1.
Akt,
1. Szene
Weihnachten, früher Morgen. Die königliche Bühne. Die Generalprobe zum
Weihnachtsdrama, das anlässlich des ersten Jahrestages des Todes der Königin
aufgeführt werden soll (gegen Nachmittag), ist in vollem Gange.
GELANGWEILTER SCHAUSPIELER
1 (in Königinnenrobe und angemessen herablassend, was Teil der Rolle sein mag, oder auch nicht): Können wir
jetzt Frühstückspause machen?
GELANGWEILTER SCHAUSPIELER
2, 3 und 4 (nicken zustimmend)
KÖNIGLICHER INTENDANT
(mit leicht bebender Stimme): Wir hatten das geklärt, wir proben die Szene, wie die Königin im
Dorf ankommt, und dann können wir Pause
machen …
STATIST (aus dem
hinteren Teil der Bühne): Es ist aber schon beinahe acht.
KÖNIGLICHER INTENDANT
(fährt aufgebracht herum und sucht erfolglos den aufmüpfenden Statisten in der Menge der ansonsten angenehm
eingeschüchterten Höflinge, die
ihr Glück nicht fassen konnten, eine Rolle beim königlichen Weihnachtsdrama bekommen zu haben):
Wer war das?!
STATISTEN (Schweigen
unisono und äußerst unbefriedigend)
KÖNIGLICHER INTENDANT
(seufzt und reibt sich die Nasenwurzel; der Druck der drohenden Aufführung sprießt ihm in Form von übel
riechendem Schweiß aus jeder Pore): Gut,
dann also von vorne … Die Karawane kommt im Dorf an und die Königin beginnt, Geschenke des Pöbels
entgegenzunehmen …
LEISE STIMME VOM
BÜHNEHINTERGRUND: Der Handlanger hat gesagt, wir sollten die Dorfbewohner nicht ‚Pöbel‘ nennen.
KÖNIGLICHER INTENDANT (dramatisch;
gelegentlich fühlt er den Drang herauszustellen, dass er im Grunde der einzig wahre Schauspieler an der
königlichen Bühne ist, und nur aufgrund
eines blöden Fehlers die undankbare Rolle des Intendanten zugeschoben bekommen hat): So störet
mich nicht ewiglich mit euren niederen Gedanken!
Ich, und ich allein, …
Der königliche Intendant monologisiert mehrere Minuten. Die
Schauspieler ziehen nacheinander ihre Miniaturbarden[1]
aus den Taschen ihrer Kostüme und beginnen, gelangweilt darauf zu starren und
vereinzelte Nachrichten an ihre diversen Affären zu diktieren. Die Barden
machen blasierte Gesichter und entfernen sich zum Großteil zügig.
GELANGWEILTER SCHAUSPIELER
2 (deutet auf den Barden von Gelangweilter Schauspieler
4, der seit zwei Minuten versucht, mit leerem Ausdruck die Stufen der Bühne hinabzusteigen, aber nicht mit den
Füßen auf den Boden kommt): Was macht der
da?
GELANGWEILTER SCHAUSPIELER
4: Der hat Verbindungsprobleme in letzter Zeit.
GELANGWEILTER SCHAUSPIELER
2 (nickt wissend)
Der Intendant hat seinen Monolog beendet und sieht erwartungsvoll in
die Runde.
KÖNIGLICHER INTENDANT:
Also?
Schweigen macht sich breit, das nur vom elenden Röcheln des
Miniaturbarden von Gelangweilter Schauspieler 4 unterbrochen wird, der den
Barden verärgert vom Boden aufhebt und darauf herumdrückt, was darin endet,
dass der Barde einen Miniaturstrick aus seiner Tasche zieht und sich am
nächstbesten Balken aufhängt.
STIMME VOM
BÜHNENHINTERGRUND: Was? Entschuldigung, ich hatte gerade nicht zugehört.
KÖNIGLICHER INTENDANT
(explodiert, rein metaphorisch, aber mit hochrotem Gesicht): Was FÄLLT euch eigentlich ein …
Er wird von Gemurmel unterbrochen, ehe eine extrem laute Stimme, man
wäre beinahe versucht zu sagen: die lauteste Stimme der Welt, ihn unterbricht.
