Sonntag, 15. Juni 2014
Klarheiten
Die Menschen, die man früher war, die man abgelegt hat wie alte, abgenutzte Häute, trocken und schuppig, noch in der Form des eigenen Körpers, aber zu groß, rissig und verbraucht - die Menschen, die man war, und die man nicht mehr um sich herum haben möchte. Was tut man mit ihnen?
Die Menschen, die man immer noch ist, die man schon so lange mit sich herum trägt, dass man tatsächlich glaubt, sie wären man selbst. Und vermutlich sind sie es auch, oder warten sie nur darauf, abgestoßen zu werden?
Wer ist man eigentlich? Ist man einer dieser Menschen, ist man alle auf einmal? Sind wir die Summe unserer Einzelpersönlichkeiten, oder mehr als das?
In Momenten der Klarheit kommen plötzliche Erkenntnisse, stehen auf einmal im Raum und sehen einen an, während sie ihren Drink schwenken und langsam das Gewicht von einem auf das andere Bein verlagern, als wäre es das Natürlichste der Welt. Als wären sie immer da, und wir sind nur zu blind, um sie zu bemerken. Vermutlich haben sie recht. Aber wenn wir es schaffen, wenn wir einmal wirklich unsere Augen aufmachen, dann wirkt die Welt auf einmal so gestochen scharf, hyperrealistisch und deswegen surreal, aber mit der unmissverständlichen Botschaft: das ist es. Das hier, genau jetzt. Man lächelt ihm zu, dem Fremden mit dem Drink, der so lässig im eigenen Wohnzimmer steht oder in der dämmrig beleuchteten Kneipe; der mit einem abends im Freien sitzt und den eigenen Freunden beim Leben zusieht. Man lächelt ihm zu und hebt den eigenen Drink, denn man weiß, er hat recht.
Und dann versucht man ihn zu fassen, den Moment an den Haarspitzen zu erwischen, ihn festzuhalten. Man ruft ihm nach, sagt bleib, geh nicht, lass mich nicht alleine - aber er geht dennoch und nur Minuten später sitzt man wieder da und das Glas ist wieder beschlagen, die Klarheit verflogen und hat auf ihrem Weg nach draußen Zweifel und Fragen hereingelassen. Auf einmal weiß man wieder gar nichts und alles fühlt sich falsch an.
Aber die Momente kommen häufiger. Nicht nur, weil man versucht, sich selbst an sie zu erinnern, indem man sich Notizen macht, auf denen die kristallklaren Einsichten in die Welt und das Leben aufgezeichnet sind für die unweigerlichen, späteren Momente, in denen man sich so umnachtet fühlt, dass man sich kaum auf die Straße traut, aus Angst, gegen den nächsten Laternenmast zu laufen. Sie kommen auch deswegen häufiger, weil wir es ihnen leichter machen, immer leichter, je öfter sie schon bei uns waren und je mehr Aufmerksamkeit wir ihnen dabei geschenkt haben. Je ernster wir sie genommen haben, denn nicht immer sagt uns die uneingeladene Person inmitten geladener Gäste das, was wir hören wollen. Oder was wir für richtig halten. Oder was den Normen entspricht. Manchmal sagt sie, spring nackt ins Meer. Oder sprich ihn an. Oder steig in den Flieger, es ist egal, was danach kommt, solange du es jetzt nur tust. Jetzt, genau in diesem einen Moment der Klarheit, in dem du weißt: das ist es und ich muss darauf hören, sonst ist der Moment verloren. Und ist es nicht eigentlich das, was wir tun im Leben, Momente sammeln? Keine Abschlusszeugnisse oder Zielflaggen im Lebenslauf, kein es-den-anderen-recht-machen oder keine-Zeit-verschwenden. Momente, in denen sich das Leben richtig anfühlt. Ist es das?
Und unweigerlich verändern wir uns auf dem Weg. Wir legen die Menschen, die wir früher waren, ab. Bilden Häufchen aus alter Schlangenhaut neben den Türen unseres Lebens, streifen sie mit achtlosen Blicken, wenn wir nach den Schlüsseln suchen bevor wir das Haus verlassen. So richtig los werden wir die trockene Haut wohl nie, aber wir können uns dafür entscheiden, ihr keine Aufmerksamkeit mehr zu schenken. Wir können, aber wir müssen nicht.
Sind wir also einer dieser Hauthaufen? Oder sind wir die Haut, die wir noch tragen? Irgendwann werden wir auch diese ablegen und zu einem weiteren Haufen neben dem Eingang machen. Sind wir alle zusammen, das eine mehr, das andere weniger?
Ich habe keine Ahnung. Keinen Schimmer. Nope, nichts.
Aber solange wir in klaren Momenten aufpassen, sie nutzen, solange sie da sind, und daraus Schlüsse ziehen, sind wir vielleicht wenigstens nicht ganz falsch. Man wird nie nur ein Mensch sein, aber vielleicht irgendwann einer, der weiß, welcher von den vielen er gerne wäre. Und vielleicht kommt ja genau zu diesem Zeitpunkt der eine Moment, der einem sagt, wie es funktioniert. Wie man dieser Mensch, der man sein will, wird. Und wenn nicht, dann suchen wir eben weiter.
