetiere und unter Umständen ein paar Auren Verstorbener, von sich und somit auf MICH geworfen. Darauf folgte ein leichtes Seufzen, ein wohliges Zittern und, endlich, Ruhe.

Ich gebe zu, ein wenig perplex war ich schon, als ich so das letzte Abendmahl auf meinem Schoß liegen sah. Trotz allem entschied ich mich recht schnell dafür, präventiv einfach nichts zu tun und zog schlafen ernsthaft in Erwägung. Alles in Allem schockiert einen ja doch eher nur noch wenig.