Freitag, 26. Dezember 2014

Des Drärchens dritter Teil

3. Akt, II. Szene
Auf dem Marktplatz im Dorf. Inzwischen ist es Nacht. Die Dorfbewohner wetteifern mit dem Hofstaat um den Preis für den gelangweiltesten Gesichtsausdruck, der Handlanger eilt hektisch umher, Gustavo unterhält sich gedämpft, aber angeregt mit einer der dicken Frauen. Die Königin steht inmitten der Menschen, ihre wallenden Gewänder werden strategisch von intelligent platzierten Fackeln ausgeleuchtet. Uhus schuhuen im Hintergrund und machen sich dabei ohne Zweifel über das Spektakel lustig. Eine sehr alte Frau hinkt gebückt auf die Königin zu und überreicht ihr mit gesenktem Haupt eine halb zerfleischte Ratte.

KÖNIGIN (angeekelt): Handlanger! Man will mich für dumm verkaufen!
HANDLANGER (eilig): Nein nein, eure Majestät. (Wirft einen vorsichtigen Blick auf das Geschenk der Alten und kann sein angewidertes Zurückschrecken nur mit viel Mühe als spastisches Kratzen am Ohr überspielen) Das ist ein, äh, traditionelles … eine rituelle, ähm, Ehrerbietung der …
GUSTAVO (steht plötzlich lautlos hinter dem Handlanger, der unheilvoll zusammenzuckt, als sein Lebensgefährte das routinierte Wort ergreift): Das, eure Majestät, ist eine altfernizische Dunkelblutratte. Sehr selten, sehr wertvoll. Muss leider sofort nach ihrem Tod in Fetzen gerissen werden, da sie sonst ihre Wirkkraft verliert. Sehr gut für den Teint, Teuerste.
Der Handlanger starrt Gustavo ungläubig an und nickt dann verhement.
KÖNIGIN: Ach … wirklich?
GUSTAVO (entspannt): Aber natürlich. Reibt euch jeden Abend das Blut ins Gesicht und ihr werdet im Handumdrehen … zwan... (Der Handlanger schüttelt panisch den Kopf) zehn...? (Handlanger schüttelt immer noch den Kopf, wenngleich weniger panisch) fünf Jahre (der Handlanger lächelt erleichtert und nickt) jünger aussehen!
KÖNIGIN (wirft interessierten Blick auf die blutigen Rattenfetzen in ihrer Hand): Ach.
Der Handlanger dankt der buckligen Alten überschwänglich. Daraufhin entfernt sie sich, wird zunehmend schneller, bis sie eine erstaunliche Geschwindigkeit erreicht hat und um eine Fachwerkhausecke biegt. Gelächter holpert aus dem Off über den Platz und ebbt erst ab, als es von einem krächzenden Hustenanfall ersetzt wird.
HANDLANGER (wirft Gustavo mit den Augen Dank zu und wischt sich mit dem Ärmel über die schweißüberzogene Stirn. Seine Stimme zittert ein wenig): Gut … dann also der, äh, Nächste … (Er würde sich einen neuen Job suchen. Gleich im neuen Jahr würde er alles hinschmeißen und auswandern. Das heißt, gleich, nachdem er die Königin an die Neujahrsandacht erinnert und selbige durchgeführt hatte. Moment, nein, nachdem er die Königin nach ihrem jährlichen Wutanfall über das Kreidegeschmiere am Schlosseingang nach den heiligen drei Königen beruhigt hatte. Oder vielleicht …)
Gustavo tätschelt ihm nachsichtig die Schulter und gesellt sich wieder zu der dicken Frau. Ein weiterer Bürger, ein älterer Mann, nähert sich zögerlich der Königin, die ihn erwartungsvoll unter erhobenen Brauen anblickt. Der Mann trägt ein Bündel unter dem Arm, aus dem ein durchgelaufener Stiefel hervorblitzt. Der Handlanger schickt ein Stoßgebet zum Himmel. Im selben Moment gehen sämtliche Fackeln auf dem Marktplatz aus. Für einen Moment herrscht überraschtes Schweigen, das nur von einem 'Huch!' durchbrochen wird, ehe jemand 'Autsch!' sagt und ein anderer 'Stell dich nicht so an!'; die tanzwütige Menge formiert sich, ein leises 'Ach nicht schon wieder …' ist zu vernehmen. Ehe die Musiker es jedoch geschafft haben, ihre Weingläser wegzustellen und eilig ihre Instrumente im Dung zu suchen, lodert eine einsame Fackel ins Leben und erhellt das nun wieder von der Kapuze verdeckte Gesicht des Zauberlehrlings, der etwas abseits zum übrigen Volk steht und grimmig guckt.
HANDLANGER (entsetzt): Was …? (Überfliegt hektisch mit im Dunkeln zusammengekniffenen Augen seinen Ablaufplan, ohne jedoch den entsprechenden Punkt darauf zu finden. Neuerlicher Schweiß springt aus seiner Stirn)
GUSTAVO (klatscht zweimal erfreut in die Hände): Großartig!
KLEINER, DÜNNER MANN (trotzig an dicke Frau neben ihm gewandt): Du weißt schon, dass der Typ schwul ist?
DICKE FRAU (fröhlich): Aber natürlich, Liebling.
Gemurmel erhebt sich. Gemurmel erstirbt schlagartig. Zauberlehrling beginnt mit überraschend lauter Stimme zu sprechen.
ZAUBERLEHRLING: Königin von Fernizien!
Das Volk dreht sich synchron zur Königin und sieht sie erwartungsvoll an. Irgendwo in den hinteren Reihen hält ein junger Mann einem anderen jungen Mann eine Tüte Popcorn hin. Der andere wirft einen skeptischen Blick darauf, zuckt mit den Schultern, und greift hinein.
KÖNIGIN (verwirrt): Ja bitte? Wir sind noch bei den Geschenken, das Füßeküssen kommt später. Handlanger? Handlanger? Sag ihm, dass …
HANDLANGER (erbleicht, schweigt).
ZAUBERLEHRLING: Sei still!
Die Menge atmet kollektiv ein und belässt es dabei. Einer der beiden jungen Männer versucht, geräuschlos weiterzukauen.
KÖNIGIN: … Bitte?
Die Köpfe der Menge drehen sich zum Zauberlehrling, einem sehr langsamen und sehr dunklen Tennismatch nicht unähnlich.
ZAUBERLEHRLING (holt tief Luft und verlagert sein Gewicht von einem auf das andere Bein. Das kleine Wesen boxt in seiner Manteltasche gegen seinen Oberschenkel. Er hofft, dass es nicht zu übereifrig ist, sonst könnte es doch unangenehme Folgen haben. Zumindest, solange es noch in seiner Tasche steckt. Der Mantel war teuer.): Ihr habt schon richtig gehört! Jetzt ist es an mir zu sprechen, und ich spreche für das Volk!
GUSTAVO (im Hintergrund leise an den Handlanger): Geht es dir gut, Schatz?
ZAUBERLEHRLING: Jedes Jahr nehmt ihr eure Untergebenen aus und rühmt euch dabei noch mit Großmut!
GUSTAVO (immer noch im Hintergrund an den Handlanger): Du sahst wirklich schon mal besser aus.
ZAUBERLEHRLING: Dabei gebt ihr eurem Volk nichts! Dieses Jahr wird sich das ändern!
KÖNIGIN: Ach.
URALTER MANN (mit durchdringender Stimme): Was hat sie gesagt?
JUNGE FRAU NEBEN IHM: Nicht jetzt, Opa!
Ein kurzes Schweigen schiebt sich zwischen die Massen. Der Wind frischt auf und zerrt gefährlich an den Flammen der einzigen Fackel.
ZAUBERLEHRLING: Dieses Jahr werdet ihr eurem Volk etwas von eurem Reichtum geben, oder ich werde einen Fluch auf euch loslassen!
Erneutes lautes und kollektives Einatmen der Menge. Man hört ein leises 'Autsch!' als einer der beiden jungen Männer sich an einem ungepoppten Korn einen Zahn ausbeißt.
KÖNIGIN (offenbahr deutlich weniger eingeschüchtert als alle anderen, man könnte auch sagen: belustigt): Ach, und wie soll er aussehen, dein Fluch?
Die Köpfe drehen sich erneut zum Zauberlehrling.
ZAUBERLEHRLING (greift in seine Tasche. Das kleine Wesen beißt ihm in den Finger, dann zieht er es hervor und hält es unheilvoll in den Fackelschein): So sieht er aus!
Die Menge beginnt bereits, schon wieder entsetzt Luft einzusaugen, ehe ihre Blicke auf das kleine, fellige Wesen fallen, das nun eifrig auf der ausgestreckten Hand des Zauberlehrlings auf und ab hoppst. Sie schaffen es gerade noch rechtzeitig, sich davon abzuhalten und stattdessen die Augen zusammenzukneifen und irritiert die Stirn in Falten zu legen. Die dramatische Pause wird nur vom Kauen eines der beiden jungen Männer unterbrochen. Der andere schmollt.
URALTER MANN (durchdringend an seine Enkelin): Jutta, was ist das? Kann mal einer das Licht anmachen? Das sind ja Verhältnisse wie im Mittelalter!
GUSTAVO (lauter): Ich glaube, wir brauchen einen Arzt.