MEGER VOHN: TÄTÄTÄTÄÄ!
SO NEIGET EURE HÄUPTER; DER HANDLANGER!
Köpfe neigen sich zögerlich, während der Handlanger an Meger Vohn
herantritt.
HANDLANGER (leise,
dafür mit Nachtruck peinlich berührt): Wir hatten uns doch darauf geeinigt, dass Sie die königlichen
Trompeten nicht imitieren, falls die
Instrumente selbst unabkömmlich sind …
MEGER VOHN:
VERZEIHUNG!
HANDLANGER (zuckt
deutlich zusammen): Ist ja gut … Sie brauchen nicht so zu schreien …
MEGER VOHN:
SELBST- … Selbstverständlich.
KÖNIGLICHER INTENDANT
(nähert sich mit mühsam unterdrückt genervt schief gelegtem Kopf und interpretiert sein gequältes
Grinsen dabei aktiv als zuvorkommendes Lächeln
fehl): Eure Majestät! (knickst.
Gustavo kichert kokett im Hintergrund und erinnert
den Handlanger damit unbequem an die freizügige sexuelle Vergangenheit seines Gatten)
HANDLANGER: Ähm.
Ja. Ich wollte nur mal sehen, wie die Vorbereitungen so vonstatten gehen. Immerhin ist bereits Weihnachten und …
KÖNIGLICHER INTENDANT
(eilig): Das wissen wir natürlich, Eure Majestät.
HANDLANGER (irritiert;
sein Blick haftet seitlich an einem der gelangweilten Schauspieler, der eben sehr energisch seinen Miniaturbarden
mit einer kleinen Handkurbel aufzieht):
Äh – ja … Ich meinte. Sie wissen ja. Das Volk erwartet einiges. Wir leben in einem neuen Zeitalter und so weiter, Sie
kennen das. Stand alles im Pamphlet.
KÖNIGLICHER INTENDANT
(nickt eifrig und kann seine rechte Hand dabei nur knapp mit seiner linken Hand davon abhalten, sich dem
Handlanger in den Rücken zu legen und ihn
von der Bühne zu schieben)
HANDLANGER: Ja … (schüttelt einmal den Kopf und winkt
schließlich ab. Sofort dreht sich der
kleine Hofstaat, der ihn begleitet hatte, um und marschiert zurück in Richtung Schloss, sofort, nachdem sie den Karren
Lametta, den einige Dorfbewohner mühsam vorbeiziehen,
passieren haben lassen)
Der Intendant verdreht hinter ihnen heimlich die Augen und wendet sich
wieder seinen gelangweilten Schauspielern zu, nur, um einen eindrucksvollen
Blick darauf gewährt zu bekommen, wie sie geschlossen versuchen, im vorziehenden Baumbehang
ihr Spiegelbild zu erhaschen. Das Licht erstirbt, die letzten Geräusche, die
man wahrnimmt, sind das erneute Röcheln des Barden, untermalt vom leiser
werdenden Fluchen von gelangweilter Schauspieler 4. Vorhang.
1.
Akt,
2. Szene
Die Gemächer des Zauberers. In einer hohen, weitläufigen Halle befindet
sich, bis auf einige, leer an die Wand geschobene Umzugsweidenkörbe und einen
Karren, nichts. Im Dunkel hört man das leise, hektische Trippeln einer Ratte,
dicht gefolgt von einem deutlich lauteren, aber angestrengt unauffälligen
Trappen; kurz darauf lautes Quieken und Kaugeräusche. Vor dem Fenster sieht man
einen Uhu schuhuen; kurz darauf sticht die Silhouette eines großen Vogels, der
erstaunliche Ähnlichkeit mit einem Geier hat, auf den Uhu hinab und fliegt
davon. In der Halle ist das lautere Trappen verstummt; ein leises Rülpsen dringt
durch die kalte Luft, ehe sich am hinteren Ende eine Tür öffnet, aus der sich
flackerndes Licht in den Raum ergießt. Dahinter sieht man den Zauberer gebeugt
an einem Tisch sitzen und primär die Stirn runzeln.
