Freitag, 12. November 2010

Dunkel, schön, fremd- und gar zu verlockend

Im Zuge der nächsten Donnerstag in die Kinos kommenden Kinoversion der ersten Hälfte des siebten Potter Buchs lese ich eben jenes gerade wieder - zum dritten Mal. Und, nachdem ich es jetzt nach gut 100 Seiten Lesen ohne Pause geschafft habe, doch kurz meine Aufmerksamkeit von den wohl bekannten und trotzdem jedes Mal wieder erstaunlich mitreisenden Ereignissen im Buch loszureisen, um meinen rebellierenden Magen mit gesunden Pommes zu füllen, komme ich nicht umhin, mir (ebenfalls zum wiederholten Male) Gedanken über den unwahrscheinlichen Erfolg dieser Geschichte zu machen, die mittlerweile selbst Geschichte geschrieben hat.
Ich kenne beinahe niemanden, der nicht fasziniert ist von Harry Potter. Einige Wenige halten standhaft ihre Borniertheit aufrecht und weigern sich, ein gutes Wort über Harry zu verlieren- allerdings sind diese doch eindeutig in der Unterzahl, was, wie ich vermute, auch der einzige Grund ist, immer noch diese Meinung zu vertreten: der Status der Minderheit, das es-anders-machen. Aber das jetzt beiseite, wahrscheinlich würden die, die Harry Potter aus diesen Gründen nicht lesen, auch Frieden doof finden, wenn keiner mehr dagegen wäre. Also, weiter im Text.
Was ist es denn eigentlich, das dieses Phänomen zu einem solchen macht?
Meiner Ansicht nach -und damit bin ich mit Sicherheit nicht alleine, da diese Ansicht wiederrum meiner Ansicht nach irgendwie offensichtlich ist- ist der Hauptgrund der schiere Drang nach Realitätsflucht. Der sehnliche Wunsch, es könnte sich irgendwann alles ändern, wir würden heute schlafen gehen in unserem kleinen, über große Strecken langweiligen Leben, und morgen in einer aufregenden Welt voller kleiner Elfen und großer Abenteuer wieder aufwachen. Oh, Pathos.
Aber Fakt ist doch: welche Werke der fiktionalen Geschichtsschreibung (habt ihrs gemerkt? Das war ein doppeldeutiges Wortspiel-) haben das meiste Aufsehen erregt, die meisten Menschen in ihren Bann gezogen und die größten Bewegungen frenetischer Anhänger mobilisiert?
Allen voran: Der Herr der Ringe. Harry Potter. Per Anhalter durch die Galaxis. Ja, genau! Man denke an den Towel Day, an unzählige Filme und unsägliches Merchandising- aber warum das alles? Warum stehen die Menschen Schlange, um Filme wie Matrix oder Inception zu sehen? Warum sind wir begeistert von Walther Moers und Stephenie Meyer?
Es ist die Möglichkeit einer Realität, liebe Freunde, die leise Hoffnung, dass all das, was wir dort lesen und sehen, eine mögliche Wahrheit ist. Eine Chance, auszubrechen.
Natürlich sollte hierbei vielleicht angemerkt werden, dass in all den aufgezählten Beispielen die Welt in irgendeiner Form gerettet werden muss und wir uns meistens Hand in Hand mit den Helden durch die Geschehnisse bewegen. Außerdem gewinnen in der reinen Fiktion doch zumeist die Guten- Darth Vader mag zwar Lukes Vater gewesen sein, tot war er trotzdem am Ende. Und Isabella Swan war vielleicht eine untote Gruselkreator am Schluss ihrer vampiresken Quattrologie, trotz allem aber Mitglied einer intakten Familie und -selbstverständlich- keine Mörderin, sondern brave Vampirvegetarierin.
So gesehen sind die Ereignisse also zum Großteil doch leicht überspitzt. Und Ms Rowling hat sicher auch gut daran getan, den Ausflug in Harry, Ron und Hermiones Leben NACH Voldemort auf ca. zehn Seite zu beschränken. Trotz allem aber denke ich, dass eine Superhero Geschichte in unserer bloßen Realität nicht auf derartigen Anklang stoßen könnte, einfach, weil es da nichts zu träumen gibt. Wahrscheinlich würde uns Harry auch nur halb so interessieren, wenn wir die Seiten umblättern könnten, ohne sie anfassen zu müssen oder der Hausschlüssel uns finden würde statt wir ihn. In diesem Fall wäre wahrscheinlich die Geschichte von der Tengelmannkassiererin, die die Kunden bekämpft, aufregender...
Trotz allem aber, wir leben nun mal nicht in einer Welt, in der wir Dinge fliegen lassen, in einer, die unerkannt im Untergrund der Zukunft stattfindet, oder in einer, in der unser Planet einer interstellaren Umgehungsstraße weichen muss, weswegen wir uns schnell von einem Raumschiff mitnehmen lassen, um irgendwann auf einem Planeten zu gastieren, auf dem die Bewohner kommunizieren, indem sie sich in die Oberschenkel beißen. Wir leben nun mal in unserer Welt, stehen jeden Tag auf, gehen zur Arbeit, zerbrechen uns den Kopf über Energiekosten und Mietzahlungen. That's life, tatsächlich.
Und nun kommen kreative Genies und erfinden Parallelwelten für uns, die noch soviel mit unserer echten Welt gemein haben, dass sie tatsächlich möglich erscheinen, aber doch in so weit anders sind, als das sie noch dazu sogar interessant sein könnten. Cool. Wer könnte da nein sagen. Die Wenigsten (und die, dies können, sind wahrscheinlich entweder extrem glücklich oder extrem fantasiearm...), eben.
Übrigens müssen die fantasievollen Alternativleben nicht mal in einer fiktiven Welt angesiedelt sein- auch fiktive Leben in einer realen Welt erfüllen ihren Zweck. New York City mag ja eine tatsächlich existierende Stadt sein, eine 40 Kilo leichte, mit 500 Paar Designerschuhen ausgestattete und von einem mageren Kolümnchen lebende Halbberühmtheit sind trotzdem die meisten von uns nicht; genausowenig wie der durchschnittliche Klinikarzt jede Woche eine andere, ans Nonexistente grenzende, aufregende Krankheit souverän durch den Geistesblitz während einer willkürlichen Unterhaltung mit seinem besten Freund diagnostiziert. Ja, selbst die fiktionalen Hausfrauen, die uns vorgesetzt werden, führen ein Leben wie man es sich aufregender kaum vorzustellen vermag- wer fragt sich da bitte nicht, ob sein Leben nicht IRGENDWIE anders sein sollte.
Fassen wir also zusammen: wir mögen unsere Welt nicht so recht, deshalb flüchten wir vor ihr, so oft es geht. Wir würden lieber in einer leben, in der wir tolle Dinge tun könnten, reich und schön wären oder in der es zumindest lustige Geschöpfe wie Hobbits gibt. Die Existenz anderer lustiger Geschöpfe wie Orks oder Schwarzmagiern würden wir in Kauf nehmen dafür, dass sich unser Tee von alleine umrührt. Richtig?
Ja... vielleicht. Vielleicht ein paar Wochen, evtl sogar ein halbes Jahr. Aber spätestens dann denke ich würden wir merken, dass auch die aufregenden Parallelwelten irgendwann weniger aufregend werden, nämlich dann, wenn Alltag einkehrt. Wenn wir jeden Tag aufstehen, zur Arbeit ins Ministry of Magic gehen, uns Gedanken darüber machen, wie wir unser fliegendes Auto geheim halten oder wie zur Hölle wir in einem Raumschiff eine vermünftige Tasse Tee produzieren sollen; wenn wir merken, dass Manhattan ein beschissen teures Pfalster ist oder die Hausfrau eben nur noch Hausfrau ist und nicht mehr Übermutti mit Geld und Gucci. Sobald uns die Abenteuer ausgehen, langweilen wir uns, egal wo.
Fazit? Eigentlich können wir uns unser Leben überall fad machen- aber auch überall aufregend gestalten, wir müssen es nur tun. Und wie wir das tun, bleibt letztendlich uns selbst überlassen- ob wir fremde Länder bereisen, 7 Kinder bekommen oder Bücher über unser Fantasieleben schreiben ist da doch eigentlich egal... Wir dürfen uns nur nicht mit unserer Langeweile abfinden. Wird der Wunsch, im Märchen zu leben, zu übermächtig, sollte etwas geändert werden. Und in der Zwischenzeit können wir ja immer noch Harry Potter lesen.

18.11.! Geht ins Kino!