KÖNIGIN (ruft im Zuge eines kleinen, wohlplatzierten brechtschen Einwurfs): Sie bricht in schallendes Gelächter aus und wirft ihren Kopf in den Nacken, wo er bequem auf ihrer in der Kälte erstarrten Halskrause zum Erliegen kommt!
ZAUBERLEHRLING (düster und leise. Sofort ist Brecht wieder vergessen, zumal der ohnehin noch nicht einmal geboren war zur Zeit des fernizischen Königshofs. Der Fackelschein fängt des Zauberlehrlings Gesichtszüge gekonnt ein und verleiht ihnen tiefe Schatten und mehr Kanten, als nötig gewesen wären, um die Damenwelt von ihnen zu überzeugen): Das werdet ihr noch bereuen. Die negativen Gefühle sind Nahrung für dieses … (er wirft selbst einen ein wenig verwirrten Blick auf das kleine Fellwesen in seiner Hand. Das Fellwesen hält einen Moment inne und wirft einen Blick zurück) … Wesen! Jetzt mag es klein sein, aber …
Die Königin lacht lauthals. Ein Baby beginnt zu weinen. Das Fellwesen wird größer.
ZAUBERLEHRLING: Seht ihr! Seht her! Nun schaut schon her!!
Das Volk blickt gehorsam auf den Zauberlehrling und saugt dieses eine Mal in echtem Erstaunen den Atem ein. Das Wesen ist auf die doppelte Größe gewachsen.
KÖNIGIN (winkt gelangweilt ab): Ach, so ein Unsinn.
ZAUBERLEHRLING: Aber! Das ist noch nicht alles. Diese – (er wirft eine kleine Rauchbombe auf den Boden, die den Platz für einige Sekunden in dichten Qualm hüllt. Er hofft innig, der Auftritt möge auf Anhieb klappen. Dafür, dass sie von keinem Theater Ferniziens angestellt wurden waren die Schauspieler ganz schön teuer) NACKTEN, HUNGERNDEN KINDER (der Rauch verfliegt und das Volk schnappt in echter Empörung nach Luft; der junge Mann verschluckt sich an seinem Popcorn, der andere lacht hämisch) sind von der Königin verstoßen und geächtet worden! Sie haben an den Schloßtoren um Asyl gebettelt und sind abgewiesen worden! Die Königin hat Kinder vor die Tür geschickt; nackte, hungernde Kinder!
Das Wesen in der Hand des Zauberlehrlings wird zu schwer, als dass er es noch halten könnte. Er zieht seinen Arm zurück. Die Wut unter dem Volk schwappt hoch, und das Wesen wächst. Der Zauberlehrling freut sich, könnten wir einen Close Up machen böte es sich nun an, um seine gehässig zuckenden Mundwinkel einzufangen. Bedauerliches Medium, dieses Theater).
ZAUBERLEHRLING: Deswegen werdet ihr dieses Jahr eurem Volk etwas zurückgeben!
KÖNIGIN: Aber … aber ich habe nichts bei mir.
Der Handlanger kippt hinter ihr in den Matsch. Gustavo beugt sich über ihn.
ZAUBERLEHRLING (wenn möglich, noch gehässiger und düsterer als zuvor): Oh doch …
Es wird ruhig. Die Menge scheint nachzudenken. Der Uhu schuhut erneut. Langsam werden die Gesichter der Umstehenden wieder heller. Die nackten, hungernden Kinderdarsteller stöhnen und jammern. Endlich versteht es auch die Königin.
KÖNIGIN: Meine Roben!
CHOR, DER SICH SPONTAN AUS DER MENGE FORMT UND BEREITS ZU EINER STEPPNUMMER ANSETZT: Ihre Roben! Ihre Roben!
URALTER MANN (mit hoher, stechender Stimme): Jetzt seid doch endlich mal still!
ZAUBERLEHRLING (mit dem unausweichlich triumphalen Blick unter buschigen Augenbrauen hervor, den er so lange vor dem Spiegel geübt hat): Eure Roben … Ein Kleidungsstück dürft ihr behalten, mehr nicht. Nun zeigt, wie großmütig ihr seid, und gebt eurem Volk, gebt den nackten Kindern …
KÖNIGIN (nach kurzem Überlegen, aber mit Nachdruck): Nein.
Zunächst ungläubiges Schweigen. Dann totaler Amoklauf der Masse. Schreie, Kreischen, hier und dort werden kleinere, leichtere Personen wütend in die Luft geworfen. Scheiße wird schnell vom gefrorenen Boden abgemeißelt und gesellt sich zu ihnen. Wütende Aufschreie schwappen wie Wellen durch die Meute. Der Zauberlehrling steht wie im Auge des Sturms darin; das Wesen wächst schnell, bis es schließlich die Menge überragt und immer noch größer wird. Schließlich bäumt es sich auf und setzt zum Brüllen an. Mit einem Mal ist die Menge ruhig und fühlt sich klein und unwichtig. Dann fällt ihnen ein, dass das Monster auf ihrer Seite steht. Sie wenden sich wieder der Königin zu und schütteln wütend erhobene Fäuste in ihre Richtung.
KÖNIGIN: Ich … ja, also … (Blickt sich um auf der Suche nach dem Handlanger. Dieser liegt bewusstlos auf dem Boden, während Gustavo mit einem Mann diskutiert, der behauptet, Arzt zu sein, aber offensichtlich Zierfischer ist)
MONSTER (brüllt): [xxxx] ← nach Belieben mit Lauten füllen.
ZAUBERLEHRLING: Nun?
Der Tumult erstirbt. Die Königin schnaubt. Schließlich beginnt sie langsam, ihre Roben zu öffnen. Das Volk starrt sie gebannt an dabei. Die erste Robe fällt. Die vorderen Reihen drehen sich entsetzt zur Seite, man hört ein leises 'Oh mein Gott!' und ein 'Autsch!' von irgendwoher, aber die Königin fährt fort. Der Zauberlehrling selbst hat nur schlechte Sicht auf das Geschehen, ist aber auch ganz froh darüber.
KÖNIGIN: Nur damit das klar ist (eine weitere Robe fällt mit prunkgeladenem Klatschen in den Dreck; ein Stück daneben fällt Jutta in Ohnmacht, während ein uralter Mann neben ihr anzüglich grinst und langsam rote Ohren bekommt), meine Krone werde ich behalten!
ZAUBERLEHRLING (bemerkt erst jetzt, dass eine Krone auch als Kleidungsstück durchgehen kann. Kurzer Ausbruch kalten Angstschweißes. Dann Schulterzucken): Bitte. Nur zu!
Das Monster bäumt sich erneut auf und erschreckt alle damit. Die nackten, hungernden Kinderdarsteller fallen einer nach dem anderen aus ihren Rollen, doch schließlich ist es geschafft. Die Königin steht nackt bis auf die Krone vor ihrem Volk, das sich entgeistert abwendet.
KÖNIGIN: Zum Zeichen meiner Großzügigkeit! Nehmt, und geht! (Sie blickt sich suchend um, findet den Handlanger umgeben von Gustavo, einem Zierfischer, dem kleinen, dünnen Mann und einigen Schaulustigen mit Popcorntüten auf dem Boden liegen, und zuckt mit den Schultern. Sie nimmt ihre zerfetzte Ratte an sich und schwingt sich auf ihr Pferd, was panisches Jappsen der direkt Umstehenden provoziert. Jutta, die sich soeben wieder erholt hatte, fält erneut in Ohnmacht. Der uralte Mann neben ihr verlässt mit seltsam breitbeinigen Schritten unauffällig das Geschehen).
Königin ab. Das Volk starrt ihr einige Momente ungläubig nach, dann bricht Jubel aus. Weitere Fackeln werden entzündet, auf einmal ist der Marktplatz in gleißendes Licht getaucht. Das Monster, dass gerade zum Brüllen ansetzen wollte, hält ein wenig erstaunt inne und lässt es dann nach reiflichen Überlegungen bleiben. Die Bettler stürzen sich auf die Roben der Königin, deren Gegenwert vermutlich halb Fernizien durch die Fußball WM bringen könnte. Der Handlanger erwacht aus seiner Ohnmacht und sieht Gustavos Gesicht über sich. Er lächelt. Jutta kommt ebenfalls wieder zu sich und wird von einem jungen Mann, dem ein Schneidezahn fehlt, aus dem Gewühl gezogen. Zwei dicke Frauen und ein kleiner, dünner Mann verlassen verschämt den Marktplatz, öffnen wahllos eine Haustür und schließen sie hastig wieder, als sie dahinter einen uralten Mann entdecken und sich mit dem Gesehenen lieber doch nicht weiter beschäftigen wollen. Der Zierfischer wirft Zierfische unters Volk. Die königlichen Trompeten stimmen einen treibenden Marsch an. Die nackten, hungernden Kinderdarsteller blicken gelangweilt.
Der Zauberlehrling lächelt leise in sich hinein und murmelt unverständlich. Das muntere Treiben auf dem Marktplatz wird leiser, die Lichter gehen zurück, bis nur noch er erleuchtet ist, eine düstere Gestalt in einem teuren Umhang mit Kapuze. Er dreht sich um und verschwindet mit großen, hageren Schritten in der Dunkelheit. Vorhang.