Freitag, 6. Juni 2014
plus-size nonsense
Irgend jemand hier schon mal von Robyn Lawley gehört? Nein?
Robyn Lawley ist Australierin, eine ziemlich attraktive noch dazu, sie ist nämlich ein Model. Ein plus-size Model.
Das kennt jetzt keiner. Und eigentlich ist es schon Zeichen genug, dass unsere Gesellschaft so etwas braucht, ein plus-size Model, ein Model nämlich, das eigentlich eher normal-size heißen sollte, im Gegensatz zu den unzähligen Kleiderständern mit Haaren, die im Grunde eher als minus-size bezeichnet werden sollten. Denn das, was hier als Norm gepriesen und von unzähligen (nicht immer nur) jungen Frauen viel häufiger viel radikaler, als man denken mag, angestrebt wird, ist irgendwie nicht das, was mein Kopf, der jetzt doch schon seit geraumer Zeit durch die Welt läuft und sich die gängigen Geschlechtergenossinnen anschaut, unter der Norm verbucht hat. Die Norm ist nicht Größe 34, die Norm ist wohl eher irgendwas um die 40, Schwanker nach oben wie unten inbegriffen. Und trotzdem versucht Frau auf Teufel komm raus, anders zu sein, als sie ist, Kollateralschäden werden mit einem Magenknurren und Schulterzucken weggewischt und der Körper wird mit Brachialmethoden geändert - weil das, was einem auf der neuen Cosmo entgegenguckt halt eben einfach doch nicht Norm ist, sondern Abnorm, was aber aus ziemlich bizarren Gründen zum Ideal erkoren wurde, scheinbar. Da kratzt man sich doch den Bart und fragt sich: hmm. Muss das sein?
Robyn Lawley also hingegen trägt Größe 42, soweit ich weiß. Sie ist auch 1,88m groß, da ist das okay. Es ist auch mit 1,70m okay, würde ich sagen, wenn man sich dabei gut fühlt, aber das jetzt nur am Rande.
Und besagte Dame wird nun also als plus-size model geführt, und was sind nicht wieder alle Modemagazinmacherinnen stolz, wenn sie so jemandem auf ihrem Cover haben. Habt ihr schön gehört! Mein Covermodel trägt Größe 42, konspirativflüster, sie fühlt sich - Stimme wird noch leiser, es könnte ja wer hören - wohl dabei, und ich - ICH - habe sie aufs Cover genommen verleiht mir den Friedensnobelpreis jaja natürlich die nächste wird wieder Size Zero. Wir wollen ja mal nicht übertreiben, Salatstocher und ach, was habe ich jetzt nicht wieder über die Stränge geschlagen.
Ja. Genau. Fühlt sich das für noch jemanden außer mir nach knochendürrer Heuchelei an?
Versteht mich nicht falsch. Ich liebe die Tatsache, dass Menschen wie eine Robyn Lawley Erfolg haben, dass die ganzen Kat Dennings und Beth Ditos da draußen langsam als echte Menschen und nicht nur als wandelnder Kontrollverlust wahrgenommen werden. Was mich nur aufregt ist die Tatsache, dass darauf hingewiesen werden muss, dass es extra publik gemacht werden muss, dass sich irgendwelche Modeischen auf die Schulter klopfen können, weil sie ein plus-size Model auf dem Cover haben. Sollte das nicht irgendwie ... normal sein? Normale Frauen auf Zeitschriften zu drucken, die von anderen normalen Frauen gelesen werden? Könnte man sonst nicht eigentlich auch einen Stock mit Perücke ins Gucci-Fähnchen stecken und dem dann andächtig applaudieren?
Ja. Ich weiß, es ist ein müßiges Thema. Die Welt redet sich den Mund darüber fusslig, seit ich denken kann. Alle sind sich ganz furchtbar einig, dass etwas passieren muss. Dann stirbt mal wieder eine Magersüchtige und alle sind total aufgeregt, denn oh mein Gott! Die Medien, pfui!
Leider ändert sich alles eben nur sehr schleppend. Frauen in amerikanischen Filmen wie Serien sehen immer nur eher nach heute-esse-ich-nur-Gurke als nach ich-liebe-Schokolade-und-stehe-dazu aus. In Europa leben wir in ein wenig komfortableren Verhältnissen, aber auch hier ist die echte Norm doch mehr Accessoire der städtischen Fußgängerzonen als der Werbeplakate und Fernsehshows.
Man könnte jetzt sagen, mir egal. Ich schau nicht hin. Und ja, sagen kann man viel, leider kriechen die subtilen Botschaften aber eben genauso auch in die Köpfe der heranwachsenden, zukünftigen Hungerkünstlerinnen. Kann man sagen, was man will, nach zehn Staffeln Friends fühlt man sich einfach fett, da mache ich keine Ausnahme, gloreicher Post hin oder her. Fakt ist aber, ich bin schon so weit, dass ich mich damit nicht (mehr) verrückt machen lasse. Mädchen, die vielleicht halb so alt sind wie ich, sind da aller Wahrscheinlichkeit zu großen Teilen beeinflussbarer.
Was ist jetzt also das Fazit meiner Hetzerei, fragt man sich. Plus-size Models sind ihr nicht recht, dürre TV-Show Chicks auch nicht, eigentlich findet sie nur mal wieder alles scheiße und will darüber meckern, wie kacke die Welt doch ist. Aber, nein, eigentlich nicht.