Im Labor des Zauberers. Hier neigen sich die billigen, schwedischen
Stellkästen, die die Wände bedecken, unter unzähligen Gläsern und Gefäßen.
Einige davon sind mit Schlössern verriegelt, andere mit Ketten an die Wand
geschmiedet. Ein paar getrocknete Ratten und Kröten sind zu sehen, ein
Ochsenhuf; ein wenig weiter rechts sitzt ein kleines, flauschiges Monster und
hüpft aufgeregt auf und ab. Daneben ein abgetrennter menschlicher Kopf, der den
unangenehmen Eindruck erweckt, sich gerne am Ohr kratzen zu wollen. Dazwischen
Unmengen von Büchern über Alchemie, Physiologie und Medizin; etwas weiter
hinten ein unauffällig an den Rand geschobenes Exemplar von 50 Shades of Grey.
Vor den Regalen sitzt der Zauberer und brütet. Neben ihm steht eine
Glaskugel, daneben befindet sich ein Kessel und sondert gelegentlich
unterdrückt hustende Rauchwolken ab. Wiederum daneben steht ein junger Mann und
starrt den Zauberer begierig an.
ZAUBERLEHRLING (hält
es nach mehreren Minuten Schweigen einfach nicht mehr aus): Meister
…
ZAUBERER (genervt): Nicht
jetzt!
ZAUBERLEHRLING (nach weiteren Minuten betretenen
Schweigens): Aber, Meister die …
ZAUBERER (ungehalten):
Ich habe nicht jetzt gesagt!
ZAUBERLEHRLING (nachdrücklich, dafür mit Beben in der
gelegentlich, sehr zu seinem Leidwesen,
immer noch brechenden Stimme): Aber Meister die Glaskugel!
ZAUBERER (wendet den Blick
unwillig auf die Glaskugel; das Design stößt ihm seit jeher sauer auf, aber seiner Zeit waren die
Glaswürfel aus und seither irgendwie aus der Mode
gekommen): Was ist denn … oh.
In der Glaskugel zeichnet sich zunehmend deutlicher das Bild einer knochigen
Frau und eines mürrischen Mannes ab, die sich dem Schloss zu Pferde nähern. Der
Zauberer beugt sich näher heran und dreht den Ton lauter. Sofort füllen die
Stimmen der beiden den Raum und bringen selbst das kleine, flauschige Monster
zum Stillsitzen.
MÜRRISCHER MANN: Wir
haben es beinahe geschafft!
KNOCHIGE FRAU (blickt versonnen auf das Schloss. Auf dem Weg
vor den Schlosstoren stehen bereits
unzählige Dorfbewohner, verteilen Popcorn und üben sich vorsorglich im lautstarken Rufen wüster Beschimpfungen und
Tomatenwerfen): Du hast recht, einsamer Rächer!
Der Zauberer runzelt die Stirn, lässt ein wenig zurücklaufen und hört
genau hin. Sie hat es wirklich gesagt. Der Zauberlehrling wippt unterdessen
eifrig von seinen Zehen auf die Fersen und zurück.
EINSAMER RÄCHER: Euer
Plan ist genial, Eure Hoh…
KNOCHIGE FRAU (fällt ihm ins Wort): Nennt mich noch nicht so! Obgleich es nur eine Frage der Zeit ist … (sie reibt ihre knochigen Hände
klischeehaft aneinander, dann kratzt
sie sich hektisch am Gesäß und wirft einen Kontrollblick auf den einsamen Rächer, der aber angestrengt so tut, als
habe er nichts gesehen)
EINSAMER RÄCHER (pflichtet ihr stattdessen bei): Nur eine Frage der Zeit!
Sie reiten aus dem Bild. Der Zauberer dreht den Ton leiser und kann
sich gerade noch davon abhalten, ebenfalls klischeehaft die Handflächen zu
reiben. Alternativ wendet er sich grimmig an seinen Lehrling.