Nachhall
Dereinst im fernen Königreiche
Fand sich des Tags nach Weihnachten
Die nackte und erstarrte Leiche
Der Königin am Fluß.
Angenagt von Wölfen und Rattenblut im Gesicht
(modisch, aber schlicht)
Und nur bekleidet mit der Krone;
Ihr Anblick war durchaus nicht ohne,
Kurz nach dem Sturz vom Throne.
Ohne Gewand war sie erfrorn,
Hätt sie mal statt Gold den Mantel auserkorn
Als Kleidungsstück der Wahl -
Nicht, dass es jemand stören würde,
Das Volk warf sie in den Kanal,
Und ließ sichs gut gehen.
Soviel zu 'es war einmal'.

Frohe Weihnachten!



Mittwoch, 24. Dezember 2014

Des Drärchens zweiter Teil

2. Akt, I. Szene
Der Handlanger und Gustavo stehen auf dem Platz unter dem königlichen Verkündigungsbalkon; der Handlanger wirkt nervös, Gustavo trägt eine rote Samtrobe und eine Federboa, er wirkt gelangweilt. Zögerlich gesellen sich erste Ausläufer des Hofstaats zu den beiden. Es ist der 24. Dezember, kurz vor fünf.

HANDLANGER (von einem Fuß auf den anderen tretend): Wo ist sie, wo ist sie, wo ist sie …
GUSTAVO: Reg dich ab, sie wird schon kommen. Und wenn sies nicht tut, wäre auch keinem geschadet …
HANDLANGER (wirft Gustavo einen düsteren Blick unter zusammengezogenen Augenbrauen zu): Du bist dir darüber bewusst, dass dies mein Job ist, Gustavo, ich bin dafür zuständig, alles in geordneten Bahnen verlaufen zu lassen, ich …
GUSTAVO (verdreht die Augen, murmelt): Jetzt geht das wieder los.

Sie sehen sich für einen Moment angespannt in die Augen, der Handlanger setzt soeben zum sprechen an, da geht ein kleiner Tumult durch die dürftige Menschenmenge.

RITTER: Ich glaube, sie kommt.
HOFDAME I: Wurde aber auch Zeit. Mein Puder friert bereits an meinem Gesicht fest.
HOFDAME II: Das macht auch keinen Unterschied mehr …
HOFDAME I: … was?
HOFDAME II (holt tief Luft, macht unbestimmte Handgeste und setzt zu einer ohne Zweifel lang geplanten und mindestens ebenso lang zurückgehaltenen Rede an, ehe sie unterbrochen wird):
Pompöses Trompetendröhnen, untermalt vom subtilen Stöhnen aller Anwesenden sowie dem etwas weniger subtilen Stöhnen des Hofmarschalls und seiner Geliebten, die, unweit des Platzes, in einem billigen Tavernenzimmer wilden Sex haben, die königlichen Weihnachtsgrüße vergessen haben und dafür in Kürze erst von der Gattin des Hofmarschalls und, ein wenig später, vom sich dabei äußerst unwohl fühlenden Handlanger zur Rede gestellt werden.

MEGER VOHN: Volk – DIE KÖNIGIN!
GUSTAVO (leise zum Handlanger): Wie lange er das wohl einstudiert hat.
Volk: seufzt. Vereinzeltes Klatschen, gepaart vom demonstrativen Blick auf die Taschenuhr, die zwar eventuell noch nicht erfunden war, aber der Geste des demonstrativ-auf-die-Uhr-schauens sicherlich nur um ein paar Jahrhunderte dicht auf den Fersen folgte.

KÖNIGIN (schielt unauffällig auf einen Zettel, den sie geschickt in ihrem Muff versteckt hat): Holdes Volk! Wie auch im letzten Jahr wollen wir uns zusammentun und ins Dorf hinabsteigen, dem armen Volk unseren guten Willen und unsere Nächstenliebe zeigen, das Weihnachtsfest gebührlich zelebrieren und …
HANDLANGER (formt stumm die Worte mit ihr): … frohen Mut verbreiten …
GUSTAVO: Ach Gottchen.
HANDLANGER (lächelnd, den Blick auf die Königin gerichtet): Halt den Rand, Schatz.