Fakt ist: ich finde plus-size Models großartig. Nur der Name ist überdenkenswert, wobei eine Änderung des plus-size Model zum schlichten "Model" damit einhergehen müsste, dass die von mir als solche enttarnten minus-size Models endlich mal anfangen sollten zu essen. Alle Models sollten plus-size sein, oder eben einfach das, was die überwältigende Mehrheit von uns sowieso ist: normal. (Wer von Natur aus Size Zero trägt muss sich deswegen jetzt keinen Winterspeck anfuttern - "normal" ist ja ein dehnbarer Begriff und steht eigentlich eher für "natürlich". Und wer eben natürlicherweise dünn ist, der soll dünn bleiben.) Im Grunde rege ich mich gerade nur über die kranke Gesellschaft auf, in der normal falsch ist, schlank dick und demnächst wahrscheinlich noch der dritte Arm auf der Brust in Mode kommt und als absolutes Muss an die Massen getragen wird, solange es nur einer vormacht. Und die Massen machen ja scheinbar mit.
In diesem Sinne -
Mittwoch, 21. Mai 2014
Slow down, you crazy child
"You've got your passion. You've got your pride,
But don't you know that only fools are satisfied?
Dream on, but don't imagine they'll all come true.
When will you realize [life] waits for you?" *
Wer hat eigentlich den Gedanken in die Welt gesetzt, dass es irgendwann für irgendetwas zu spät sein sollte? Und warum glauben wir daran, rennen mit religiösem Eifer mit uns selbst und unserem Leben um die Wette, um schnell genug da zu sein, wo immer da sein mag, und was auch immer 'schnell genug' heißt? Was heißt es denn? Schneller als dein Nebensitzer aus der zweiten Klasse? Schneller als alle Angehörigen des eigenen Geschlechts zwischen 19 und 49? Der Durchschnitt aller arbeitsfähigen Mittelschichtbürger mit mindestens mittlerem Bildungsabschluss unter fünfzig? Schneller als The Flash?
Wir leben in einer Zeit, in der man gleichermaßen mit 28 alt ist und einem von allen Seiten die regelrechte Aufforderung zur ewigen Jugend entgegen geschrien wird. In der Arbeitgeber immer mehr von einem fordern, man zur gleichen Zeit aber Angst haben muss, mit einem Universitätsabschluss keinen Job zu bekommen. In der "Work-Life-Balance" ein Wortungetüm ist, das man häufiger liest, als einem lieb ist, verweist es doch darauf, dass eben jene nicht zu stimmen scheint, oder die Einstellung, unsere Einstellung, die der berühmt berüchtigten Generation Y, nicht mehr passt. Wenn wir doch aber alle so faul sind, so fordernd, so egozentrisch und individualitätsbesessen, wo kommen dann diejenigen her (oder wo gehen sie hin, allem Anschein nach nicht ein in die Statistiken, die ja ach so aussagekräftig sämtliche Menschen zwischen zwanzig und dreißig regelrecht karikieren und dabei einen Haufen selbstverliebter Idioten aus uns machen), die ihr schwungvolles, duales Sprintstudium in am besten viereinhalb Semestern durchziehen, dabei zwar nichts lernen, aber hinterher mit einem Papierchen wedeln können, auf dem "Abschluss" steht?
Versteht mich jetzt nicht falsch. Zielstrebigkeit ist nichts Schlechtes und auch duale Studenten lernen in ihrem Studium wahrscheinlich irgendwas. Und sei es nur, morgens den Wecker nicht zu überhören. Was ich mich aber frage ist folgendes: warum ist das das Maß aller Dinge? Warum zählt Geschwindigkeit so oft mehr als Erfahrungen, oder Reife, oder die Fähigkeit, aus einer Serviette einen Schwan zu falten? Warum müssen wir so verdammt leistungs- und zielorientiert unser Leben abhaken wie einen Punkt auf einer kosmischen To Do Liste?
Ich weiß es nicht. Ich wusste es schon vor fünf Jahren nicht, und schon damals habe ich mich an dieser Stelle wahrscheinlich über ähnliche Themen ausgelassen - Fakt ist aber, es versetzt mich einfach immer wieder in Erstaunen. Wird die Welt denn besser dadurch, dass nur noch diejenigen, die Spaß und Selbstreflektion bis auf unbestimmt auf die lange Bank schieben, eine Chance bekommen? Sind wir glücklicher, weil unser Leben von einem Haufen grau beanzugter Möchtegerns Anfang zwanzig, so interessant und vermutlich auch ungefähr so vielseitig wie ein Stück alte Pappe, geregelt wird? Warum muss es das denn eigentlich überhaupt sein, unser Leben, geregelt?
Warum kann man nicht mit 35 auf Weltreise gehen und hinterher immer noch die Möglichkeit haben, einen Job zu machen, der einem Spaß macht? Warum wird überhaupt von so vielen, vornehmlich älteren Generatiönlern, verteufelt, dass wir das wollen, Spaß bei der Arbeit (Generation Y, da wären wir wieder. Was fällt uns aber auch ein!)? Warum kann man sich nicht guten Gewissens ein paar Jahre Zeit lassen, um herauszufinden, was man mit seinem einen Leben anstellen will? Warum muss man sich mit 28 die schlaflosen Nächte mit der unaufhörlich im Hinterkopf summenden Frage um die Ohren schlagen, was um Himmels Willen man hier eigentlich tut, oder tun soll, und wie man sich das eigentlich vorstellt mit dem Arbeiten, immerhin ist man ja keine zwanzig mehr und Ingenieurwesen studiert man auch nicht?!