ZAUBERER (blickt auf
die Sanduhr in der Ecke des Labors): In wenigen Stunden beginnt das königliche Weihnachtsdrama. Der Pöbel, äh- ist beinahe am Schloss
angekommen. Es funktioniert.
ZAUBERLEHRLING (reißt
die Augen auf): Tut es das?
ZAUBERER (schiebt
Augenbrauen zusammen, blickt seinen Lehrling an, setzt zum Sprechen an und unterbricht sich wieder; schüttelt
ergeben den Kopf): Ja, das tut es.
ZAUBERLEHRLING (nur
eine Spur zu laut): Das ist ja fantastisch!
RAUCHWÖLKCHEN (hustet)
ZAUBERER (senkt seinen
düsteren Blick wieder auf die Glaskugel und spricht mit leiser werdender Stimme): Das ist es
allerdings, das ist es …
Ein ausnehmend gut passender, steifer Windhauch zieht zügig durch den
Raum und verlässt ihn eilig. Dabei passiert er eine entschlossen blickende
Ratte mit einem Knüppel, die an der angelehnten Tür vorbeitrippelt und deren
Schritte sich langsam im kühlen Hall der leeren Halle hinter dem Labor
verlieren. Vorhang.
2.
Akt,
1. Szene
Vor dem Schloss, gegen früher Nachmittag. Die Zugbrücke wird langsam
und quietschend herabgelassen. Die Dorfbewohner drängen sich und kämpfen um die
besten Plätze. Schnee türmt sich vor den Schlossmauern, im Hintergrund sieht
man ein verzweifeltes, einsames Eichhörnchen über den Boden torkeln, es hält
eine Flasche in der Hand und schüttelt die andere Faust gelegentlich wütend in
den Himmel. Die Hofdiener, die auf der Schlossmauer stehen und versuchen, die
Zugbrücke gleichmäßig nach unten zu lassen, werfen in regelmäßigen Abständen
zunehmend befremdete Blicke auf die Dorfbewohner unter ihnen. Einer von ihnen
beginnt im Rhythmus der Brückenkurbel leise ein tragisches Solostück
anzustimmen, ehe er von einer fliegenden Tomate an der Backe getroffen wird und
sofort in würdevolles Schweigen verfällt. Neben ihm auf der Brüstung hockt mit
halbgeschlossenen Augen ein Geier und stößt unauffällig auf.
KLEINER MANN MIT HUT
(an große Frau neben ihm): Gib mir mehr Tomaten!
GROßE FRAU NEBEN IHM
(verdreht die Augen): Jetzt doch noch nicht!
KLEINER MANN MIT HUT
(vehement, die zusammengekniffenen Augen auf die Brüstung gerichtet): Aber der will schon
wieder anfangen zu singen, ich sehs ihm doch an!
MÄDCHEN (ein wenig
weiter rechts in der Menge; an seine Mutter): Mama, ich muss aufs Klo!
MUTTER (sieht Mann neben
ihr zunächst bohrend an, verfällt dann in süßlichen Singsang): Hattest du nicht gesagt, Schatz … ?
MANN NEBEN IHR (schürzt
die Lippen, sieht zu Boden, räuspert sich sehr laut und versucht, den Mann neben ihm, der gerade versucht, beiläufig einige
faulige Kürbisse unter seinem
Mantel verschwinden zu lassen, einen betretenen, wenngleich konspirativen, Blick zuzuwerfen)
MUTTER (sieht die
Kürbisse und plustert sich auf in Vorbereitung dafür, sich in Rage zu reden)
URALTER MANN (direkt
vor der Zugbrücke, die beinahe den Boden erreicht hat, mit durchdringender Stimme): Jutta?
Jutta! Gib mir die Geleeschleuder!
JUTTA (mit Nachdruck):
Noch nicht, Opa!
Die Zugbrücke landet knarzend auf dem gefrorenen Boden und die Tore zum
Schlosshof öffnen sich nur zögerlich. Der Pöbel stürmt ungeachtet dessen vor
und hilft ihnen ein wenig nach. Dahinter offenbart sich der augenscheinlich
gesamte Hofstaat, der geschlossen unruhig von einem Fuß auf den anderen tritt.