Die Königin schweift aus. Das Volk zittert ergeben und verflucht sich in Gedanken dafür, jemals auf die blödsinnige Idee verfallen zu sein, am Hof leben zu wollen. Schließlich endet die Königin und Stille legt sich über die Menge, nur unterbrochen vom triumphalen Schrei der Geliebten des Hofmarschalls, die der Situation scheinbar mehr abgewinnen kann als die meisten anderen.
Der Handlanger wirft dem Volk einen auffordernden Blick zu und klatscht lautlos in die Hände. Zögerlich fällt das Volk ein, der leicht ins Säuerliche verrutschte Blick der Königin glättet sich soweit wie möglich. Gebieterisch hebt sie den Arm, um das Volk zum Schweigen zu bringen; der Erfolg kommt prompt. Sie blickt leicht irritiert, ruft aber dennoch zum Aufbruch.

KÖNIGIN: So sei es denn, lasst uns gehen, treue Untergebene, lasst uns unseren Großmut zeigen!

Das Trompetendröhnen setzt einen Tick zu früh ein und schneidet der Königin die letzten Silben ab, der Zug setzt sich in Bewegung. Vereinzeltes Kichern ist zu hören, der Handlanger fasst sich an die Nasenwurzel. Gustavo wirft seine Boa über die Schulter und zieht den Handlanger am Arm hinter sich her. Der Hofstaat durchschreitet gemächlich das Hoftor, weit unter ihnen wird das Dorf sichtbar.

2. Akt, II. Szene
Der Marktplatz im Dorf. Halb gefrorener Matsch mit Exkrementen türmt sich am Straßenrand; vereinzelte Fackeln erhellen die Berge malerisch. Fachwerkhäuser lehnen sich wohlig mit den Schultern eineinander und beteuern einander unter vertrauenserweckendem Knarzen ihre Zuneigung. Aus einem Brunnen in der Mitte des Platzes kommt dumpfes Klopfen, wird lauter und hektischer und erstirbt schließlich. Im Anschluss ein entferntes Rülpsen.
Menschen ziehen über den Platz, mit Säcken auf dem Rücken. Einige ziehen Karren hinter sich her. Vereinzelte Hunde streunen, ein paar Bettler sitzen in der Scheiße am Wegesrand und verfluchen die Welt erstaunlich eloquent. Der Zierfischer reibt seine Hände aneinander und räuspert sich.

ZIERFISCHER: Zierfische! Köstliche Zierfische!
PASSANT (bleibt stehen): Was?

Ein paar dicke Frauen in langen Kleidern und ein kleiner, dünner Mann treten aus einem der Fachwerkhäuser und werfen die Tür hinter sich ins Schloss. Dabei fällt ein Holzbalken aus dem Fachwerk und erschlägt im Hintergrund eine Ratte. Katzen stürzen sich auf sie, Blut spritzt.

DICKE FRAU I: Wann die blöde Ische wohl dieses Jahr kommt.
DICKE FRAU II: Von mir bekommt sich nichts!
KLEINER, DÜNNER MANN: Haben wir an die Kartoffeln gedacht?
DICKE FRAU II (stöhnt): Haben wir.
KLEINER, DÜNNER MANN (entrüstet): Schrei mich nicht so an!
DICKE FRAU II: Hab ich doch gar nicht.
KLEINER, DÜNNER MANN: Hast du wohl!
DICKE FRAU I (verdreht die Augen, schweigt und tritt beiläufig einen Hund)

Die drei verschwinden im Getümmel. Am Bühnenrand werden wir ferner Fackeln gewahr, die die fernizischen Hügel hinabwackeln und die Karawane der Königin symbolisieren. Die Menge auf dem Marktplatz formiert sich und verfällt in eine spontane Tanznummer, wobei sie etwas wie „Oh nein, da kommt sie wieder, versteckt eure Habseligkeiten oder besser noch euch selbst; ach was, zündet das Dorf an und sagt der Versicherung, es war ein Unfall“ singen, sinngemäß natürlich; bei Gelegenheit Hans Zimmer anrufen. Am anderen Bühnenrand flackert ein kleines Licht auf und gewährt uns einen kurzen Blick auf eine düstere Gestalt in einem langen Umhang, der mit düsteren Blicken um sich wirft und leise murmelt. Dann erlischt das Licht und die Karawane erreicht den Dorfeingang.

HANDLANGER (eilt zur Königin und schüttelt sie zaghaft): Eure Majestät!
KÖNIGIN (schreckt hoch. Zu den ständigen Falten gesellen sich linksseitig faltige Abrücke ihrer Stehkrause): Hmpf?
HANDLANGER: Wir sind im Dorf?
KÖNIGIN (wird langsam wach): Wo?
HANDLANGER: Im Dorf!
KÖNIGIN (Erkenntnis kriecht schwerfällig über ihr Gesicht und macht daraufhin langsam durchdringendem Unwillen Platz, ehe ihr die zu erwartenden Geschenke der Dorfbewohner einfallen): Man kündige uns an!
GUSTAVO (leise): Als ob das hier irgendwem entgangen wäre.
HANDLANGER (lächelt angestrengt und schweigt, gibt aber den königlichen Trompetern ein Zeichen. Sogleich erzittert die gefrorene Scheiße unter dem Tusch, aus dem Inneren der Dorfmauern hört man ein leises 'Autsch!' und ein geflüstertes 'Stell dich nicht so an!' als die Tänzer und Sänger eilig ihre Nummer abbrechen und versuchen, eins mit den Fachwerkhäusern zu werden.)

Die königliche Karawane schickt sich an, in das Dorf zu reiten, langsam erstirbt das Licht auf der Bühne. Dabei sehen wir wieder das Flackern am anderen Bühnenrand, die düster beumhangte Figur verfolgt die Königin mit den Augen, dreht sich schließlich um und entfernt sich in großen Schritten in die andere Richtung. Vorhang.


3. Akt, I. Szene
Ein vollgestopfter Raum. Regale bedecken die Wände, darin Wurzeln und Töpfe, getrocknete Frösche, Schweineohren, Gläser gefüllt mit in Flüssigkeit eingelegten, nicht näher zu identifizierenden Tieren. Mittig schwebt ein großer Kessel über einem leise prasselnden Feuer, gelegentlich sieht man eine dickflüssige Blase daraus hervorbrechen. Daneben ein Holztisch mit Stühlen, darauf einige nackte, hungernde Kinder, die gelangweilt Dreck unter ihren Fingernägeln hervorpulen und sich bis auf kurze, giftige Gesprächsfetzen weitgehend ignorieren.

NACKTES, HUNGERNDES KIND I (nach einer längeren Pause, an Kind neben ihm): Und was ist mit Shakespeare?
NACKTES, HUNGERNDES KIND II (ohne den Blick zu heben): Pah. Total ausgelutscht. Der wirds nie zu was bringen. Wollte ich gar nicht.
NACKTES, HUNGERNDES KIND I (nickt, hält kurz inne, dann leise): Hätten sie dich denn genommen?
Alle nackten, hungernden Kinder werden mit einem mal unauffällig sehr still. Selbst die getrockneten Säugetiere in den Regalen scheinen sich unmerklich nach vorne zu beugen.
NACKTES, HUNGERNDES KIND II (widerwillig): … nein, aber …
Alle lehnen sich gleichzeitig wieder zurück und ergehen sich in Gemurmel. Das Feuer scheint wieder lauter zu prasseln.
NACKTES, HUNGERNDES KIND III (nach ein paar Minuten Pause, in denen alle schweigend am Tisch gesessen und sich in würdevoller Mimik geübt haben): Wann wollte der Idiot nochmal zurückkommen? Und hieß es nicht, für unser leibliches Wohl sei gesorgt?
Zustimmendes Gemurmel erhebt sich. Ehe sich jedoch ernsthaft echauffiert werden kann wird die Tür aufgerissen und eine düstere Gestalt in langem, dunklem Umhang steht drohend im Raum, der Mantel weht ein wenig im Wind, der Duft der Exkremente mischt sich mit dem beißenden Odeur des Kessels (und der getrockneten Tiere). Sie schreitet in den Raum, wirft die Tür hinter sich zu und zieht sich dramatisch die Kapuze vom Kopf. Die nackten, hungernden Kinder schnappen unisono nach Luft und fahren auf, einige von ihnen schlagen sich ihre knochigen Hände vor den Mund. Das nackte, hungernde Kind rechts außen (V) blickt an die Decke und schüttelt unmerklich den Kopf)
NACKTES, HUNGERNDES KIND II: Er ist so jung!
NACKTES, HUNGERNDES KIND I: Beinahe noch ein Kind!
NACKTES, HUNGERNDES KIND IV: Kaum zu glauben, dass er bereits ein Zauberer ist!
NACKTES, HUNGERNDES KIND II: Man gebe uns zu essen!
NACKTES, HUNGERNDES KIND V: So ein Blödsinn hier …
BEUMHANGTE FIGUR: Ihr macht das sehr gut. Method Acting, richtig? Ich kenne mich da ja nicht aus. Und ich bin nur Zauberlehrling, aber vielen Dank.
NACKTES, HUNGERNDES KIND III: Im Inserat stand, es gäbe ein Buffet.
Die übrigen Kinder nicken anklagend.
ZAUBERLEHRLING (ein wenig unwillig; seiner Statur nach zu schließen ist das Wort „Buffet“ keines, das es in seinen aktiven Wortschatz geschafft hat): Später … wir haben … zu tun. Sie ist angekommen.

Die Kinder (beim aufmerksamen Zuschauer schleicht sich langsam die Vermutung ein, dass es sich dabei nicht wirklich um Kinder handelt) rutschen unangenehm auf ihren Stühlen hin und her. Der Zauberlehrling durchquert den Raum eilig, nimmt einige Dinge aus seinen Regalen und steckt sie in die zahllosen Innentaschen seines ohne Zweifel teuren Mantels. Dann wendet er sich einer kleinen Kiste zu, die auf dem obersten Regalbrett steht und unheilvoll wackelt. Gelegentlich springt sie ein wenig, beruhigt sich jedoch in der Regel daraufhin schnell wieder. Der Zauberlehrling betrachtet sie einen Moment nachdenklich, dann nimmt er sie entschlossen an sich und öffnet sie. Ein dumpfer Schein quillt aus ihr und legt sich über sein kantiges Gesicht. Dann taucht er seinen rechten Arm mit Nachdruck in die Kiste und zieht ein faustgroßes Wesen daraus hervor. Wir erhaschen einen winzigen Blick darauf, einige der nackten, hungernden Kinder schlagen sich erneut Hände vor den Mund. Nicht einmal Nummer V verdreht die Augen. Dann ist das Wesen im Mantel des Zauberlehrlings verschwunden, das Licht erstirbt langsam. Wir hören Wind um die Häuserfront kratzen. Der Kessel ist das Letzte, das noch zu erkennen ist, dann wird es dunkel.

Dienstag, 23. Dezember 2014

Des Drärchens erster Teil



Vorspiel
Dereinst im fernen Königreiche
Fand sich des Tags nach Weihnachten
Die durchaus reichlich tote Leiche
Mit vielen Falten in die (einstmals) weiche
Haut gezeichnet; man muss beachten:
Es war nicht, was die Leute dachten.
Nicht Suff noch Elend war der Grund,
Nicht Wahnsinn oder Ungesund(heit)
Aber lest selbst, doch seid gewarnt!
Im trüben Licht des Fackelscheins
Wird durchaus einiges enttarnt.

Es folgt ein Weihnachtsdrärchen
Die Krone der Königin – gewisse öffentliche Demütigungen in ein paar (zeichnerisch vermutlich durchaus herausfordernden) Akten und einem Nachhall“
Unter anderem treten auf:
Der Zauberlehrling
Die Königin
Der Handlanger
Gustavo
Nackte, hungernde Kinder
Ein Monster
Jutta
Ein uralter Mann
Meger Vohn
Zwei dicke Frauen
Ein kleiner, dünner Mann
Ein Zierfischer

Zweifelhaftes Intro

Es war einmal in einem fernen Königreich eine Königin, die es regierte, das Reich. Sie war großzügig und gutherzig und wurde von allen geliebt; ihre Gefolgschaft war ihr treu und würde es immer sein, daran bestand kein Zweifel. Sie war unermesslich reich, wie Königinnen das nun mal sind, und trotz allem ließ sie es sich nicht nehmen, jedes Jahr zu Weihnachten persönlich ihr Volk zu besuchen, um ihm frohe Weihnachten zu wünschen.
So auch in diesem Jahr, vor langer, langer Zeit, in einem fernen, fernen Königreich …

1. Akt, O. Szene
Im Dorf, es ist früher Tag, der Morgen bricht gerade aufmerksamkeitsheischend an und taucht die Szenerie in orangeflüssiges Licht. Der Zierfischer baut seinen Stand auf, um den Tag über Zierfische zu verkaufen (er blickt ein wenig mürrisch, die Geschäfte laufen nicht so gut zurzeit). Der Zauberlehrling geht leise und vollkommen aus dem Zusammenhang an ihm vorbei und murmelt.

ZAUBERLEHRLING: Es war einmal in einem fernen Königreiche, gegen Mittag, an der Eiche …
ZIERFISCHER: Wie bitte?
ZAUBERLEHRLING (bleibt einen Moment stehen, hält inne, geht weiter): Ach, nichts …

Vorhang.


1. Akt, I. Szene
Wir befinden uns im fernen, fernen Reich der Königin; im Folgenden Fernizien genannt. Der Thronsaal prunkt mit der Robe der Königin um die Wette, die Shakespearsche Halskrause war gerade in Mode gekommen. Der Handlanger steht angestrengt vor der Königin aufrecht und kann sich nur mit Mühe davon abhalten, sich müde die Stirn zu reiben, während die Königin auf dem Thron sitzt und jede ihrer Trauben einem eingehenden Casting unterzieht, ehe sie sie einzeln verspeist.

KÖNIGIN: Handlanger?!
HANDLANGER: Ja, o meine Königin?

Er schmachtete sie gewohnheitsmäßig an. Nicht, dass der Handlanger heimlich in die Königin verliebt gewesen wäre, nein, niemals, denn erstens war er schüchtern und zweitens schwul wie die Nacht schwarz, obgleich er der Königin eine gewisse Anziehungskraft nicht absprechen konnte, wenn sie majestätisch ihr knöchernes Gestell durch den königlichen Schlossgarten schob und dabei gelegentlich königinnenhaft in ihr Taschentuch hüstelte. Nach ihrer Krönung, als sie noch eine junge Königin und er ein junger, frischer Handlanger voller Tatendrang gewesen war, gingen einige Zeit Gerüchte um über ihn und ihre Majestät. Man erzählte sich, die oberste Hofstaatsstabsführerin hätte sogar eine Wette mit dem zweitobersten Hofstaatsstabkommandatenausbilder am Laufen gehabt, dem Gemunkel zufolge hatten sie um ein königliches Springpferd und eine halbe Gans gewettet - allerdings ist nie ans Licht gekommen, wer die Wette denn nun gewonnen hatte, denn kurze Zeit darauf wurde der königliche Springreitsport gestrichen und dem Hofstaat eine vegetarische Diät verordnet. Tja, was soll man machen.

KÖNIGIN: Ich wünsche, dass mir morgen Abend der Graf von Nebenan und seine reizende Familie Gesellschaft leisten zum Dinner. Oder noch besser nur der Graf von Nebenan, ohne seine reizende Familie …

Eine weitere, dunkle Geschichte aus dem Reich verwinkelter, herrschaftlicher Zwiespältigkeiten; der Handlanger seufzte.

HANDLANGER: Aber eure Majestät, morgen Abend ist doch …
KÖNIGIN: WAS ist morgen Abend?!

Sie funkelte ihn an, ihm wurde flau im Magen. Eine Falte ihres Halses kroch gemächlich über ihren spitzenbesetzten Stehkragen.

HANDLANGER: Eure königliche Hoheit, morgen ist Weihnachten, und Ihr wisst, was das bedeutet …

Sich jetzt bloß nichts anmerken lassen. Er hasste es, sie jedes Jahr daran erinnern zu müssen und hatte sich schon mehr als einmal gefragt, weswegen er immer noch königlicher Handlanger war, warum er es überhaupt geworden war. Er hätte damals die Ausbildung zum Zierfischzüchter machen, oder gleich mit Gustavo nach Holland auswandern sollen. Aber nein, sie waren geblieben, er war Handlanger, Gustavo fühlte sich nach wie vor zur Frau berufen und trat deswegen eher selten im mittelalterlichen, hofstätischen Treiben auf, und sein Vater war mittlerweile tot, Herzinfarkt, nachdem er Gustavo kennengelernt hatte und dieser ihm zur Begrüßung kokett die Hand zum Handkuss hingehalten, danach höfisch geknickst hatte und zart errötet war. Und das, wo er ihm so oft gesagt hatte, er solle es nicht übertreiben; sein Vater war da etwas altmodisch.
Wie dem auch sei, die Königin funkelte. Dann beruhigte sie sich.

KÖNIGIN: Ach ja, Weihnachten … Haben sie meinem Hofstaat bereits Bescheid gesagt?

Das war auch so eine Sache. Er musste dem Hofstaat im Grunde nicht Bescheid geben, die einzige Person innerhalb der Schlossmauern, die Weihnachten vergaß, war die Königin selbst, und vielleicht noch der Urgroßvater der ersten Schlossgrabenstehers, aber der war auch hundertundsieben, der Urgroßvater, nicht der erste Schlossgrabensteher, und hatte Alzheimer. Was zu dieser Zeit noch eine unentdeckte Krankheit war, aber wen interessiert das schon; den Urgroßvater des ersten Schlossgrabenstehers zumindest nicht, der erfreute sich abgesehen davon nämlich bester Gesundheit und lernte dabei noch jeden Tag neue Leute kennen.

HANDLANGER: Nein, eure Majestät, aber das werde ich selbstredend auf der Stelle nachholen, wenn ihr gestattet.

Die Königin wedelte mit ihrer knöchernen Hand ein bisschen in der Luft herum, als wollte sie eine lästige Fliege verscheuchen, während ihre Mimik beschloss, zu proben wie sie sich zu verhalten hätte, sollte besagte lästige Fliege verschluckt werden. Der Handlanger machte sich eiligst auf den Weg.
Die Sache war nun also - der Teil, der es noch unangenehmer für den Handlanger machte, als es ohnehin schon war, jedes Jahr aufs neue von der Königin zur Schnecke gemacht zu werden, nur, um daraufhin wie jedes Jahr am Weihnachtsabend nicht zuhause zu sein, wo er doch wusste, wie sehr das Gustavo kränkte, kochte er doch jedes Mal, letztes Jahr hatte er sogar Eierflip gemacht - die Sache war nun also, der Hofstaat hasste es genauso wie er, am 24. Dezember von der Königin eingespannt zu werden, um das Volk zu besuchen, für das sich doch eigentlich weder der Hofstaat noch die Königin interessierte. Aber wehe, der Handlanger würde sie in einem Jahr nicht ans kommende Fest erinnern, er wäre seinen Job, und mit ihm vermutlich auch seinen Kopf, schneller los als sich Gustavo in eine seiner Designerroben werfen könnte, um zur Hinrichtung zu erscheinen. Was zur Folge hatte, dass er zunächst alljährlich vor der Königin schlecht dastand, weil er sie an unliebsame, wenn auch selbst auferlegte, Pflichten erinnerte, nur um daraufhin vor dem gesamtem Hofstaat schlecht dazustehen, der natürlich all seinen Ärger an ihm abließ.
Der Handlanger fühlte sich miserabel.

1. Akt, II. Szene
Der Handlanger begibt sich auf den königlichen Verkündigungsbalkon, Meger Vohn ihm dicht auf den Versen, der Mann mit der lautesten Stimme der Welt; ein lautes Organ, ja, nur leider würde nie mehr aus ihm werden als ein königliches Sprachrohr, war er doch bedauerlicherweise dumm wie eine Sinkwanne.1Die Sonne geht langsam unter, auf dem Platz unter dem Balkon tummelt sich das mittelalterlich berobte Volk und handelt angeregt mit Bierfässern, Giftpilzen und abgehackten Fingern. Ein Barde steht etwas abseits und stimmt verzückt seine Laute, auf einer kleinen Bühne finden letzte Proben statt. Im Hintergrund eine Hexenverbrennung. Einige Statisten sollten mimisch Gestank verdeutlichen, u.U. könnte ein ehemaliges Mitglied Monty Pythons beiläufig am Bühnenrand eine Gans wiegen; aber nur, wenn es nicht zu teuer ist.

Der Handlanger räusperte sich. Meger Vohn räusperte sich mit.

HANDLANGER: Hört, hört…
MEGER VOHN: HÖRTHÖRT!
HANDLANGER: Ja, ganz so laut wird es wohl nicht …
MEGER VOHN: JA GANZ SO LAUT WIRD …
HANDLANGER: Nein, verdammt, das sollen sie nicht wiederholen!
MEGER VOHN: NICHT?
HANDLANGER: Nein. Also, nochmal.

Der Handlanger fasste sich kurz an die Nasenwuzel und sammelte sich.

HANDLANGER: Hört, hört!

Nichts. Er warf Meger Vohn einen skeptischen Blick zu.

HANDLANGER: Hört, hört!!

Wieder nichts.

HANDLANGER: Hören sie mal, Herr Vohn, können wir das jetzt bitte …
MEGER VOHN: HÖREN SIE MAL HERR VOHN …
HANDLANGER: Nein, HERRGOTT, hören sie doch zu!

Meger Vohn blickte schuldbewusst auf den polierten Boden des königlichen Verkündigungsbalkons und nickte.

HANDLANGER: Gut, habe ich ihre volle Konzentration?

Meger Vohn nickte erneut und biss sich auf die Unterlippe. Bitte lieber Gott, mach, dass das bald vorbei ist. Der Handlanger war noch nie gut darin, anderen Anweisungen zu geben.

HANDLANGER: Hört, hört!
MEGER VOHN: Hört, hört!

Aus dem Publikum kamen erste genervte Rufe, sie würden ja zuhören, und ob man jetzt bitte weitermachen könne, das Lustspiel finge gleich an.

