Montag, 21. Dezember 2015

Des Drärchens unnötige Fortsetzung, Teil III

3.  Akt, 2. Szene
Wenig später vor der königlichen Bühne. Es dämmert bereits. Einige Fackeln wurden angezündet. Die Dorfbewohner haben sich reichlich mit Snacks und Getränken versorgt und johlen auf der einen Hälfte der Zuschauerränge, während der Hofstaat auf der anderen Seite still auf seine Linie achtet und sich damit begnügt, dem Pöbel spitze Blicke zuzuwerfen und ab und an in Ohnmacht zu fallen. Gelegentlich sieht man ein Gesicht durch den Vorhang auf der Bühne spähen, entsetzt die Augen aufreißen und sich hastig wieder hinter dem Stoff verstecken. Hinter den Zuschauern sitzen Gustavo und der Handlanger im ersten Stock des Schlosses auf den königlichen Rängen und lächeln tapfer, gelegentlich winken sie auch. Der Handlanger wirkt ein wenig blass.

HANDLANGER (nervös): Müsste es nicht bald anfangen?

GUSTAVO (betont ruhig): Mach dir keine Sorgen, Schatz.

HANDLANGER (nickt und streicht sich dabei fahrig die Halskrause glatt): Natürlich … keine Sorgen … (schließt die Augen, atmet tief) Ich bin eine Topfpflanze … nichts kann mir etwas anhaben …

GUSTAVO (legt ergeben die Stirn in Falten und sieht den Handlanger lang an; murmelt dann kopfschüttelnd zu sich selbst): Ich muss unbedingt ein Wörtchen mit dem Entspannungsgärtner wechseln.

Vor der Bühne werden die Fackeln gelöscht und der dissonante Kammerton der königlichen Trompeten und der königlichen Triangel verstummt nach und nach. Übrig bleibt nur das gleichmäßige Pauken der Pauke, das auch das Öffnen des Vorhangs untermalt. Dahinter steht ein einsamer, gelangweilter Schauspieler in Königinnenrobe und beruft sich im Stillen auf Brecht, während er zu seinem ersten Satz ansetzt.

GELANGWEILTER SCHAUSPIELER 1: Oh! Schon wieder ist es Weihnachten!
STATISTEN (strömen auf die Bühne, formieren sich, und beginnen zu singen): Weihnachten! Weihnachten!

URALTER MANN (mit durchdringender Stimme von den Zuschauerrängen): Jetzt machen die auch noch diesen Scheiß!

Eine Schippe Gelee fliegt entschlossen auf die Bühne und klatscht gelangweiltem Schauspieler 1 ins Gesicht.

GELANGWEILTER SCHAUSPIELER 1 (bleibt stehen, starrt in die Menge und durchbricht damit aus Versehen die vierte Wand. Am Bühnenrand sieht man den königlichen Intendanten die Hände über dem Kopf zusammenschlagen): Wer war das?!

Aus der Menge hört man eine durchdringende Stimme kichern. Die tanzenden Statisten hören nacheinander auf zu singen und werfen dem Intendanten unsichere Blicke zu. Dieser gestikuliert wild, sie sollen weitermachen, was aber keiner tut. Stattdessen beginnt einer der Statisten zackig zu steppen. Die anderen werfen ihm befremdete Blicke zu, die er ignoriert, bis ihn ein Kürbis trifft.

GELANGWEILTER SCHAUSPIELER 1: Und wenn wir bis morgen früh hier sitzen!

Keiner antwortet ihm. Am Bühnenrand sieht man den Intendanten weinen. Dann wird er resolut mit einem Brett niedergeschlagen und hört auf zu weinen, stattdessen geht er zu Boden. Der einsame Rächer betrachtet ihn und nickt zufrieden. Dann winkt er hinter sich, setzt sich auf den Boden und packt ein Sandwich aus.

KNOCHIGE FRAU (tritt leise hinter gelangweiltem Schauspieler 1 und den Statisten auf die Bühne): So höret mich an, Volk!