Über ihnen sieht man den Handlanger, den Handlanger des Handlangers, Gustavo
und Meger Vohn auf dem königlichen Verkündigungsbalkon stehen. Unterdessen
schiebt sich ein hektischer junger Mann wichtig und eilig an dem
voranstürmenden Pöbel vorbei und bleibt unter dem Balkon stehen. Er packt ein
Pergament aus und wendet sich an den Handlanger.
JUNGER MANN (mit
unerhört lauter Stimme): OH HANDLANGER! DIE DORFEBWOHNER HABEN DAS SCHLOSS BEINAHE ERREICHT!
HANDLANGER
(befremdet): Das, äh, sehe ich. (wendet
sich an seinen Handlanger) Weiß jemand,
wer … ?
MEGER VOHN (mit vor
Stolz geschwellter Brust): EURE HOHEIT, DIES IST MEIN BRUDER TELER!
HANDLANGER (zuckt
zusammen): Ihr Bruder - ?
MEGER VOHN: MEIN
BRUDER TELER VOHN[2]!
ER ÜBERBRINGT NACHRICHTEN!
HANDLANGER (den Blick
auf Teler Vohn gerichtet): Ach.
TELER VOHN: STELLT
EUCH AUF GROßEN ANDRANG … (wird von
stürmender Masse zu Boden
geworfen und verstummt)
GUSTAVO (trocken): Gott
sei Dank kam der noch rechtzeitig. Sonst hätten wir das ja nie bemerkt.
Die Menge sammelt sich, hinter ihr fallen die Tore wieder ins Schloss.
Eine Weile schreien die Dorfbewohner noch durcheinander, dann gehen sie dazu
über, den ihnen gegenüber aufgestellten Hofstaat finster anzufunkeln. Meger
Vohn ergreift die Gelegenheit und mit ihr das Wort.
MEGER VOHN: OH
DORFBEWOHNER … OHNER … OHNER …
HANDLANGER (leise):
Was soll das denn, Herr Vohn?
MEGER VOHN: ICH
HABE IM VERGANGENEN SOMMER EINEN KURS BESUCHT. „HALL
FÜR FORTGESCHRITTENE“.
HANDLANGER (fasst sich
an die Nasenwurzel, murmelt): Könnten Sie diesen, äh, Specialeffekt vielleicht für die Party nach
dem Weihnachtsdrama aufheben? Wir werden
sie doch mit Sicherheit ohnehin nicht davon abbringen zu können, für uns zu singen .. ? (blickt Meger Vohn hoffnungsvoll an. Die Ironie stürmt freudig los,
rümpft dann die Nase und bleibt stehen.
Sie wirft dem Handlanger noch einen pikierten Blick zu, ehe aus dem Nichts ein Geier auf sie herabstößt)
MEGER VOHN (strahlt): SELBSTVERSTÄNDLICH
WERDE ICH SINGEN! INGEN!
INGEN! (hält
inne, denkt angestrengt nach) ENTSCHULDIGUNG.
HANDLANGER (seufzt):
Na wunderbar. Wenn Sie jetzt bitte fortfahren würden - ?
MEGER VOHN (dreht sich
schwungvoll wieder ans Volk. Hinter ihm sieht man Gustavo gelangweilt an seinem Nagellack knibbeln,
dann zieht er seine Federstola enger um den
Hals.): DORFBEWOHNER! DER HANDLANGER UND SEIN HOFSTAAT HEIßEN EUCH HERZLICH AM HOFE WILLKOMMEN ZUM
ERSTEN JAHRESTAG DES STURZES DER KÖNIGIN!
(wendet sich selbstzufrieden ab. Unsicheres Schweigen schlägt ihm vom
Pöbel entgegen, eine einsame Tomate fliegt und
zerplatzt drei Meter neben dem Balkon. Von irgendwo aus der Menge hört man ein leises ‚Autsch!‘)
HANDLANGER
(nachsichtig, wenngleich ein wenig desillusioniert): Fehlt da nicht noch etwas, Herr Vohn?