Es ist zum Kotzen. Ich bin es leid, angefangen bei der mitleidigen Frage, am besten noch mit empathischem Griff an die Schulter des Gefragten, was man denn mit seinem Studium später mal machen will. Ich bin es leid, das Gefühl zu haben, in die Arbeitslosigkeit hineinzustudieren. Ich bin es so leid, belächelt zu werden, wenn ich sage, ich will finden, was ich wirklich machen will, weil ich keine Lust habe, mein Leben mit etwas zu verschwenden, das diese Anforderungen nicht erfüllt. Ich bin es leid, über die wacklige Sicherheit meiner Zukunft nachdenken zu müssen, ewige Zukunftsängste zu haben. Und ich bin es ebenso leid, dass ich mich an dieser Stelle schon präventiv entschuldigen muss, oder das Gefühl habe, mich entschuldigen zu müssen, weil ich ja im Grunde nichts zu meckern habe, ich könnte auch in Spanien leben, oder in Griechenland, oder in der Ukraine, oder auf dem Mars. Fakt ist aber, ich tue es nicht. Ich lebe im fetten, reichen Deutschland, und ich beklage mich trotzdem. Und ich tue es nicht, weil ich mich auf die faule Haut legen und nichts tun und dafür bezahlt werden will. Ich tue es, weil ich das Gefühl habe, sofern man sich nicht den Wettläufern angeschlossen hat, als dazu noch Gelegenheit war, sofern man nicht zukunftsorientiert studiert und dafür seine Interessen über Bord wirft, sofern man nicht seine Seele verkauft und seine Persönlichkeit um wirtschaftlich effizienter Konformität Willen beerdigt, ehe sie den Frevel begehen könnte, sich zu entwickeln und dann - oh nein - nicht in die vorgefertigte Gussform zu passen - dann hat man verschissen.
Mag sein, dass ich hier gerade den Teufel an die Wand male. Das kann sogar sehr gut sein, und alle Prä-Generation Y-ler dürfen jetzt gerne loswettern, was für ein verzogenes Balg ich doch bin, früher hätte man den Eintopf noch aus den Schalen gekocht und ich erdreiste mich hier herumzujammern, nur, weil ich in meinem zukünftigen Job vielleicht nicht immer zu hundert Prozent glücklich sein werde, die Tapete nicht mit Filzstiften anmalen und nicht mit Papierkügelchen durch die Gegend werfen darf, wenn mir gerade danach ist. Ja, genau, das ist alles, genau deswegen rege ich mich auf, und nur deswegen, boohoo.
Fakt ist, deswegen rege ich mich nicht auf. Ich bin mir durchaus darüber im Klaren, dass nicht alles eitel Sonnenschein ist, und dass es das auch nicht sein wird, falls ich, wider Erwarten, meinen absoluten-super-duper-Traumjob bekomme. Aber ist es denn zu viel verlangt, so viel Sonnenschein wie möglich aus der Sache rauszuholen? Ist es zu viel verlangt, sich schon bevor man tatsächlich anfängt zu arbeiten, ein bisschen Sonnenschein zu gönnen?
Und glaubt nicht, dass die Suche nach dem Richtigen immer so sonnig ist. Glaubt nicht, dass abbrechen und umziehen und wieder abbrechen glücklich macht. Im Gegenteil, zumindest beim masochistischen Leistungsvergleich mit großen Teilen dieser unserer wunderbaren Peergroup macht es einen ganz schön fertig, wenn man mit Mitte zwanzig immer noch nicht so genau weiß. Und mit 28 beinahe an der Entscheidung, welchen Master man machen soll, verzweifelt. Nee, Spaß ist anders.
Was es einem aber bringt, und da bin ich mir so sicher, dass ich es mir herausnehme, anprangernde Texte darüber zu verfassen, ist ein bisschen Eigenwillen, und den Mut, Dinge einfach mal zu machen, auch wenn sie sich hinterher als Blindgänger entpuppen. Das, was den kleinen putzigen DualBAs fehlt also. Denn: würde ich jeden Fehler noch mal machen? Hoffentlich nicht, aus heutiger Sicht. Bin ich froh, sie gemacht zu haben? Natürlich! Wie hätte ich sonst wissen sollen, was letztendlich richtig war?
Und ja, mein Beispiel mag ein wenig extrem sein. Und nein, nicht jeder, der einfach von Anfang an wusste, was er will, ist damit auf dem falschen Dampfer. Aber häufiger als man glauben mag sollte man vielleicht einfach irgendwo mal anhalten, sich den Schweiß von der gestriegelten Stirn wischen und sich fragen: will ich da eigentlich hin? Oder will ich lieber ein Eis?