Das Volk beachtet sie nicht, sondern wirft einige Tomaten auf die Statisten.

KNOCHIGE FRAU (räuspert sich nachdrücklich): So höret - ! (Eine Tomate fliegt haarscharf an ihr vorbei. Sie überlegt kurz, dann geht sie entschlossen auf Meger Vohn zu): Du da! Komm und hilf mir.

MEGER VOHN (verwirrt): Soll ich nun singen?

STIMME AUS DER MENGE: Bitte nicht … 
     
KNOCHIGE FRAU: Du sollst sie zum Schweigen bringen.

MEGER VOHN: Aber …

KNOCHIGE FRAU: Sag ihnen, sie sollen leise sein.

MEGER VOHN (vollkommen durcheinander): Aber wer sind sie denn überhaupt?

KNOCHIGE FRAU (mit lauter Stimme in die unpraktischerweise genau in diesem Moment eintretende, kurze Stille, in der ihre Worte ausnehmend gut über den extra dafür konzipierten Platz vor der Bühne tragen und auch noch bis in die unterirdischen Küchen der königlichen Kinderarbeiter dringen): ICH BIN DIE SCHWESTER DER KÖNIGIN!

Eisiges Schweigen flutet über die Menge. Eine Tomate bleibt erschrocken in der Luft stehen und geht daraufhin klatschend zu Boden. Alle Augen sind auf die Schwester der Königin gerichtet. Irgendwo aus der Menge hört man zustimmendes Murmeln, die Ähnlichkeit sei in der Tat unverkennbar. Im ersten Stock des Schlosses sieht man den Handlanger sich ans Herz fassen und diskret umfallen. Gustavo stürzt sich auf ihn und ruft etwas in die Tiefen des Schlosses, dann fühlt er den Puls des Handlangers und beginnt mit der Herzmassage. Seine festliche Stola wippt im Takt.

DIE SCHWESTER DER KÖNIGIN (überrascht von der plötzlichen Aufmerksamkeit): Ja … Ich bin die rechtmäßige Thronanwärterin, und keiner wird mich von meinem Recht abhalten können!

Das Volk starrt sie nach wie vor ungläubig an. Das einzige Geräusch in der Stille ist das leise Zählen Gustavos und schließlich das Röcheln des Handlangers. Die Schwester der Königin steht ein wenig unentschlossen auf der Bühne und bemüht sich, königlich auf die Menschen hinabzusehen. Der einsame Rächer verschluckt sich an seinem Sandwich und beginnt zu husten.
Dann kriecht auf einmal ein kalter Windhauch über den Platz und die verbliebenen Fackeln hauchen knatternd ihr Leben aus. Es wird dunkel, Gemurmel kommt auf. Man hört unerklärlicherweise hallende Schritte das Theater betreten und die Stille darum herum scheint undurchdringlich zu werden. Ein einziges Spotlight geht an und zeigt den Zauberer in seinem Umhang.

ZAUBERER (an die Schwester der Königin gewandt): So musste es ja kommen!

DIE SCHWESTER DER KÖNIGIN (ungeduldig): Und Sie sind - ?

EINSAMER RÄCHER (schaut um die Ecke, sieht den Zauberer und beginnt wieder zu husten, wobei er rot anläuft, wofür es verschiedene Ursachen geben könnte)

ZAUBERER (drohend): Ich bin der, der deine Schwester zu Fall gebracht hat …

DIE SCHWESTER DER KÖNIGIN (mustert ihn von Kopf bis Fuß und fragt, zweifelnd bis mitleidig): … wirklich?

ZAUBERER (bemüht sich sehr, den Einwurf zu überhören und weiterhin ein gewisses Maß an Autorität zu projizieren): WIRKLICH! (seine Stimme hallt ebenso unerklärlich wie seine Schritte. Einige Höflinge sehen ihn ehrfürchtig an. Der Zauberer fährt leiser fort und fixiert die Schwester der Königin durchdringend) Aber dich werde ich nicht zu Fall bringen …

DIE SCHWESTER DER KÖNIGIN (herablassend): Das dachte ich mir. (Als die durchdringende Stille sich nicht legt, legt sie stattdessen ihre Stirn in Falten. Der Pöbel sowie die Höflinge sehen sie düster an. Der Handlanger steht wieder aufrecht, wenngleich auf Gustavo gestützt und ein wenig grau im Gesicht. Der Statist von zuvor versucht einige, auflockernde Steppschritte und wird von seinem Nachbarn k.o. geschlagen. Dann wenden sich gleichzeitig alle Blicke dem Zauberer zu, dessen Stimme wie nordisches Grollen in Asgard über den Theaterplatz rollt)

ZAUBERER (wie oben beschrieben): Das Volk wird das tun.

Das Volk nickt hemmungslos und sieht wieder auf die Bühne. Dann schwemmt nach und nach erst Verunsicherung, dann Erkenntnis über die Gesichter. Höflinge wie Pöbel sehen sich untereinander ratlos, dann immer entschlossener an. Schließlich beginnt einer von ihnen laut zu schreien, die anderen stimmen ein. Es dauert nicht lange, ehe Hofstaat und Dorfbewohner an geschlossener Front auf die Bühne stürmen und auf die Schwester der Königin losgehen, die zwar noch versucht, ihre Gewänder zu raffen und davonzueilen, aber zu langsam ist. Der einsame Rächer tut mehr oder weniger gekonnt, als würde er ihre schrillen Aufrufe, ihr zu helfen, nicht hören, und betrachtet eingehend einen Fleck auf seinem Sandwichpapier. Der ehemals steppende Statist wacht wieder auf und schlägt seinen Nachbarn k.o. Im ersten Stock des Schlosses sieht man Gustavo und den Handlanger sich unbemerkt küssen. Tomaten, faulige Kürbisse, Gelee und Lametta fliegen feierlich durch die Luft. Dann fliegen Fetzen der Gewänder der Schwester der Königin in die Höhe und die Angehörigen des Hofstaats, die das Pech hatten, zu nah dran zu stehen, in Ohnmacht. Das königliche Trompetenorchester und die königliche Triangel stimmen gemeinsam mit der Pauke einen treibenden Marsch an. Ein wenig am Rand sieht man ein paar betrunkene Eichhörnchen mit einem ganzkörperbandagierten Geier schunkeln. Der Zauberlehrling und Jutta entfernen sich unauffällig aus der Menge und verschwinden hinter einem Gebüsch. Alkohol fließt in Strömen und das Volk feiert.
Etwas abseits steht eine dunkle Figur in einem langen Mantel, deren Anwesenheit bereits wieder vergessen wurde, was genau ist, was von der dunklen Figur im langen Mantel, bei der es sich natürlich um den Zauberer handelt, antizipiert wurde. Langsam rückt der Lärm der Feier in den Hintergrund und die Lichter dimmen sich, bis nur noch er im Spotlight steht und das Treiben schweigsam beobachtet. Dann dreht er sich um und schreitet mit wehendem Mantel langsam von der Bühne, das Licht folgt ihm, und erstirbt letztendlich ganz.
Vorhang.

Nachhall
Ist die Wut nur groß genug
Bedarf es keiner Monster mehr
Da gibt die Wut an sich
Genug schon her.
So gings ins Land, das Weihnachtsfest,
Nach dem Sturz der Königin.
Auch ihre Schwester ist nun hin
Und ward gefunden wenig später
Einen knappen Kilometer
Weiter südlich.
Bleibt nur zu hoffen für die Zukunft,
Dass die Royals es nun belassen.
Dem Volk jedoch, dem ists egal –
Denn scheinbar kann es alles schaffen.
Doch für dieses Jahr wars auch genug,
Ein weiteres Fest ward vergonnen.
So viel nun zu: neu ersonnen …

Frohe Weihnachten!















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