Freitag, 7. Juni 2013

Recyclingorgane


Seit ein paar Tagen liegen Organspenderausweise bei uns auf dem Küchentisch. Unbeschrieben jungfräulich freuen sie sich ihres Organspenderausweisdaseins und warten darauf, ausgefüllt zu werden. Und jedes Mal, wenn ich an ihnen vorbeigehe, denke ich: gute Idee! Später ...
Und so langsam frage ich mich: warum eigentlich erst später?
Ich war glaube ich immer ein Befürworter von Organspende. Denke ich. Ich bin mir nicht sicher, weil ich gestehen muss, mich nie ernsthaft mit dem Thema auseinandergesetzt zu haben, mich nie damit beschäftigen musste. Und obwohl ich wirklich immer dachte, dass es mir, so ich denn tot sei, sowieso egal wäre, wer was warum mit meiner Leber/Niere/linken Herzklappe treibt (oder was sonst noch man so brauchen könnte als ambitionierter Transplantator mit abnibbelndem Patienten) - wenn ich mir diese unschuldigen Pappkärtchen so ungucke drängt sich mir immer nur ein Gedanke auf: später. Und das, obwohl ich mir ziemlich sicher bin, dass ich sämtliche Später-dann-mal-Organspender zum Teufel jagen würde (wenn sie zu dem Zeitpunkt dann da nicht ohnehin schon sind ...), sollte morgen einer meiner Freunde eine neue Leber brauchen (was bei manch einem davon durchaus zumindest nicht vollkommen abwegig wäre ...) und ihm niemand eine geben könnte, weil sämtliche potentiellen Spender zwar einen Spenderausweis daheim horten, ihn aber nie ausgefüllt haben, weil später kann man das ja auch noch machen, ne. Also, was hält mich ab?
Ich habe da eine Theorie (oh, hört hört!).Wie so oft irrational und unlogisch, aber wer hat Ihnen gesagt, Menschen seien logisch, Spock? Irrationalerweise fühlt sich das Ausfüllen eines Organspenderausweises nämlich wie das Schaufeln des eigenen Grabes an. Als würden wir - nur für den Fall! - mal zum Bestatter gehen, uns einen hübschen Sarg kaufen und dann erstmal den roten Samt darin ordentlich durchreinigen und anwärmen, damit es hinterher nicht ganz so ungemütlich wird da unten. Also, just in case, natürlich.
Genauso fühlt sich das mit der Organspende an. So sehr ich mir darüber bewusst bin, dass es jeden Moment vorbei sein könnte (und das meine ich genauso wörtlich, wie ich das sage; wer jetzt wieder meint, ich überdramatisiere und male den Teufel an die Wand - bitte! Aber when the shit goes down ... Dann werde ich zumindest so tun, als wäre ich gut vorbereitet. Dafür hat man ja schließlich studiert!), äh, wo war ich?
Ah. Also, so sehr ich weiß, wie dünn der Faden ist, an dem unser aller Leben hängt, ich kann trotzdem einfach nicht meinen verdammten Namen auf dieses blöde Stück Pappe schreiben. Ich will nicht so gut vorbereitet sein aufs potentielle Ableben, weil ich mir damit einrede, es rauszögern zu können. In meiner Vorstellung dreht der Tod um, wenn er sieht, dass ich kein so dummes Dingens habe, das anderen erlaubt, meine Milz rauszuschneiden und zu recyclen. In meinem Kopf denkt sich der Tod dann NA, DANN LASS ICH DIE WOHL MAL LIEBER NOCH HIER. Und geht. Genau. So.
Dass das Blödsinn ist, weiß ich selber. Irgendwie habe ich aber trotzdem das Gefühl, jetzt nicht in unsere Küche gehen und einen Organspenderausweis ausfüllen zu können. Die Unterschrift, die ich darauf setzen würde, würde sich immer noch zu sehr nach der anfühlen, die ich auf meine eigene Sterbeurkunde setze (was auch ein eher unrealistischer Gedankengang ist, jaja).
Aber irgendwann mach ichs. Und ich werde keinen falschen Namen darauf schreiben, eine wenig ruhmreiche Idee, die mir auch für kurze Zeit durch mein umnachtetes Hirn geisterte. Das wäre dann schon ein extrem schlechter posthumer Scherz.
In jedem Fall aber, irgendwie bin ich noch nicht soweit. Und wenn ich dann irgendwann mal über meinen manchmal sehr langen und widerwilligen Schatten gesprungen bin und meine magische Wunderbarriere dem Tod gegenüber aufgegeben habe, dann radel ich vermutlich eine Woche lang ein wenig vorsichtiger durch unsere kleine, aber mit militanten Autofahrern nur so vollgestopfte Stadt - und vergeß es dann wieder. Ich meine, trotz aller Konsequenzen dieses blöden Dings, so positiv die für manch einen auch sein mögen, und trotz des enormen mentalen Gewichts, das diesem kleinen Kärtchen recht hartnäckig anhaftet, letztendlich ist auch ein Organspenderausweis nur das: ein Stück Pappe.