Deswegen also frage ich mich, warum soll es für irgendetwas irgendwann zu spät sein? Warum kann es nicht einfach die Möglichkeit geben, auch mal was auszuprobieren, Fehler zu machen, viele Fehler zu machen, und deswegen trotzdem nicht zum Vogelfreien degradiert zu werden? Warum wird eigentlich von uns erwatet, perfekt auf die Welt zu kommen?
Warum können wir nicht einfach so sein, wie wir sind, und trotzdem Erfolg haben - oder gerade deswegen?
Weilweilweil. Es eben nicht so ist. Das sehe ich schon ein. Eine einzige jämmerlich motzende Bloggerin wird das nicht ändern. Viele jämmerlich motzende Blogger vielleicht, ja. Eine Generation, die sich durchsetzt, die "Work-Life-Balance" ins Gleichgewicht bringt und den alten den Mund stopft. Und eine Generation, die sich zumindest in Teilen mal wieder darüber bewusst werden sollte, dass der Schnellste nicht unbedingt der Beste ist, das Zielstrebigkeit um der Zielstrebigkeit Willen auch sehr, sehr langweilig sein kann, und dass Eis essen gehen manchmal einfach mehr Spaß macht.
Und Spaß am Leben ist gut, richtig? Kommt schon, das müssen sogar die Ü-sechziger zugeben. Oder?
* Billy Joel, Vienna
PS: Das Design läuft Amok. Ich weiß ehrlich nicht, was passiert ist.
Freitag, 25. April 2014
Ein Plädoyer
Man sitzt in einem Zimmer, das einem, in dem man mal gewohnt hat, zum Verwechseln ähnlich sieht. Aber gleichzeitig ist es vollkommen anders. Nicht, weil die Möbel anders angeordnet wurden. Nicht, weil die Bilder an der Wand nicht mehr die eigenen sind, fremde Freunde zeigen, die man noch nie getroffen hat und die einem jetzt strahlend von der Zimmerwand entgegen lächeln.
Es ist die Kombination, der Schrank, in dem vor sieben Monaten noch die eigenen Hosen und Pullis gestapelt waren, und in dem jetzt zweifelsohne die einer anderen Person aufbewahrt werden (man hat nicht nachgeschaut, aber die Logik legt Schlüsse nahe). Der Schreibtisch, der zu Zeiten der eigenen Regentschaft noch überhäuft mit Zettelchen und unabgearbeiteten, umgeschriebenen To-Do-Listen war und der jetzt, sauber und aufgeräumt, an anderer Stelle steht. Es ist die Pinwand, an der die eigenen Bilder und Postkarten hingen und von der aus man nun von besagten Fremden angegrinst wird, als wüssten sie genau, wie seltsam man sich fühlt. Wie ein Eindringling im eigenen Haus.
Und wahrscheinlich ist man das auch. Man war weg, jetzt ist man wieder da, alles wie gehabt. Wirklich? Man kommt zurück in seine Stadt und nichts hat sich verändert die Enttäuschung ist groß - wirklich?
Irgendwie ja, aber eigentlich nein.
Auf den ersten Blick ist alles gleich. Der Bus fährt nach wie vor nur zwei Mal die Stunde. In der WG hängen noch dieselben Poster an der Wand. Es ist Ende April und tagsüber warm, nachts donnert es. Alles, wie es letztes Jahr auch war.
Aber sobald man das große Ganze verarbeitet hat und sich den Details zuwendet findet man die Unterschiede. Findet man die Läden, die geschlossen und neu eröffnet haben. Die Bilder, die abgehängt und durch neue ersetzt wurden. Das Zimmer, das seltsam gleich, aber eigentlich völlig anders ist.
Sieben Monate sind keine lange Zeit, aber sie ist ausreichend. Um sein altes Leben zurückzulassen und sich ein neues zu suchen. Um neue Freunde zu finden und dann wieder aus den Augen zu verlieren. Um sich selbst zu verändern.
Vermutlich ist das auch der Hauptgrund, weswegen man sich nach kurzen sieben Monaten in seinem alten Zimmer wiederfindet und so fasziniert das Mobiliar bewundert, als stünde man immer noch in der Tate, anstatt in seiner WG in Tübingen. Man selbst hat sich verändert, und damit hat sich die Sicht auf die Dinge verändert. Der nächtliche Donner erinnert einen vage an den vergangenen Sommer, aber trotzdem ist er eigentlich etwas ganz anderes.
Es ist so, aber; es fühlt sich so an, aber. Es ist alles irgendwie das eine, aber auch das andere, und im Grunde weiß man nicht so genau, man kann die richtige Stelle nicht finden und kratzt sich den Rücken wund auf der frenetischen Suche nach dem einen Punkt, der, an dem man wissen wird: hier. Das ist es, deswegen juckt es, deswegen ist alles jetzt so und nicht mehr anders. Und macht das was? Nein.
Das Leben ist nicht gradlinig und manchmal lebt man auf hermeneutischen Zirkeln. Kreist um einen Punkt, weitet seinen Kreis aus, verengt ihn wieder und denkt sich auf einmal, aha! So ist das also. Man mag zurückkommen, aber ein Teil von einem bleibt weg und wird auf dem Weg durch einen neuen ersetzt; oder die Summe des Ganzen wird einfach größer. Erfahrungen, Freundschaften, neue Ideen. So ist das also.
Und so sitzt man also in einem Zimmer, das einem, in dem man mal gewohnt hat, zum Verwechseln ähnlich sieht. Und denkt sich, Veränderung ist gut. Weggehen ist gut, wiederkommen aber manchmal auch.
Auch wenn hinterher alles anders ist - oder gerade deswegen.
Dienstag, 15. April 2014
Veraltete Zahnbürste in Grün (Ursprungsfarbe)
Wenn ich mir die Statistik hier so anschaue, dann bekomme ich das peinlich berührte Gefühl, dass es mit meiner Motivation ein wenig den Abhang hinunter rollt. Oder, man könnte meinen, es ginge bergab, drastisch, geradezu, mit Schwung und Fahnen. Fakt ist aber, und das will ich jetzt nur mal am Rande erwähnt haben, um meine Ehre, meinen Stolz und bei der Gelegenheit auch gleich Usbekistan zu retten (wie ich das bewerkstelligen will erkläre ich dann später*), dass es in meiner Postliste, hier hinter dem ansprechenden lila in meinem Privatkabuff voller abstruser Ideen, vor Posts nur so wimmelt. Wenn jeder Post eine Mücke wäre dann herrschten hier geradezu finnische Verhältnisse im Sommer am See. Gut die Hälfte besagter Mücken (wenn das jetzt nicht ganz akkurat stimmt und es nur ein Drittel oder neunzehn Zweiunddreisigstel sind, dann sehe man darüber hinweg, mache ein Auge zu und darauf folgend wieder auf, denn, Obacht, der kommt flach, mit dem Zweiten sieht man besser. Chr chr.) sind nämlich unveröffentlicht. Da das ein wenig seltsam anmutet im Bezug auf Mücken werde ich nun wieder von Posts sprechen: Mücken, im Folgenden "Posts" genannt - alle Namen sind geändert, Ähnlichkeiten mit real existierenden Insekten (oder dem antiquierten, und doch nach wie vor kalifengleich anmutigen Spruch unter dem Titel in besagtem ansprechendem lila) sind Rainer Zufall.
156 an der Zahl. Wenn ich mich so durch die Liste (sc)rolle, dann entfaltet sich da eine ungeahnte EntwurfEntwurfEntwurf-Häufung, die jetzt bitte nicht mit der deutlich weniger angenehmen Auswurf-Häufung zu verwechseln ist (Klammer eins: ich meine, das kommt jetzt auf euer Urteil hierüber an; aber ich gehe einfach mal selbstbewusst davon aus, dass ihr meinen Blog nicht unbedingt mit Auswurf gleichsetzt, wenn ihr ihn immer noch lest. Falls ein oder zwei Hater unter euch seien sollen, die sich jetzt übergangen fühlen: bitteschön, hiermit sei das Wort auch an euch gerichtet. Und ihr könnt das hier gerne für Auswurf halten, geht doch nichts über eine anregende Meinungsverschiedenheit!)(Klammer zwei: Mensch, der humoristische Bodenbelag scheint mir geradezu in die Wiege gelegt worden zu sein.) (Ich bitte um Verzeihung, aber ich konnte mich nicht entscheiden, welche Klammer mir passender erschien, also habe ich beide genommen; wenn man schon Sätze von hier bis Taiwan schreibt, dann kann man sie ja wenigstens durch die vereinzelte gebogene Linie gliedern. Außerdem möchte ich anmerken, dass ich, wenn ich eines Tages dieselbe Erklärung [Ich konnte mich nicht entscheiden, deswegen habe ich beides genommen] in Bezug auf meinen neuen Privatjet und/oder Stretchlimousine geben kann/werde, dann dürft ihr mir wahlweise zu meinem Reichtum oder meinem Wahnsinn gratulieren - oder beidem. Erwähnte ich schon mal das Problem mit der Ambivalenz? ...). Ja, da staunt ihr, da hat jetzt nochn Satz aufgehört.
In jedem Fall - die überwältigende Vielfalt unveröffentlichter Posts. Wie konnte das nur passieren, fragt man sich, insbesondere, da die Unveröffentlicht-Häufung im Laufe der Zeit zunimmt. Tja, man weiß es nicht, man weiß es nicht. Altersbedingte Vergesslichkeit. Anderweitige, unglaublich wichtige Verpflichtungen. Bier im Wechsel mit Kaffee, um den Puls ausgeglichen zu halten. Das Übliche eben, man kennt das ja.
Vielleicht werde ich mal recyclen. Oder einfach wieder weniger darüber nachdenken, was Mensch so denkt von all dem hier, radikal veröffentlichen und allem dann ein nettes Label - "Postironie" "Postdadaismus" Postpostism"; die Post scheint der große Renner zu sein unter den Literaturwissenschaftlern. Und ach ja, da war wieder einer, ein akuter Tiefflieger mit Neigung, den Boden zu streifen. Es sei euch freigestellt, euer Lachen im Flur zu vergessen - aufsetzen. Okay, ich gebe zu, manche Sätze verwirren mich ja schon auch. Ich habe mal von einem Buch gehört, das kam in Einzelseiten zum Selbstzusammensetzen. Vielleicht mach ich das auch mal, einzelne Sätze im Baukastensystem. Würde wahrscheinlich im Endeffekt ähnlich viel Sinn ergeben.
Wie auch immer. Bleibt nur noch zu sagen, dass
a) Das Studentenfutter Exotic viel besser ist als das normale,
b) Die Ukulele das majestätischste Instrument auf dieser unseren Erde ist,
c) Nymphomaniac verdammt nochmal ein hervorragender Film ist. Filme. Film. Whatever.
Somit - FIN, wie beim Asterix immer drunter steht.
Abschlussflsokel, Hackenschlag!
*Okay, ich gebe zu, das war gelogen. Ätsch.
Mittwoch, 19. Februar 2014
Eines Tages? Jetzt? Morgen?
Eines schönen Tages spürst du Türen, trittst sie ein, und glaubst kein Wort.*
Eines Tages wirst du erwachsen werden, wirst du einen Job bekommen, der tatsächlich die Miete zahlt, eines Tages wirst du denjenigen welchen finden, der bei dir bleibt, zumindest für länger als ein Jahr; eines Tages wirst du morgens aufstehen und zum Bäcker gehen, wo sie dich siezen und den Kindern vor dir in der Schlange, die eigentlich nur die Auslagen angaffen, aber im Grunde sonst nichts an der Theke verloren haben, wird gesagt werden "Lasst mal die Frau da durch" - eines Tages wirst du erwachsen werden und du hast Verantwortung und Vernunft und möglicherweise eine Katze, die du zum Tierarzt bringst, und ein Auto, das du zum Autoarzt bringst, einen eigenen Telefonanschluss und Möbel.
Möbel.
Eines Tages ... eines Tages ist ein schöner Ausdruck, weil er folgendes impliziert: es ist nicht jetzt. Es ist eines Tages, und ob das morgen oder in einer Woche oder einem Jahr ist ist egal, denn es ist nicht jetzt sofort und dementsprechend unwichtig, denn man kann ja aus der Sicherheit des eines-Tages-Abstandes darüber philosophieren, kann Pläne schmieden ohne sich wirklich Gedanken darüber zu machen, wie man diese in die Tat umzusetzen gedenkt, denn sie sind ja nicht jetzt, sie sind - richtig, eines Tages.
Eines Tages werde ich meinen Master in London machen. Eines Tages werde ich mich probeweise an einem echten Beruf versuchen. Eines Tages werde ich sesshaft werden, eines Tages werde ich mit dem Masterplan anfangen, mit dem, was das "echte Leben" sein soll, mit dem vernünftig sein und dem allem. Jaja, irgendwann werd ich das schon tun, jetzt lass mich in ruhe, muss das ausgerechnet heute sein, ich muss Game of Thrones schauen. Ich muss Bücher lesen, ich habe so viele halb gelesene Bücher, deren penetrante Existenz durch meinen Kopf schleicht und immer mal wieder unangenehm anzüglich grinst, seitdem ich sie halbgelesen zur Seite gelegt habe, vor einem, zwei, fünf Jahren. Irgendwann werd ich das schon alles machen, oder wie sagte dieser lustige HipHoper mit der seltsam nasalen Stimme (und, ich glaube, Nena auch?) vor Jahren nicht, irgendwie fängt irgendwann irgendwo die Zukunft an. Ja, genau, alles nur nicht jetzt und hier.
Man lebt ein Leben in Hypothesen, in Möglichkeiten, in schönen Ideen und bunten Einrichtungsplänen, in Ikeaeinkaufsbummeln, bei denen man sich absolut alle Sofas anschaut, probesitztliegtsteht, und dann eine Müslischüssel kauft. Man lebt eigentlich gar nicht im diesem Jetzt, das man so eisern verteidigt, sondern in einer Vorstellung von dem, was danach kommen könnte. Irgendwie torpediert das ja ein bisschen die ganze Idee von "Gegenwart", aber immer noch besser, in einer hypothetischen Zukunft, als in der Vergangenheit zu leben, richtig?
Ganz genau. Absolut richtig und gut und wunderschön und ich mag meine Müslischüsseln! Und meine Kaffeetassen! Und meine ständig halb gepackten Kisten und meine Internetrecherchen bezüglich des nächsten Wohnorts und meine Hirngespinnste und wolkenhoch schwebenden Planungen bezüglich der nächsten zwei Monate/Stromrechnung/Weltrettung. Absolut! (Ist nicht nur Vodka, nein)
Und dann denkt man sich irgendwann, jetzt reichts doch aber auch irgendwie mal, oder? Und man fängt an, ernsthaft darüber nachzudenken, was nach dem Studium kommt. Nicht, dass man das bislang noch nie gemacht hätte. Aber zumeist, wenn derartige Überlegungen in der Vergangenheit aufkamen, gewälzt und durchdacht wurden, dann stellten sich in der Regel schnell gewisse depressive Verstimmungen ein, denen man aber effektiv durch Fernsehen/Umziehen/Studium abbrechen + neu anfangen entfliehen konnte. Womit natürlich das zugrunde liegende Problem nicht gelöst, sondern aufgeschoben worden war und sich über die Jahre dabei zu einem dicken, eingekrusteten Bodensatz entwickelt hat, den man jetzt nicht mal mehr mit Spüli und Stahlschwamm abkratzen kann. Nicht mal, wenn mans vorher eingeweicht hat.