HANDLANGER: Die Königin lässt verkünden,
MEGER VOHN: Die Königin lässt verkünden!
HANDLANGER: Dass am morgigen …
MEGER VOHN: Dass am morgigen!

Der Handlanger atmete tief durch. Nicht genug, dass er sich fühlte wie eine schlechte Zirkusnummer mit Papagei, der Papagei war auch noch schwer von Begriff.

HANDLANGER: Könnten sie bitte erst einen Satz abwarten, bevor sie mich wiederholen?
MEGER VOHN: Natürlich!
Der Handlanger atmete einmal tief ein und betont langsam wieder aus.

HANDLANGER: Dass am morgigen Abend, dem Weihnachtsabend …

Der Handlanger wartete.

HANDLANGER: Herr Vohn?
MEGER VOHN: Ich habe keinen Punkt gehört. Das war kein ganzer Satz.

Der Handlanger war kurz davor, handgreiflich zu werden, hielt sich jedoch eisern im Zaum. Als ob dieser Halbidiot die Interpunktion verstanden hätte.

HANDLANGER: Würden sie bitte dennoch wiederholen, was ich gerade gesagt habe?
MEGER VOHN: Sehr wohl. Äh, könnten sie gerade vielleicht nochmal…?

Es war zum die Wände hochgehen. Wäre schon bekannt gewesen, dass Aufregung extrem schlecht für den Blutdruck ist, hätte sich der Handlanger jetzt wahrscheinlich Sorgen um seine Gesundheit gemacht.

HANDLANGER: Dass - am morgigen Abend. DEM. WEIH-nachts-abend!
MEGER VOHN: DAS AM MORGIGEN ABEND DEM WEIHNACHTSABEND
HANDLANGER: Sich um fünf Uhr eingefunden wird, um das Volk zu besuchen.
MEGER VOHN: SICH UM FÜNF UHR EINGEFUNDEN WIRD UM DAS VOLK ZU BESUCHEN.
HANDLANGER: Bitte bringt Mäntel und feste Schuhe, eventuell einen Esel oder wenn ihr habt ein Pferd. Frohe Weihnachten.

Damit verließ der Handlanger das frustrierende Szenario, Meger Vohn hörte er noch, als er seine Schlafgemächer erreicht hatte.

Handlanger ab, Meger Vohn verbleibt noch ein Weilchen auf der Bühne und erfreut sich nutzloser Sinnlosigkeiten.

1 Und erfand 13 Jahre später, nachdem die Monarchie endgültig abgeschafft und durch eine Diktatur ersetzt worden war und die Gänsezucht sowie der Springreitsport wieder aufgenommen wurden, das Megafon und wurde der reichste Mann der Welt. Und das, obwohl er seiner Zeit das Studium abgebrochen hatte.

Mittwoch, 10. Dezember 2014

Apocalypse in an empty theatre


Die Stimmen schweigen beharrlich und mit einer gewissen Penetranz in den Äther hinein. Irgendwie hat man gelernt, ihr Schweigen zu ignorieren und so zu tun, als wäre das Leben etwas ganz normales ohne sie, obwohl man natürlich weiß, dass es das nicht ist, dass es nicht normal ist, sein Leben in Uniräumen und Clubs zu verbringen, nicht, wenn man man selbst ist, nicht in diesem Dasein. Trotzdem funktioniert es momentan und es funktioniert ganz gut, auch wenn man spürt wie sie unruhig werden, die Stimmen, sie räuspern sich ein wenig nervös an guten, demonstrativ an weniger guten und einfach gar nicht mehr an schlechten Tagen. Let's face it, Schweigen ist scheiße, inneres wie äußeres; die Menschen müssen mehr kommunizieren, ob mit sich oder anderen sei jetzt mal dahin gestellt.
Die emotionale Sinuskurve schwingt, steil und mit unangenehmen Spitzen oben und unten versehen, immer wieder an den stummen Stimmen vorbei, hoch und runter, mehr runter als hoch. Ab und zu nimmt sie dabei ein paar willkürlich aneinandergereihte Worte mit und wirft sie aufs virtuelle Papier, manchmal auch auf echtes, lang lebe das unkaputtbare Analogicum, die Analogue Humanities freuen sich. Trotzdem - irgendwann wird man von innen heraus zerspringen, als sei man mit Porzellan ausgekleidet gewesen, zurück bleibt eine Schale, zäh vom Wind, aber jederzeit bereit, in sich zusammenzufallen, zu implodieren und sich in Rauch aufzulösen, man weiß es. Vielleicht sollte man über eine Pause nachdenken. Aber Weihnachten kommt, diese durchtriebene Kollaboration der Geschenkpapier-, Buch-, hässliche Krawatten-, Schokoladen- und Bildungsindustrie. Perfide. Bis dahin: weiteratmen und Frauenzeitschriften meiden; im Zweifel für das Katzenvideo (honestly, we need all the warm and fuzzy happiness we can get. Desperately. Anyone offering [asked the vultures and stopped gnawing on the leathery, dead bones that used to be their souls while looking up; eyes too wide and bloodshot; nervously twitching eyelids, pinkish rims above blueish rings]?).

Weitere Fakten, die zu beachten wären:
1) The unicorn is not a unicorn. It's a donkey with a plunger stuck to its face.
2) Ein voller Kühlschrank macht mich genauso nervös wie ein leerer.
3)Everyone knows how to talk, and no one knows what to say.

Im Folgenden lustige Anekdötchen zur Auflockerung und allgemeinen Erheiterung der Massen.


Anfang Dezember
Kapitel 1, die Neunzehnte

Man steht auf der Brücke über der Autobahn und sieht weißen und roten Lichtern beim Dasein zu. Pink Floyd untermalt den kleinen Ausflug mit einer Untertasse voller geheimer Dinge, an der man sich festhalten kann; an Geheimnistuerei und aufgesetztem Lächeln, man lebt aneinander vorbei, während keiner sagt, was er denkt, sondern stattdessen höflich zur Seite tritt; nein, natürlich ist das in Ordnung, darfs auch noch die andere Wange sein und vielleicht eine Extrascheibe für die lieben Kleinen?
Die Knie frieren von innen an der Strumpfhose fest. Wäre man obdachlos stünden die Chancen gut, in der Nacht draufzugehen. Ist man aber nicht. Auch wenn man manchmal den Eindruck hat, in der kosmischen Hackordnung nicht deutlich weiter oben zu stehen, man versucht es ja, aber irgendwas läuft da schief, mentale Obdachlosigkeit, vielleicht sollte man eine Petition starten oder wenigstens einen Häkelkurs belegen.
Das neue Leben ist knapp zwei Monate alt und schläft nicht durch. Man ist sich noch nicht ganz sicher, wie sehr man es mag, oder ob überhaupt - das heißt, nein, man mag es, wie man Kinder wohl mag, wenn sie selbst gemacht sind, man ist ja quasi verpflichtet. Und im Grunde wollte man das ja alles auch, nur manchmal ist es anders als man dachte. Trotzdem macht man weiter und irgendwie beugt man sogar der Instantdepression vor, meistens, die sich alle zulegen, die sich keine aus ganzen Bohnen leisten können. Im Großen und Ganzen aber ist es schon okay, man hält sich über Wasser, und das neue Leben wird ja auch irgendwann älter; zurzeit scheißt es noch recht viel und auch gerne an der Windel vorbei. Über kurz oder lang aber sollte sich das ändern, das Zahnfleisch ist ja auch eher schlechtes Gehwerkzeug, das wussten wir aber auch schon vorher. Also schieben wir Literatur zwischen uns und die Welt, um nicht daran verrückt zu werden (der Welt, that is) und das Man zwischen das Ich und den Text, um nicht über sich selbst zu sprechen (was man natürlich doch tut, wen wollen wir hier eigentlich verarschen). So richtig davon ablenken, dass man den Eindruck hat, auf der Stelle zu treten, kann das aber auch nicht. Stellt sich nur die Frage: hat man nur den Eindruck, oder ist dem wirklich so? Man weiß es nicht, man weiß es nicht. Was man weiß, ist dass sich die Einstellung stetig ändert und einen damit vermutlich recht effektiv daran hindert, Klarheit über irgendwas zu bekommen, seis jetzt Leben oder Studieren oder der übrige Mist, was bleibt da noch, weiß man auch nicht, irgendwas wirds schon sein, hofft man. Auch wenn man merkt, dass man eigentlich nichts anderes macht. "Leben" ist ja auch ein recht weit gefasster Begriff, das muss man schon zugeben, doch.
Vielleicht sollte man einfach aufhören, nachzudenken. Gelegentlich sortiert man die angesammelten Zettelwerke der vergangenen Jahre aus und findet immer wieder folgendes: a) Entscheidungsbäume. Und b) Erinnerungen an rare, klare Momente. Kürzlich unter besagter Rubrik gefunden: Don't think. Just DO.
Gesagt, nicht getan. Man ist sich vage darüber bewusst, dass sich nicht viel am Gesamtzustand ändern wird, wenn man jetzt sein Leben nimmt und über den Haufen wirft. Haben wir schon circa acht Mal getan, hat uns nie zum Menschen des Jahres gemacht. Sollte unterlassen werden. Sagt man jetzt.
Wäre doch aber so nett, sagt man dann morgen.
Oder vielleicht lieber doch nicht?, übermorgen.
Im Grunde ist es ja eigentlich ganz in Ordnung so wie es gerade ist. Letztendlich wird man nie das richtige finden, das perfekte. Und das weiß man eigentlich auch. Das sagt sogar die Literaturwissenschaft (na, dann ...).
Aber, aber! ruft das kleine Männchen im Hinterkopf und springt mit Anlauf und Elan mit den Füßen auf den Boden, stampft quasi stereo, und fuchtelt mit den Armen. Jajaja, sagt man und winkt ab. Irgendwie ist man über die Jahre zu müde geworden, um noch auf das Männchen zu hören, den Gnom, der nur darauf wartet, mal wieder so richtig einen drauf zu machen, wenn man gerade nicht hinschaut. Bevors uns noch zu wohl wird hier. Irgendwie hat man sich wohl doch entwickelt, auch wenn man es aus dem Moment heraus vielleicht nicht sehen kann (oder will). Es könnte ja doch durchaus sein, dass man ein, zwei Dinge richtig gemacht hat in seinem Leben. Die Masse der Dinge, die diesen zwei gegenüber stehen, wirkt aber immer noch so anheimelnd wie die Sohle des Wanderstiefels von unten auf die Ameisenkarawane wirken dürfte, man fühlt sich irgendwie fad und zäh wie alter Kaugummi. Du hast doch noch das ganze Leben vor dir! orakelt Omma demgegenüber und man ist sich nicht ganz sicher, ob man lachen oder weinen soll deswegen, und entscheidet sich dafür, beides gleichzeitig zu tun, leichte Schräglage zur Hysterie, was soll man da nur machen [Umziehen! Umziehen! kreischt das Männchen. Wir schweigen und nehmen einen wohl überlegten Schluck Wein.].
Vielleicht sollte man einfach ins Bett gehen. Oder mehr Wein trinken. Oder beides. Vielleicht sollte man sich nachts nicht auf Brücken stellen und dabei Pink Floyd hören (hey, sie lag auf dem Weg, ja). Vielleicht sollte man einfach mal aufhören, so viel nachzudenken, und einfach machen. Vielleicht kommen wir dann ja irgendwann wirklich zu Kapitel zwei.


Immer noch Anfang Dezember, später.
Mäandernde Gedanken running rampant.
Auch nachts sind Schäfchenwolken am Himmel, nur dunkler

Spätestens wenn man merkt, dass man sich selbst nicht mehr mag manchmal sollte man vielleicht mal über Reklamation nachdenken. Oder, Renovierung -

Glück ist, wenn man morgens aufsteht und weiß, warum.
Glück ist, wenn man morgens gar nicht erst aufstehen muss.
Glück ist, wenn man zu spät an den Bahnhof kommt und merkt, dass der Zug auch Verspätung hat.
Glück ist eine Flasche Rotwein.
Glück ist ein lieber Mensch, der tatsächlich freiwillig seine Zeit mit einem teilt und das, obwohl er bereits gemerkt hat, was für ein hoffnungsloser Weirdo man ist.
Glück ist, ein Dach über dem Kopf und genug Geld zum leben zu haben.
Glück ist -
zu merken, was für ein Glück wir eigentlich haben, diesen Mist hier lesen zu können, diesen Mist schreiben zu können, die Zeit zu haben, uns mit Unwichtigkeiten wie Blogs zu beschäftigen.

Glück ist der richtige Film zur richtigen Zeit, die richtige Musik im rechten Moment; Glück ist jetzt, ob ich es glaube oder nicht.
Glück ist, Dinge wieder tun zu können, die man bereits abgehakt hatte. Glück ist, jemanden zu finden, der mit einem weglaufen würde, um den Rest zu vergessen, nur nicht bleiben, gehen, ohne zu sagen, warum -

Glück ist - jetzt. Mehr als sonst, mehr als zuvor. Auch wenn man es nicht merkt, nicht wahrhaben kann oder will, nicht sieht, schmeckt oder riecht - hier, das ist Glück. When the lucky break hits it's like being Cinderella and hopefully midnight doesn't come.

Glück ist glauben ans Warum. Glück ist eine durchwachte Nacht in der Großstadt. Glück ist der Sonnenaufgang, der darauf folgt. Glück ist das Meer und der Verkehr, der an der Ampel steht, die Musik, die durch die Nachtluft hallt, Glück ist, ganz vorne an der Theke zu stehen und Glück sind Freunde, die einen auffangen, wenn das zu oft vorkam in einer Nacht. Glück ist der seltene Vogel, der sich auf deiner Schulter niederlässt, ein paar Takte in dein Ohr singt und weiterfliegt - Glück ist weglaufen und ankommen und wieder weiter gehen. Glück ist die Suche und nochmals die Suche; und wenn ich jemals behaupte, gefunden, gefunden, zu haben, dann schlagt mich, schlagt mich weich wie Kompott, denn niemand findet, niemand weiß - Glück ist die Unwissenheit und der Zweifel und die Aussicht auf mehr, mehr Leben, mehr Menschen, mehr Welt; denn nichts wenn nicht das spornt uns an, weiterzumachen.

Glück ist JETZT; Glück ist immer irgendwo, irgendwie. Nur meistens sieht man es nicht.

-

Die Sinuskurve. Vereinzelte Blätter hängen noch stoisch am Zweig und wehren sich aufmüpfig gegen das Fallen, sieben Stockwerke, wer kanns ihnen verübeln. Das Geschrei auf dem Fussballfeld ist abgeebbt, vielleicht kommen sie später wieder. Alles wird ganz leise und der Tee wird kalt.
Und ob ihrs glaubt oder nicht, die Dämonen, die an meinem Fenster kleben, wollen auch nur leben.

*salutes.