Mittwoch, 21. Mai 2014

Slow down, you crazy child


"You've got your passion. You've got your pride,
But don't you know that only fools are satisfied?
Dream on, but don't imagine they'll all come true.
When will you realize [life] waits for you?" *

Wer hat eigentlich den Gedanken in die Welt gesetzt, dass es irgendwann für irgendetwas zu spät sein sollte? Und warum glauben wir daran, rennen mit religiösem Eifer mit uns selbst und unserem Leben um die Wette, um schnell genug da zu sein, wo immer da sein mag, und was auch immer 'schnell genug' heißt? Was heißt es denn? Schneller als dein Nebensitzer aus der zweiten Klasse? Schneller als alle Angehörigen des eigenen Geschlechts zwischen 19 und 49? Der Durchschnitt aller arbeitsfähigen Mittelschichtbürger mit mindestens mittlerem Bildungsabschluss unter fünfzig? Schneller als The Flash?

Wir leben in einer Zeit, in der man gleichermaßen mit 28 alt ist und einem von allen Seiten die regelrechte Aufforderung zur ewigen Jugend entgegen geschrien wird. In der Arbeitgeber immer mehr von einem fordern, man zur gleichen Zeit aber Angst haben muss, mit einem Universitätsabschluss keinen Job zu bekommen. In der "Work-Life-Balance" ein Wortungetüm ist, das man häufiger liest, als einem lieb ist, verweist es doch darauf, dass eben jene nicht zu stimmen scheint, oder die Einstellung, unsere Einstellung, die der berühmt berüchtigten Generation Y, nicht mehr passt. Wenn wir doch aber alle so faul sind, so fordernd, so egozentrisch und individualitätsbesessen, wo kommen dann diejenigen her (oder wo gehen sie hin, allem Anschein nach nicht ein in die Statistiken, die ja ach so aussagekräftig sämtliche Menschen zwischen zwanzig und dreißig regelrecht karikieren und dabei einen Haufen selbstverliebter Idioten aus uns machen), die ihr schwungvolles, duales Sprintstudium in am besten viereinhalb Semestern durchziehen, dabei zwar nichts lernen, aber hinterher mit einem Papierchen wedeln können, auf dem "Abschluss" steht?
Versteht mich jetzt nicht falsch. Zielstrebigkeit ist nichts Schlechtes und auch duale Studenten lernen in ihrem Studium wahrscheinlich irgendwas. Und sei es nur, morgens den Wecker nicht zu überhören. Was ich mich aber frage ist folgendes: warum ist das das Maß aller Dinge? Warum zählt Geschwindigkeit so oft mehr als Erfahrungen, oder Reife, oder die Fähigkeit, aus einer Serviette einen Schwan zu falten? Warum müssen wir so verdammt leistungs- und zielorientiert unser Leben abhaken wie einen Punkt auf einer kosmischen To Do Liste?
Ich weiß es nicht. Ich wusste es schon vor fünf Jahren nicht, und schon damals habe ich mich an dieser Stelle wahrscheinlich über ähnliche Themen ausgelassen - Fakt ist aber, es versetzt mich einfach immer wieder in Erstaunen. Wird die Welt denn besser dadurch, dass nur noch diejenigen, die Spaß und Selbstreflektion bis auf unbestimmt auf die lange Bank schieben, eine Chance bekommen? Sind wir glücklicher, weil unser Leben von einem Haufen grau beanzugter Möchtegerns Anfang zwanzig, so interessant und vermutlich auch ungefähr so vielseitig wie ein Stück alte Pappe, geregelt wird? Warum muss es das denn eigentlich überhaupt sein, unser Leben, geregelt?
Warum kann man nicht mit 35 auf Weltreise gehen und hinterher immer noch die Möglichkeit haben, einen Job zu machen, der einem Spaß macht? Warum wird überhaupt von so vielen, vornehmlich älteren Generatiönlern, verteufelt, dass wir das wollen, Spaß bei der Arbeit (Generation Y, da wären wir wieder. Was fällt uns aber auch ein!)? Warum kann man sich nicht guten Gewissens ein paar Jahre Zeit lassen, um herauszufinden, was man mit seinem einen Leben anstellen will? Warum muss man sich mit 28 die schlaflosen Nächte mit der unaufhörlich im Hinterkopf summenden Frage um die Ohren schlagen, was um Himmels Willen man hier eigentlich tut, oder tun soll, und wie man sich das eigentlich vorstellt mit dem Arbeiten, immerhin ist man ja keine zwanzig mehr und Ingenieurwesen studiert man auch nicht?!
Es ist zum Kotzen. Ich bin es leid, angefangen bei der mitleidigen Frage, am besten noch mit empathischem Griff an die Schulter des Gefragten, was man denn mit seinem Studium später mal machen will. Ich bin es leid, das Gefühl zu haben, in die Arbeitslosigkeit hineinzustudieren. Ich bin es so leid, belächelt zu werden, wenn ich sage, ich will finden, was ich wirklich machen will, weil ich keine Lust habe, mein Leben mit etwas zu verschwenden, das diese Anforderungen nicht erfüllt. Ich bin es leid, über die wacklige Sicherheit meiner Zukunft nachdenken zu müssen, ewige Zukunftsängste zu haben. Und ich bin es ebenso leid, dass ich mich an dieser Stelle schon präventiv entschuldigen muss, oder das Gefühl habe, mich entschuldigen zu müssen, weil ich ja im Grunde nichts zu meckern habe, ich könnte auch in Spanien leben, oder in Griechenland, oder in der Ukraine, oder auf dem Mars. Fakt ist aber, ich tue es nicht. Ich lebe im fetten, reichen Deutschland, und ich beklage mich trotzdem. Und ich tue es nicht, weil ich mich auf die faule Haut legen und nichts tun und dafür bezahlt werden will. Ich tue es, weil ich das Gefühl habe, sofern man sich nicht den Wettläufern angeschlossen hat, als dazu noch Gelegenheit war, sofern man nicht zukunftsorientiert studiert und dafür seine Interessen über Bord wirft, sofern man nicht seine Seele verkauft und seine Persönlichkeit um wirtschaftlich effizienter Konformität Willen beerdigt, ehe sie den Frevel begehen könnte, sich zu entwickeln und dann - oh nein - nicht in die vorgefertigte Gussform zu passen - dann hat man verschissen.
Mag sein, dass ich hier gerade den Teufel an die Wand male. Das kann sogar sehr gut sein, und alle Prä-Generation Y-ler dürfen jetzt gerne loswettern, was für ein verzogenes Balg ich doch bin, früher hätte man den Eintopf noch aus den Schalen gekocht und ich erdreiste mich hier herumzujammern, nur, weil ich in meinem zukünftigen Job vielleicht nicht immer zu hundert Prozent glücklich sein werde, die Tapete nicht mit Filzstiften anmalen und nicht mit Papierkügelchen durch die Gegend werfen darf, wenn mir gerade danach ist. Ja, genau, das ist alles, genau deswegen rege ich mich auf, und nur deswegen, boohoo.
Fakt ist, deswegen rege ich mich nicht auf. Ich bin mir durchaus darüber im Klaren, dass nicht alles eitel Sonnenschein ist, und dass es das auch nicht sein wird, falls ich, wider Erwarten, meinen absoluten-super-duper-Traumjob bekomme. Aber ist es denn zu viel verlangt, so viel Sonnenschein wie möglich aus der Sache rauszuholen? Ist es zu viel verlangt, sich schon bevor man tatsächlich anfängt zu arbeiten, ein bisschen Sonnenschein zu gönnen?
Und glaubt nicht, dass die Suche nach dem Richtigen immer so sonnig ist. Glaubt nicht, dass abbrechen und umziehen und wieder abbrechen glücklich macht. Im Gegenteil, zumindest beim masochistischen Leistungsvergleich mit großen Teilen dieser unserer wunderbaren Peergroup macht es einen ganz schön fertig, wenn man mit Mitte zwanzig immer noch nicht so genau weiß. Und mit 28 beinahe an der Entscheidung, welchen Master man machen soll, verzweifelt. Nee, Spaß ist anders.
Was es einem aber bringt, und da bin ich mir so sicher, dass ich es mir herausnehme, anprangernde Texte darüber zu verfassen, ist ein bisschen Eigenwillen, und den Mut, Dinge einfach mal zu machen, auch wenn sie sich hinterher als Blindgänger entpuppen. Das, was den kleinen putzigen DualBAs fehlt also. Denn: würde ich jeden Fehler noch mal machen? Hoffentlich nicht, aus heutiger Sicht. Bin ich froh, sie gemacht zu haben? Natürlich! Wie hätte ich sonst wissen sollen, was letztendlich richtig war?
Und ja, mein Beispiel mag ein wenig extrem sein. Und nein, nicht jeder, der einfach von Anfang an wusste, was er will, ist damit auf dem falschen Dampfer. Aber häufiger als man glauben mag sollte man vielleicht einfach irgendwo mal anhalten, sich den Schweiß von der gestriegelten Stirn wischen und sich fragen: will ich da eigentlich hin? Oder will ich lieber ein Eis?
Deswegen also frage ich mich, warum soll es für irgendetwas irgendwann zu spät sein? Warum kann es nicht einfach die Möglichkeit geben, auch mal was auszuprobieren, Fehler zu machen, viele Fehler zu machen, und deswegen trotzdem nicht zum Vogelfreien degradiert zu werden? Warum wird eigentlich von uns erwatet, perfekt auf die Welt zu kommen?
Warum können wir nicht einfach so sein, wie wir sind, und trotzdem Erfolg haben - oder gerade deswegen?
Weilweilweil. Es eben nicht so ist. Das sehe ich schon ein. Eine einzige jämmerlich motzende Bloggerin wird das nicht ändern. Viele jämmerlich motzende Blogger vielleicht, ja. Eine Generation, die sich durchsetzt, die "Work-Life-Balance" ins Gleichgewicht bringt und den alten den Mund stopft. Und eine Generation, die sich zumindest in Teilen mal wieder darüber bewusst werden sollte, dass der Schnellste nicht unbedingt der Beste ist, das Zielstrebigkeit um der Zielstrebigkeit Willen auch sehr, sehr langweilig sein kann, und dass Eis essen gehen manchmal einfach mehr Spaß macht.
Und Spaß am Leben ist gut, richtig? Kommt schon, das müssen sogar die Ü-sechziger zugeben. Oder?


* Billy Joel, Vienna


PS: Das Design läuft Amok. Ich weiß ehrlich nicht, was passiert ist.