MEGER VOHN (blickt
Handlanger mit zusammengezogenen Brauen an, dann erhellt sich seine Miene schlagartig und er dreht sich
wieder um): DAS WEIHNACHTSDRAMA
BEGINNT IN WENIGEN MINUTEN AUF DER KÖNIGLICHEN
BÜHNE ZU IHRER RECHTEN. SNACKS UND GETRÄNKE GIBT
ES AM EINGANG. WIR BITTEN DARUM, WÄHREND DER VORSTELLUNG
KEINE PORTRAITS VON DEN SCHAUSPIELERN ZU ZEICHNEN,
DANKE. FROHE WEIHNACHTEN!
HANDLANGER (leise zu
sich): Na geht doch …
Schleppend setzt sich die Menge in Bewegung. Ein wenig verspätet fliegt
ein fauliger Kürbis und zerplatzt spritzend auf dem leeren Verkündigungsbalkon.
Man hört zweistimmig unterdrücktes Glucksen aus der Menge und eine erboste
Frauenstimme, die damit droht, sich scheiden zu lassen [3].
Nach und nach leert sich der Hof, bis nur noch wenige, verwirrte Höflinge,
sowie etwas am Rand eine knochige Frau und ein einsamer Rächer, und noch etwas
weiter am Rand eine dunkle Gestalt mit langem Mantel und Kapuze zurückbleiben.
Es wird merklich dunkler. Im Hintergrund bricht ein Eiszapfen vom Schloss und
ersticht im Fallen einen Geier, der träge auf dem Boden hockt. Kurz darauf
tanzen einige offensichtlich betrunkene Eichhörnchen in einer Polonaise an dem regungslosen
Geier vorbei. Eins von ihnen hält eine Säge in der Hand.
KNOCHIGE FRAU: Die
große Stunde ist gekommen!
EINSAMER RÄCHER
(abgelenkt von der Figur im langen Mantel, die ihn dunkel anstarrt. Blickt erst interessiert zurück, dann
verwirrt, dann ein wenig genant und erfolglos unterdrückt
grinsend zu Boden): Hm-hm …
KNOCHIGE FRAU (wirft
ihm einen verständnislosen Blick zu und beschließt, unqualifizierte Einwürfe künftig zu ignorieren): Lasst
uns der Menge folgen … eine Bühne ist genau, was
ich brauche …
EINSAMER RÄCHER (folgt
ihr, nimmt vorher aber noch schnell allen Mut zusammen und zwinkert der Figur in Kapuze zu, bei der es
sich natürlich um den Zauberer handelt,
wie der aufmerksame Leser inzwischen verstanden hat)
Der einsame Rächer und die knochige Frau entfernen sich. Es wird noch dunkler,
bis schließlich der Zauberer als einziger noch im Licht steht und den beiden
nachsieht, ehe er seinen Kopf in den Nacken wirft und in schallendes Gelächter
ausbricht, was selbstverständlich außer uns niemandem auffällt, weswegen er
sich hinterher auch ungehindert mit dramatisch schwingendem Mantel umdrehen und
von der Bühne schreiten kann. Vorhang.
[1] Nevermind.
[2] Der, seinem Bruder nicht
unähnlich, mit der Intelligenz eines Bettsteins gesegnet war. Trotz dieser
widrigen Umstände erfand er einige Jahre später, nachdem er sich von seinem
Unfall erholt hatte, das Telefon und wurde unerhört reich.
[3] Was zur Zeit des Drärchens
natürlich noch eine unerfundene Maßnahme war, weswegen die Frau kurz darauf von
ihrem eigenen Mann der Hexerei beschuldigt und verbrannt wurde. Einige Jahre später jedoch kam ein Geist, der erstaunliche Ähnlichkeit mit der Verstorbenen
hatte, zurück ins Dorf und zündete das Bett des Exmannes an, während er darin
lag. Damit waren nicht nur dringende Gelüste befriedigt, sondern praktischerweise auch
gleich noch das Barbecue erfunden worden.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen