3. Akt,
2. Szene
Wenig später vor der königlichen Bühne. Es dämmert bereits. Einige
Fackeln wurden angezündet. Die Dorfbewohner haben sich reichlich mit Snacks und
Getränken versorgt und johlen auf der einen Hälfte der Zuschauerränge, während
der Hofstaat auf der anderen Seite still auf seine Linie achtet und sich damit
begnügt, dem Pöbel spitze Blicke zuzuwerfen und ab und an in Ohnmacht zu
fallen. Gelegentlich sieht man ein Gesicht durch den Vorhang auf der Bühne
spähen, entsetzt die Augen aufreißen und sich hastig wieder hinter dem Stoff
verstecken. Hinter den Zuschauern sitzen Gustavo und der Handlanger im ersten
Stock des Schlosses auf den königlichen Rängen und lächeln tapfer, gelegentlich
winken sie auch. Der Handlanger wirkt ein wenig blass.
HANDLANGER (nervös): Müsste
es nicht bald anfangen?
GUSTAVO (betont ruhig):
Mach dir keine Sorgen, Schatz.
HANDLANGER (nickt und streicht sich dabei fahrig die Halskrause glatt):
Natürlich … keine Sorgen … (schließt die Augen, atmet tief) Ich bin
eine Topfpflanze … nichts kann mir
etwas anhaben …
GUSTAVO (legt ergeben
die Stirn in Falten und sieht den Handlanger lang an; murmelt dann kopfschüttelnd zu sich selbst):
Ich muss unbedingt ein Wörtchen mit dem Entspannungsgärtner wechseln.
Vor der Bühne werden die Fackeln gelöscht und der dissonante Kammerton
der königlichen Trompeten und der königlichen Triangel verstummt nach und nach.
Übrig bleibt nur das gleichmäßige Pauken der Pauke, das auch das Öffnen des
Vorhangs untermalt. Dahinter steht ein einsamer, gelangweilter Schauspieler in
Königinnenrobe und beruft sich im Stillen auf Brecht, während er zu seinem
ersten Satz ansetzt.
GELANGWEILTER
SCHAUSPIELER 1: Oh! Schon wieder ist es Weihnachten!
STATISTEN (strömen auf
die Bühne, formieren sich, und beginnen zu singen): Weihnachten! Weihnachten!
URALTER MANN (mit
durchdringender Stimme von den Zuschauerrängen): Jetzt machen die auch noch diesen Scheiß!
Eine Schippe Gelee fliegt entschlossen auf die Bühne und klatscht gelangweiltem
Schauspieler 1 ins Gesicht.
GELANGWEILTER
SCHAUSPIELER 1 (bleibt stehen, starrt in die Menge und durchbricht damit aus Versehen die vierte Wand. Am
Bühnenrand sieht man den königlichen Intendanten
die Hände über dem Kopf zusammenschlagen): Wer war das?!
Aus der Menge hört man eine durchdringende Stimme kichern. Die
tanzenden Statisten hören nacheinander auf zu singen und werfen dem Intendanten
unsichere Blicke zu. Dieser gestikuliert wild, sie sollen weitermachen, was
aber keiner tut. Stattdessen beginnt einer der Statisten zackig zu steppen. Die
anderen werfen ihm befremdete Blicke zu, die er ignoriert, bis ihn ein Kürbis
trifft.
GELANGWEILTER
SCHAUSPIELER 1: Und wenn wir bis morgen früh hier sitzen!
Keiner antwortet ihm. Am Bühnenrand sieht man den Intendanten weinen.
Dann wird er resolut mit einem Brett niedergeschlagen und hört auf zu weinen,
stattdessen geht er zu Boden. Der einsame Rächer betrachtet ihn und nickt
zufrieden. Dann winkt er hinter sich, setzt sich auf den Boden und packt ein
Sandwich aus.
KNOCHIGE FRAU (tritt
leise hinter gelangweiltem Schauspieler 1 und den Statisten auf die Bühne): So höret mich an, Volk!
Das Volk beachtet sie nicht, sondern wirft einige Tomaten auf die
Statisten.
KNOCHIGE FRAU
(räuspert sich nachdrücklich): So höret - ! (Eine Tomate fliegt haarscharf an ihr vorbei. Sie überlegt kurz, dann geht sie entschlossen auf Meger Vohn zu): Du
da! Komm und hilf mir.
MEGER VOHN (verwirrt):
Soll ich nun singen?
STIMME AUS DER MENGE: Bitte nicht …
KNOCHIGE FRAU: Du sollst sie zum
Schweigen bringen.
MEGER VOHN: Aber …
KNOCHIGE FRAU: Sag ihnen, sie
sollen leise sein.
MEGER VOHN (vollkommen
durcheinander): Aber wer sind sie denn überhaupt?
KNOCHIGE FRAU (mit lauter Stimme in die
unpraktischerweise genau in diesem Moment eintretende,
kurze Stille, in der ihre Worte ausnehmend gut über den extra dafür konzipierten Platz vor der Bühne tragen und
auch noch bis in die unterirdischen Küchen
der königlichen Kinderarbeiter dringen): ICH BIN DIE SCHWESTER DER KÖNIGIN!
Eisiges Schweigen flutet über die Menge.
Eine Tomate bleibt erschrocken in der Luft stehen und geht daraufhin klatschend
zu Boden. Alle Augen sind auf die Schwester der Königin gerichtet. Irgendwo aus
der Menge hört man zustimmendes Murmeln, die Ähnlichkeit sei in der Tat
unverkennbar. Im ersten Stock des Schlosses sieht man den Handlanger sich ans
Herz fassen und diskret umfallen. Gustavo stürzt sich auf ihn und ruft etwas in
die Tiefen des Schlosses, dann fühlt er den Puls des Handlangers und beginnt
mit der Herzmassage. Seine festliche Stola wippt im Takt.
DIE SCHWESTER DER KÖNIGIN (überrascht von der plötzlichen
Aufmerksamkeit): Ja … Ich
bin die rechtmäßige Thronanwärterin, und keiner wird mich von meinem Recht abhalten können!
Das Volk starrt sie nach wie vor ungläubig
an. Das einzige Geräusch in der Stille ist das leise Zählen Gustavos und
schließlich das Röcheln des Handlangers. Die Schwester der Königin steht ein
wenig unentschlossen auf der Bühne und bemüht sich, königlich auf die Menschen
hinabzusehen. Der einsame Rächer verschluckt sich an seinem Sandwich und
beginnt zu husten.
Dann kriecht auf einmal ein kalter Windhauch
über den Platz und die verbliebenen Fackeln hauchen knatternd ihr Leben aus. Es
wird dunkel, Gemurmel kommt auf. Man hört unerklärlicherweise hallende Schritte
das Theater betreten und die Stille darum herum scheint undurchdringlich zu
werden. Ein einziges Spotlight geht an und zeigt den Zauberer in seinem Umhang.
ZAUBERER (an die Schwester der Königin gewandt): So musste es ja
kommen!
DIE SCHWESTER DER KÖNIGIN (ungeduldig): Und Sie sind - ?
EINSAMER RÄCHER (schaut um die Ecke, sieht den Zauberer und beginnt
wieder zu husten, wobei
er rot anläuft, wofür es verschiedene Ursachen geben könnte)
ZAUBERER (drohend): Ich bin der, der deine Schwester zu Fall
gebracht hat …
DIE SCHWESTER DER KÖNIGIN (mustert ihn von Kopf bis Fuß und fragt, zweifelnd
bis mitleidig):
… wirklich?
ZAUBERER (bemüht sich
sehr, den Einwurf zu überhören und weiterhin ein gewisses Maß an
Autorität zu projizieren):
WIRKLICH! (seine Stimme hallt ebenso unerklärlich
wie seine Schritte. Einige Höflinge sehen ihn ehrfürchtig an. Der Zauberer fährt leiser fort und fixiert die Schwester der Königin durchdringend) Aber dich werde ich nicht zu Fall bringen …
DIE SCHWESTER DER KÖNIGIN (herablassend): Das dachte ich mir. (Als die durchdringende
Stille sich nicht legt, legt sie stattdessen ihre Stirn in Falten. Der Pöbel
sowie die Höflinge sehen sie düster an. Der Handlanger steht wieder aufrecht, wenngleich auf Gustavo gestützt
und ein wenig grau im Gesicht. Der Statist von zuvor
versucht einige, auflockernde Steppschritte und wird von seinem Nachbarn k.o. geschlagen. Dann wenden sich
gleichzeitig alle Blicke dem Zauberer zu, dessen Stimme wie nordisches Grollen in Asgard über den Theaterplatz
rollt)
ZAUBERER (wie oben beschrieben): Das Volk wird das tun.
Das Volk nickt hemmungslos und sieht wieder
auf die Bühne. Dann schwemmt nach und nach erst Verunsicherung, dann Erkenntnis
über die Gesichter. Höflinge wie Pöbel sehen sich untereinander ratlos, dann
immer entschlossener an. Schließlich beginnt einer von ihnen laut zu schreien,
die anderen stimmen ein. Es dauert nicht lange, ehe Hofstaat und Dorfbewohner
an geschlossener Front auf die Bühne stürmen und auf die Schwester der Königin
losgehen, die zwar noch versucht, ihre Gewänder zu raffen und davonzueilen, aber
zu langsam ist. Der einsame Rächer tut mehr oder weniger gekonnt, als würde er
ihre schrillen Aufrufe, ihr zu helfen, nicht hören, und betrachtet eingehend
einen Fleck auf seinem Sandwichpapier. Der ehemals steppende Statist wacht
wieder auf und schlägt seinen Nachbarn k.o. Im ersten Stock des Schlosses sieht
man Gustavo und den Handlanger sich unbemerkt küssen. Tomaten, faulige
Kürbisse, Gelee und Lametta fliegen feierlich durch die Luft. Dann fliegen
Fetzen der Gewänder der Schwester der Königin in die Höhe und die Angehörigen
des Hofstaats, die das Pech hatten, zu nah dran zu stehen, in Ohnmacht. Das königliche
Trompetenorchester und die königliche Triangel stimmen gemeinsam mit der Pauke
einen treibenden Marsch an. Ein wenig am Rand sieht man ein paar betrunkene
Eichhörnchen mit einem ganzkörperbandagierten Geier schunkeln. Der
Zauberlehrling und Jutta entfernen sich unauffällig aus der Menge und
verschwinden hinter einem Gebüsch. Alkohol fließt in Strömen und das Volk
feiert.
Etwas abseits steht eine dunkle Figur in
einem langen Mantel, deren Anwesenheit bereits wieder vergessen wurde, was
genau ist, was von der dunklen Figur im langen Mantel, bei der es sich
natürlich um den Zauberer handelt, antizipiert wurde. Langsam rückt der Lärm
der Feier in den Hintergrund und die Lichter dimmen sich, bis nur noch er im
Spotlight steht und das Treiben schweigsam beobachtet. Dann dreht er sich um
und schreitet mit wehendem Mantel langsam von der Bühne, das Licht folgt ihm, und erstirbt letztendlich ganz.
Vorhang.
Nachhall
Ist die Wut nur groß
genug
Bedarf es keiner
Monster mehr
Da gibt die Wut an
sich
Genug schon her.
So gings ins Land,
das Weihnachtsfest,
Nach dem Sturz der
Königin.
Auch ihre Schwester
ist nun hin
Und ward gefunden
wenig später
Einen knappen
Kilometer
Weiter südlich.
Bleibt nur zu hoffen
für die Zukunft,
Dass die Royals es nun
belassen.
Dem Volk jedoch, dem
ists egal –
Denn scheinbar kann
es alles schaffen.
Doch für dieses Jahr
wars auch genug,
Ein weiteres Fest
ward vergonnen.
So viel nun zu: neu
ersonnen …
Frohe Weihnachten!
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