Samstag, 19. Dezember 2015

Des Drärchens unnötige Fortsetzung, Teil II

1.     Akt, 1. Szene
Weihnachten, früher Morgen. Die königliche Bühne. Die Generalprobe zum Weihnachtsdrama, das anlässlich des ersten Jahrestages des Todes der Königin aufgeführt werden soll (gegen Nachmittag), ist in vollem Gange.

GELANGWEILTER SCHAUSPIELER 1 (in Königinnenrobe und angemessen herablassend, was Teil der Rolle sein mag, oder auch nicht): Können wir jetzt Frühstückspause machen?

GELANGWEILTER SCHAUSPIELER 2, 3 und 4 (nicken zustimmend)

KÖNIGLICHER INTENDANT (mit leicht bebender Stimme): Wir hatten das geklärt, wir proben die Szene, wie die Königin im Dorf ankommt, und dann können wir Pause machen …

STATIST (aus dem hinteren Teil der Bühne): Es ist aber schon beinahe acht.

KÖNIGLICHER INTENDANT (fährt aufgebracht herum und sucht erfolglos den aufmüpfenden Statisten in der Menge der ansonsten angenehm eingeschüchterten Höflinge, die ihr Glück nicht fassen konnten, eine Rolle beim königlichen Weihnachtsdrama bekommen zu haben): Wer war das?!

STATISTEN (Schweigen unisono und äußerst unbefriedigend)

KÖNIGLICHER INTENDANT (seufzt und reibt sich die Nasenwurzel; der Druck der drohenden Aufführung sprießt ihm in Form von übel riechendem Schweiß aus jeder Pore): Gut, dann also von vorne … Die Karawane kommt im Dorf an und die Königin beginnt, Geschenke des Pöbels entgegenzunehmen …

LEISE STIMME VOM BÜHNEHINTERGRUND: Der Handlanger hat gesagt, wir sollten die Dorfbewohner nicht ‚Pöbel‘ nennen.

KÖNIGLICHER INTENDANT (dramatisch; gelegentlich fühlt er den Drang herauszustellen, dass er im Grunde der einzig wahre Schauspieler an der königlichen Bühne ist, und nur aufgrund eines blöden Fehlers die undankbare Rolle des Intendanten zugeschoben bekommen hat): So störet mich nicht ewiglich mit euren niederen Gedanken! Ich, und ich allein, …

Der königliche Intendant monologisiert mehrere Minuten. Die Schauspieler ziehen nacheinander ihre Miniaturbarden[1] aus den Taschen ihrer Kostüme und beginnen, gelangweilt darauf zu starren und vereinzelte Nachrichten an ihre diversen Affären zu diktieren. Die Barden machen blasierte Gesichter und entfernen sich zum Großteil zügig.

GELANGWEILTER SCHAUSPIELER 2 (deutet auf den Barden von Gelangweilter Schauspieler 4, der seit zwei Minuten versucht, mit leerem Ausdruck die Stufen der Bühne hinabzusteigen, aber nicht mit den Füßen auf den Boden kommt): Was macht der da?

GELANGWEILTER SCHAUSPIELER 4: Der hat Verbindungsprobleme in letzter Zeit.

GELANGWEILTER SCHAUSPIELER 2 (nickt wissend)

Der Intendant hat seinen Monolog beendet und sieht erwartungsvoll in die Runde.

KÖNIGLICHER INTENDANT: Also?

Schweigen macht sich breit, das nur vom elenden Röcheln des Miniaturbarden von Gelangweilter Schauspieler 4 unterbrochen wird, der den Barden verärgert vom Boden aufhebt und darauf herumdrückt, was darin endet, dass der Barde einen Miniaturstrick aus seiner Tasche zieht und sich am nächstbesten Balken aufhängt.

STIMME VOM BÜHNENHINTERGRUND: Was? Entschuldigung, ich hatte gerade nicht zugehört.

