Dienstag, 3. Mai 2011

Almost taken by a stranger

True, I talk of dreams,
Which are the children of an idle brain,
Begot of nothing but vain fantasy;
Which is as thin of substance as the air,
And more inconstant than the wind, who wooes -

Wohl wahr, ich rede
Von Träumen, Kindern eines müßgen Hirns,
Von nichts als eitler Phantasie erzeugt,
Die aus so dünnem Stoff als Luft besteht
Und flüchtger wechselt als der Wind.


Den Nachmittag frei, in die Bücherei gehen, nur ein Stündchen, in Ruhe nur sitzen und lesen, eventuell ein bisschen der Stadt beim Stadtsein zusehen.
Ankunft Bücherei, zielstrebige Schritte vorbei an bekannten Regalen, alles hundertmal gesehen, angeschaut und abgespeichert, alles wie immer, keine Störung, keine Ablenkung vom ursprünglichen Plan (sitzen und lesen).
Suche nach einem passenden Sitzplatz. Regenwetter, eindeutig also am Fenster, große, weite Fensterwand, Gegenüber von weichen, tiefen, grauen Sesseln. Perfekt.
Ein Blick darüber, alles belegt. Schade.
Ein weiteres Mal, immer noch, und doch-
Für den Bruchteil einer Sekunde kreuzen sich zwei wildfremde Blicke, nicht genug Zeit, denjenigen, der ihn ausgesandt hat genau anzusehen, nicht genug Zeit, richtig einzuatmen, zu lächeln oder sich verlegen am Ohr zu kratzen.
Umdrehen. Kurzer Anflug spontaner Panik. Der kreuzende Blick saß tief und hat den Rest des Raumes kurzzeitig ausgeblendet. Rrumms. Wahnsinn.
Völlig überfordert, überwältigt von der unerwarteten Situation umdrehen, ist ja nichts frei. Den Gang zurück, leicht benommen und ohne größeren Plan. Die bekannten Regale existieren nicht mehr, durch den leeren Raum laufen.
Zwei Schritte die Treppe rauf, halt- zwei Schritte die Treppe wieder runter. Rüberschauen? Nein.
Irgendwo hinsetzen, so tun, als sei die Welt nicht gerade unbemerkt stehen geblieben, um sich jetzt ein wenig schiefer zu drehen als zuvor. Tsunami.
Das Buch rausholen und versuchen, mit dem ursprünglichen Plan fortzufahren, reg dich ab, Hormone. NUR Hormone.
Alle zwei Sätze schießt der Blick nach oben: jemand läuft vorbei. Unwillentlich und ungeplant, mein Kopf bewegt sich einfach und gehorcht meinen rational schreienden Gedanken, mich in nichts Unsinniges hineinzusteigern, nicht im Ansatz. Schräg über die Brille geschielt, unscharfe Umrisse alter Menschen, Enttäuschung. Ob er noch am Fenster sitzt? Ob ich schauen gehen soll? Ob ich etwas sagen soll?
Ok, lesen. Du wolltest lesen. Konzentration.
Schwache Schemen, zack, hochschauen, dickes Mädchen, Enttäuschung. Reiß dich zusammen.
Noch mehrmals. Dann langsam Runterkommen, Illusionen und Tagträume abschalten und endlich drei Seiten an einem Stück lesen. Spannendes Buch, genau wie gestern Abend, zuverlässig.
Lesen, lesen, langsam aufblicken ohne Grund und dann - ein Aussetzer, dann schlagartig schnellerer Rhythmus und Wärme in den Wangen.
Da sitzt er. Einen Meter entfernt und liest. Heaven help.
Hektisches Zurückblicken auf mein Buch, Augen geweitet, Konzentration verkommt zum Wunschtraum, zum Mythos, irgendetwas, das ich einmal konnte, bevor sich dieser Wildfremde in meine Reichweite gesetzt hat.
Plötzliche Panik; was tun, wenn er mich anspricht? Was tun, wenn NICHT?
Situation sofort abbrechen. Ich muss hier raus, kann nicht an ihm vorbei, fühle mich schrecklich bloßgestellt.
Um mich herum weiterhin Stille; lesende Menschen, leises Flüstern aus einer Ecke. Keiner hat gemerkt, wie sich im erneuten Bruchteil einer weiteren Sekunde alles geändert hat. Alles.
Und in meinem Kopf, unbemerkt von der Welt: hellste Aufregung. Ausnahmezustand. Ein sich drehender und drehender und drehender Derwisch.
Das war SO nicht geplant gewesen.
Ich würde so gern hallo sagen...
Aber ich kann nicht. Ich KANN nicht.
Er dreht sich eine Zigarette. Ich atme auf, gleich entrinne ich meiner prekären Situation, die auch nur in meiner Welt prekär und auf dem restlichen Planeten schlimmstenfalls ein lächelndes 'Nein, Danke' ist, und laufe davon in die sichere Neutralität der Langeweile.
Er steht auf und geht Richtung Ausgang. Warten, bis man sich in Sicherheit wähnt. Aufstehen. Erleichterung macht sich breit, obgleich man die Wut auf sich selbst bereits kommen spürt.
Auf dem Weg in die Freiheit noch schnell aufs Klo- in den Gang zu den Toiletten einbiegen und fast mit ihm zusammenstoßen.
Zwei überraschte Blicke, ein weiterer Sekundenbruchteil in der langen Reihe derer, heute. Sich hektisch voneinander abwendend.
Aufs Klo rennen, in die Kabine, Türe verriegeln, viel, viel zu schnell atmen.
Offener Mund, Türe von innen anstarren, vielleicht hilfts. Zufall. Schicksal. Schwachsinn. Ja. Nein. Weiß nicht. Verdammtes Huhn, geh hin. Kann nicht. Kann. Nicht.
Und bitte, bitte verwirr mich nicht.
Aus der Toilette, suchende Blicke. Hoffnungsvoll oder angsterfüllt, beinahe- wahrscheinlich hätte er sowieso nein gesagt. Das kannst du nicht wissen! Wahrscheinlich hat er mich gar nicht gesehen. Nicht wirklich. Illusionen.
Aus der Bücherei, in die U-Bahn.
Eine Station, aussteigen.
Geh zurück Blödsinn Oder Nein lass es.
Ich gehe morgen wieder hin.
Ja, klar, mach das.
Auf dem Weg zu meiner Wohnung weht der Wind so stark, dass er die aufgeklappte Reklametafel eines Lokals an der Straße umweht, mir mit lautem Knall direkt vor den Füßen auf dem Asphalt zusammenklappt und für einen kurzen, perplexen Moment den weiteren Weg versperrt. Ich starre es an.
Nur für den Bruchteil einer Sekunde.