KÖNIGLICHER INTENDANT (explodiert, rein metaphorisch, aber mit hochrotem Gesicht): Was FÄLLT euch eigentlich ein …

Er wird von Gemurmel unterbrochen, ehe eine extrem laute Stimme, man wäre beinahe versucht zu sagen: die lauteste Stimme der Welt, ihn unterbricht.

MEGER VOHN: TÄTÄTÄTÄÄ! SO NEIGET EURE HÄUPTER; DER HANDLANGER!

Köpfe neigen sich zögerlich, während der Handlanger an Meger Vohn herantritt.

HANDLANGER (leise, dafür mit Nachtruck peinlich berührt): Wir hatten uns doch darauf geeinigt, dass Sie die königlichen Trompeten nicht imitieren, falls die Instrumente selbst unabkömmlich sind …

MEGER VOHN: VERZEIHUNG!

HANDLANGER (zuckt deutlich zusammen): Ist ja gut … Sie brauchen nicht so zu schreien …

MEGER VOHN: SELBST- … Selbstverständlich.

KÖNIGLICHER INTENDANT (nähert sich mit mühsam unterdrückt genervt schief gelegtem Kopf und interpretiert sein gequältes Grinsen dabei aktiv als zuvorkommendes Lächeln fehl): Eure Majestät! (knickst. Gustavo kichert kokett im Hintergrund und erinnert den Handlanger damit unbequem an die freizügige sexuelle Vergangenheit seines Gatten)

HANDLANGER: Ähm. Ja. Ich wollte nur mal sehen, wie die Vorbereitungen so vonstatten gehen. Immerhin ist bereits Weihnachten und …

KÖNIGLICHER INTENDANT (eilig): Das wissen wir natürlich, Eure Majestät.

HANDLANGER (irritiert; sein Blick haftet seitlich an einem der gelangweilten Schauspieler, der eben sehr energisch seinen Miniaturbarden mit einer kleinen Handkurbel aufzieht): Äh – ja … Ich meinte. Sie wissen ja. Das Volk erwartet einiges. Wir leben in einem neuen Zeitalter und so weiter, Sie kennen das. Stand alles im Pamphlet.

KÖNIGLICHER INTENDANT (nickt eifrig und kann seine rechte Hand dabei nur knapp mit  seiner linken Hand davon abhalten, sich dem Handlanger in den Rücken zu legen und ihn von der Bühne zu schieben)

HANDLANGER: Ja … (schüttelt einmal den Kopf und winkt schließlich ab. Sofort dreht sich der kleine Hofstaat, der ihn begleitet hatte, um und marschiert zurück in Richtung   Schloss, sofort, nachdem sie den Karren Lametta, den einige Dorfbewohner mühsam vorbeiziehen, passieren haben lassen)

Der Intendant verdreht hinter ihnen heimlich die Augen und wendet sich wieder seinen gelangweilten Schauspielern zu, nur, um einen eindrucksvollen Blick darauf gewährt zu bekommen, wie sie geschlossen versuchen, im vorziehenden Baumbehang ihr Spiegelbild zu erhaschen. Das Licht erstirbt, die letzten Geräusche, die man wahrnimmt, sind das erneute Röcheln des Barden, untermalt vom leiser werdenden Fluchen von gelangweilter Schauspieler 4. Vorhang.

1.     Akt, 2. Szene
Die Gemächer des Zauberers. In einer hohen, weitläufigen Halle befindet sich, bis auf einige, leer an die Wand geschobene Umzugsweidenkörbe und einen Karren, nichts. Im Dunkel hört man das leise, hektische Trippeln einer Ratte, dicht gefolgt von einem deutlich lauteren, aber angestrengt unauffälligen Trappen; kurz darauf lautes Quieken und Kaugeräusche. Vor dem Fenster sieht man einen Uhu schuhuen; kurz darauf sticht die Silhouette eines großen Vogels, der erstaunliche Ähnlichkeit mit einem Geier hat, auf den Uhu hinab und fliegt davon. In der Halle ist das lautere Trappen verstummt; ein leises Rülpsen dringt durch die kalte Luft, ehe sich am hinteren Ende eine Tür öffnet, aus der sich flackerndes Licht in den Raum ergießt. Dahinter sieht man den Zauberer gebeugt an einem Tisch sitzen und primär die Stirn runzeln.
Im Labor des Zauberers. Hier neigen sich die billigen, schwedischen Stellkästen, die die Wände bedecken, unter unzähligen Gläsern und Gefäßen. Einige davon sind mit Schlössern verriegelt, andere mit Ketten an die Wand geschmiedet. Ein paar getrocknete Ratten und Kröten sind zu sehen, ein Ochsenhuf; ein wenig weiter rechts sitzt ein kleines, flauschiges Monster und hüpft aufgeregt auf und ab. Daneben ein abgetrennter menschlicher Kopf, der den unangenehmen Eindruck erweckt, sich gerne am Ohr kratzen zu wollen. Dazwischen Unmengen von Büchern über Alchemie, Physiologie und Medizin; etwas weiter hinten ein unauffällig an den Rand geschobenes Exemplar von 50 Shades of Grey.
Vor den Regalen sitzt der Zauberer und brütet. Neben ihm steht eine Glaskugel, daneben befindet sich ein Kessel und sondert gelegentlich unterdrückt hustende Rauchwolken ab. Wiederum daneben steht ein junger Mann und starrt den Zauberer begierig an.

ZAUBERLEHRLING (hält es nach mehreren Minuten Schweigen einfach nicht mehr aus): Meister …

ZAUBERER (genervt): Nicht jetzt!

ZAUBERLEHRLING (nach weiteren Minuten betretenen Schweigens): Aber, Meister die …

ZAUBERER (ungehalten): Ich habe nicht jetzt gesagt!

ZAUBERLEHRLING (nachdrücklich, dafür mit Beben in der gelegentlich, sehr zu seinem Leidwesen, immer noch brechenden Stimme): Aber Meister die Glaskugel!

ZAUBERER (wendet den Blick unwillig auf die Glaskugel; das Design stößt ihm seit jeher sauer auf, aber seiner Zeit waren die Glaswürfel aus und seither irgendwie aus der Mode gekommen): Was ist denn … oh.

In der Glaskugel zeichnet sich zunehmend deutlicher das Bild einer knochigen Frau und eines mürrischen Mannes ab, die sich dem Schloss zu Pferde nähern. Der Zauberer beugt sich näher heran und dreht den Ton lauter. Sofort füllen die Stimmen der beiden den Raum und bringen selbst das kleine, flauschige Monster zum Stillsitzen.

MÜRRISCHER MANN: Wir haben es beinahe geschafft!

KNOCHIGE FRAU (blickt versonnen auf das Schloss. Auf dem Weg vor den Schlosstoren stehen bereits unzählige Dorfbewohner, verteilen Popcorn und üben sich vorsorglich im lautstarken Rufen wüster Beschimpfungen und Tomatenwerfen): Du hast recht, einsamer Rächer!

Der Zauberer runzelt die Stirn, lässt ein wenig zurücklaufen und hört genau hin. Sie hat es wirklich gesagt. Der Zauberlehrling wippt unterdessen eifrig von seinen Zehen auf die Fersen und zurück.

EINSAMER RÄCHER: Euer Plan ist genial, Eure Hoh…

KNOCHIGE FRAU (fällt ihm ins Wort): Nennt mich noch nicht so! Obgleich es nur eine Frage der Zeit ist … (sie reibt ihre knochigen Hände klischeehaft aneinander, dann kratzt sie sich hektisch am Gesäß und wirft einen Kontrollblick auf den einsamen Rächer, der aber angestrengt so tut, als habe er nichts gesehen)

EINSAMER RÄCHER (pflichtet ihr stattdessen bei): Nur eine Frage der Zeit!

Sie reiten aus dem Bild. Der Zauberer dreht den Ton leiser und kann sich gerade noch davon abhalten, ebenfalls klischeehaft die Handflächen zu reiben. Alternativ wendet er sich grimmig an seinen Lehrling.

ZAUBERER (blickt auf die Sanduhr in der Ecke des Labors): In wenigen Stunden beginnt das königliche Weihnachtsdrama. Der Pöbel, äh- ist beinahe am Schloss angekommen. Es funktioniert.

ZAUBERLEHRLING (reißt die Augen auf): Tut es das?

ZAUBERER (schiebt Augenbrauen zusammen, blickt seinen Lehrling an, setzt zum Sprechen an und unterbricht sich wieder; schüttelt ergeben den Kopf): Ja, das tut es.

ZAUBERLEHRLING (nur eine Spur zu laut): Das ist ja fantastisch!

RAUCHWÖLKCHEN (hustet)

ZAUBERER (senkt seinen düsteren Blick wieder auf die Glaskugel und spricht mit leiser werdender Stimme): Das ist es allerdings, das ist es …

Ein ausnehmend gut passender, steifer Windhauch zieht zügig durch den Raum und verlässt ihn eilig. Dabei passiert er eine entschlossen blickende Ratte mit einem Knüppel, die an der angelehnten Tür vorbeitrippelt und deren Schritte sich langsam im kühlen Hall der leeren Halle hinter dem Labor verlieren. Vorhang.

2.     Akt, 1. Szene
Vor dem Schloss, gegen früher Nachmittag. Die Zugbrücke wird langsam und quietschend herabgelassen. Die Dorfbewohner drängen sich und kämpfen um die besten Plätze. Schnee türmt sich vor den Schlossmauern, im Hintergrund sieht man ein verzweifeltes, einsames Eichhörnchen über den Boden torkeln, es hält eine Flasche in der Hand und schüttelt die andere Faust gelegentlich wütend in den Himmel. Die Hofdiener, die auf der Schlossmauer stehen und versuchen, die Zugbrücke gleichmäßig nach unten zu lassen, werfen in regelmäßigen Abständen zunehmend befremdete Blicke auf die Dorfbewohner unter ihnen. Einer von ihnen beginnt im Rhythmus der Brückenkurbel leise ein tragisches Solostück anzustimmen, ehe er von einer fliegenden Tomate an der Backe getroffen wird und sofort in würdevolles Schweigen verfällt. Neben ihm auf der Brüstung hockt mit halbgeschlossenen Augen ein Geier und stößt unauffällig auf.

KLEINER MANN MIT HUT (an große Frau neben ihm): Gib mir mehr Tomaten!

GROßE FRAU NEBEN IHM (verdreht die Augen): Jetzt doch noch nicht!

KLEINER MANN MIT HUT (vehement, die zusammengekniffenen Augen auf die Brüstung gerichtet): Aber der will schon wieder anfangen zu singen, ich sehs ihm doch an!

MÄDCHEN (ein wenig weiter rechts in der Menge; an seine Mutter): Mama, ich muss aufs Klo!

MUTTER (sieht Mann neben ihr zunächst bohrend an, verfällt dann in süßlichen Singsang): Hattest du nicht gesagt, Schatz … ?

MANN NEBEN IHR (schürzt die Lippen, sieht zu Boden, räuspert sich sehr laut und  versucht, den Mann neben ihm, der gerade versucht, beiläufig einige faulige Kürbisse unter seinem Mantel verschwinden zu lassen, einen betretenen, wenngleich konspirativen, Blick zuzuwerfen)

MUTTER (sieht die Kürbisse und plustert sich auf in Vorbereitung dafür, sich in Rage zu reden)

URALTER MANN (direkt vor der Zugbrücke, die beinahe den Boden erreicht hat, mit durchdringender Stimme): Jutta? Jutta! Gib mir die Geleeschleuder!

JUTTA (mit Nachdruck): Noch nicht, Opa!

Die Zugbrücke landet knarzend auf dem gefrorenen Boden und die Tore zum Schlosshof öffnen sich nur zögerlich. Der Pöbel stürmt ungeachtet dessen vor und hilft ihnen ein wenig nach. Dahinter offenbart sich der augenscheinlich gesamte Hofstaat, der geschlossen unruhig von einem Fuß auf den anderen tritt. Über ihnen sieht man den Handlanger, den Handlanger des Handlangers, Gustavo und Meger Vohn auf dem königlichen Verkündigungsbalkon stehen. Unterdessen schiebt sich ein hektischer junger Mann wichtig und eilig an dem voranstürmenden Pöbel vorbei und bleibt unter dem Balkon stehen. Er packt ein Pergament aus und wendet sich an den Handlanger.

JUNGER MANN (mit unerhört lauter Stimme): OH HANDLANGER! DIE DORFEBWOHNER HABEN DAS SCHLOSS BEINAHE ERREICHT!

HANDLANGER (befremdet): Das, äh, sehe ich. (wendet sich an seinen Handlanger) Weiß jemand, wer … ?

MEGER VOHN (mit vor Stolz geschwellter Brust): EURE HOHEIT, DIES IST MEIN BRUDER TELER!

HANDLANGER (zuckt zusammen): Ihr Bruder - ?

MEGER VOHN: MEIN BRUDER TELER VOHN[2]! ER ÜBERBRINGT NACHRICHTEN!

HANDLANGER (den Blick auf Teler Vohn gerichtet): Ach.

TELER VOHN: STELLT EUCH AUF GROßEN ANDRANG … (wird von stürmender Masse zu Boden geworfen und verstummt)

GUSTAVO (trocken): Gott sei Dank kam der noch rechtzeitig. Sonst hätten wir das ja nie bemerkt.

Die Menge sammelt sich, hinter ihr fallen die Tore wieder ins Schloss. Eine Weile schreien die Dorfbewohner noch durcheinander, dann gehen sie dazu über, den ihnen gegenüber aufgestellten Hofstaat finster anzufunkeln. Meger Vohn ergreift die Gelegenheit und mit ihr das Wort.

MEGER VOHN: OH DORFBEWOHNER … OHNEROHNER

HANDLANGER (leise): Was soll das denn, Herr Vohn?

MEGER VOHN: ICH HABE IM VERGANGENEN SOMMER EINEN KURS BESUCHT. „HALL FÜR FORTGESCHRITTENE“.

HANDLANGER (fasst sich an die Nasenwurzel, murmelt): Könnten Sie diesen, äh, Specialeffekt vielleicht für die Party nach dem Weihnachtsdrama aufheben? Wir werden sie doch mit Sicherheit ohnehin nicht davon abbringen zu können, für uns zu singen .. ? (blickt Meger Vohn hoffnungsvoll an. Die Ironie stürmt freudig los, rümpft dann die Nase und bleibt stehen. Sie wirft dem Handlanger noch einen pikierten Blick zu, ehe aus dem Nichts ein Geier auf sie herabstößt)

MEGER VOHN (strahlt): SELBSTVERSTÄNDLICH WERDE ICH SINGEN! INGEN! INGEN(hält inne, denkt angestrengt nach) ENTSCHULDIGUNG.

HANDLANGER (seufzt): Na wunderbar. Wenn Sie jetzt bitte fortfahren würden - ?

MEGER VOHN (dreht sich schwungvoll wieder ans Volk. Hinter ihm sieht man Gustavo gelangweilt an seinem Nagellack knibbeln, dann zieht er seine Federstola enger um  den Hals.): DORFBEWOHNER! DER HANDLANGER UND SEIN HOFSTAAT HEIßEN EUCH HERZLICH AM HOFE WILLKOMMEN ZUM ERSTEN JAHRESTAG DES STURZES DER KÖNIGIN! (wendet sich selbstzufrieden ab. Unsicheres Schweigen schlägt ihm vom Pöbel entgegen, eine einsame Tomate fliegt und zerplatzt drei Meter neben dem Balkon. Von irgendwo aus der Menge hört man ein leises ‚Autsch!‘)

HANDLANGER (nachsichtig, wenngleich ein wenig desillusioniert): Fehlt da nicht noch etwas, Herr Vohn?

MEGER VOHN (blickt Handlanger mit zusammengezogenen Brauen an, dann erhellt sich seine Miene schlagartig und er dreht sich wieder um): DAS WEIHNACHTSDRAMA BEGINNT IN WENIGEN MINUTEN AUF DER KÖNIGLICHEN BÜHNE ZU IHRER RECHTEN. SNACKS UND GETRÄNKE GIBT ES AM EINGANG. WIR BITTEN DARUM, WÄHREND DER             VORSTELLUNG KEINE PORTRAITS VON DEN SCHAUSPIELERN ZU ZEICHNEN, DANKE. FROHE WEIHNACHTEN!

HANDLANGER (leise zu sich): Na geht doch …

Schleppend setzt sich die Menge in Bewegung. Ein wenig verspätet fliegt ein fauliger Kürbis und zerplatzt spritzend auf dem leeren Verkündigungsbalkon. Man hört zweistimmig unterdrücktes Glucksen aus der Menge und eine erboste Frauenstimme, die damit droht, sich scheiden zu lassen [3]. Nach und nach leert sich der Hof, bis nur noch wenige, verwirrte Höflinge, sowie etwas am Rand eine knochige Frau und ein einsamer Rächer, und noch etwas weiter am Rand eine dunkle Gestalt mit langem Mantel und Kapuze zurückbleiben. Es wird merklich dunkler. Im Hintergrund bricht ein Eiszapfen vom Schloss und ersticht im Fallen einen Geier, der träge auf dem Boden hockt. Kurz darauf tanzen einige offensichtlich betrunkene Eichhörnchen in einer Polonaise an dem regungslosen Geier vorbei. Eins von ihnen hält eine Säge in der Hand.

KNOCHIGE FRAU: Die große Stunde ist gekommen!

EINSAMER RÄCHER (abgelenkt von der Figur im langen Mantel, die ihn dunkel anstarrt. Blickt erst interessiert zurück, dann verwirrt, dann ein wenig genant und erfolglos unterdrückt grinsend zu Boden): Hm-hm …

KNOCHIGE FRAU (wirft ihm einen verständnislosen Blick zu und beschließt, unqualifizierte Einwürfe künftig zu ignorieren): Lasst uns der Menge folgen … eine Bühne ist genau, was ich brauche …

EINSAMER RÄCHER (folgt ihr, nimmt vorher aber noch schnell allen Mut zusammen und zwinkert der Figur in Kapuze zu, bei der es sich natürlich um den Zauberer handelt, wie der aufmerksame Leser inzwischen verstanden hat)

Der einsame Rächer und die knochige Frau entfernen sich. Es wird noch dunkler, bis schließlich der Zauberer als einziger noch im Licht steht und den beiden nachsieht, ehe er seinen Kopf in den Nacken wirft und in schallendes Gelächter ausbricht, was selbstverständlich außer uns niemandem auffällt, weswegen er sich hinterher auch ungehindert mit dramatisch schwingendem Mantel umdrehen und von der Bühne schreiten kann. Vorhang.






[1] Nevermind.
[2] Der, seinem Bruder nicht unähnlich, mit der Intelligenz eines Bettsteins gesegnet war. Trotz dieser widrigen Umstände erfand er einige Jahre später, nachdem er sich von seinem Unfall erholt hatte, das Telefon und wurde unerhört reich.
[3] Was zur Zeit des Drärchens natürlich noch eine unerfundene Maßnahme war, weswegen die Frau kurz darauf von ihrem eigenen Mann der Hexerei beschuldigt und verbrannt wurde. Einige Jahre später jedoch kam ein Geist, der erstaunliche Ähnlichkeit mit der Verstorbenen hatte, zurück ins Dorf und zündete das Bett des Exmannes an, während er darin lag. Damit waren nicht nur dringende Gelüste befriedigt, sondern praktischerweise auch gleich noch das Barbecue erfunden worden.

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