Dann sitzt man also auf seinem Sofa, bewaffnet mit Kaffee und Laptop und stellt fest: verdammt, Master in London wird verdammt schwierig. Generell wird weiter studieren langsam schwierig, wenn auch vielleicht nur fürs Ego. Arbeiten, hingegen, könnte sich als noch ungleich schwieriger herausstellen, denn, wenn wir ehrlich zu uns sind, man kann eigentlich nichts. Der geneigte Geisteswissenschaftler kann hervorragend kellnern, verkaufen, Bücher sortieren, im Zweifelsfalle Taxi fahren oder Böden schrubben oder meinetwegen auch süßen Erstsemestern Tutorien geben - aber im Grunde können wir nichts, was im echten Leben von Nutzen wäre, oder?
Ich weiß nicht. Ich weiß nicht, ob mich mein Studium in irgendeiner Form auf das, was nach dem Studium kommt, vorbereitet (hat). Wahrscheinlich haben mir meine diversen Fluchten vor dem Ernst des Lebens, paradoxerweise, langfristig betrachtet mehr genutzt, um eben jenem irgendwann die Stirn bieten zu können. Aber, und da haben wir es wieder: irgendwann. Eines Tages, alles, nur nicht heute. Sind wir denn bereit, da raus zu gehen, jetzt oder sonstwann? Sind wir irgendwann bereit, jeden Tag zur Arbeit zu gehen, ein Haus abzubezahlen, Kinder zu bekommen? Sind wir jemals bereit dazu?
Freunde von mir haben kürzlich ihr zweites Kind bekommen. Andere Freunde gehen jeden Tag zur Arbeit, ein Haus zahlt zwar keiner ab,aber irgendwie kann das ja auch nur eine Frage der Zeit sein. Und alle sind sie noch am Leben, recht fidel sogar, die meisten von ihnen. Was also, was genau ist dieses Ding, das einen davon abhält, eines Tages zu "heute" zu machen?
Ich habe ein bisschen das Gefühl, darauf keine Antwort geben zu können. Schon allein, weil meine Antwort wahrscheinlich nicht eure wäre - wenn ich ehrlich bin, dann plane ich, mich nie mit dem Abbezahlen von Häusern herumzuärgern, oder mein Auto zum Autoarzt zu bringen. So richtig Lust auf sesshaft werden habe ich auch nicht, wobei ich jetzt nicht sagen kann, ob das in zehn Jahren immer noch so sein wird.
Und vermutlich komme ich damit der Antwort auf die Frage ("Warum") so nahe wie irgend möglich - irgendwann wird eines Tages heute sein, aber mit aller größter Wahrscheinlichkeit erst dann, wenn es sich richtig anfühlt. Solange wir nicht aus familiären/wirtschaftlichen/therapeutischen/Entertainmentgründen dazu gezwungen sind, etwas zu tun, das wir nicht wollen, warum sollen wir dann? Wer keinen festen Job will und trotzdem überlebt, der soll seinen Job doch meinetwegen jedes Jahr wechseln, in Deutschland und China und auf Guadeloupe arbeiten, wenn ihm danach ist. Und wenn ihm nicht mehr danach ist, dann wird es eines Tages sein, und er wird es ändern, auch, wenn es Angst macht, auch, wenn Veränderungen gruslig sind, auch, wenn einem vorher der Arsch erst mal auf Grundeis geht. Aber wem nie der kalte Schweiß ausgebrochen ist beim Anblick des sorgsam in Kisten verpackten und in einen Transporter verstauten Lebens, der wird auch nie was zu erzählen haben, oder? Wer nie alleine im einer hallenden, leeren Wohnung saß, nie in einem wildfremden Land aus dem Flieger gestiegen ist, nie einfach mal irgendeinen Mist gemacht hat, weil ihm gerade danach war - der erzählt später von dem, was hätte sein können. Hätte er, wäre er, würde er, schöne grammatische Form, der Konjunktiv.
Eines Tages packst du deine Sachen, du hast Angst und gehst doch fort.**
Irgendwann wird eines Tages sein, und bis dahin lasse ich euch nun allein, vorerst, damit ihr Zeit habt, meine mäandernden Gedanken zu verdauen (oder schnellstmöglich wieder zu vergessen) - somit also, cheers! Ich muss jetzt Game of Thrones schauen.
*Ja, ich habe gerade eine DJane zitiert.
** Und schon wieder.
Sonntag, 16. Februar 2014
London-ish
Eine Stadt in schwarz und weiß and an expressionist painting -
ein Einbeiniger im Rollstuhl sammelt halbaufgerauchte Zigarettenstummel vor dem Ritz, zündet sie wieder an und raucht sie bis zum Filter. Ein Mann mittleren Alters sitzt auf dem überlaufenden Leicester Square, sein handgeschriebenes Pappschild erzählt von Jobverlust, Obdachlosigkeit - und er dankt dir ernsthafter für die 30 pence, die du ihm gibst, als manch anderer für größeres gedankt hat in letzter Zeit.
Unweit davon kreischen die Massen George Clooney über den Teppich, er strahlt und verteilt großzügig Autogramme; er ist ganz oben, weiter geht nicht, er kann sich sein Strahlen und seine Autogramme leisten.
In den Tiefen der U-Bahnstation sitzt ein Gitarrist und spielt die Massen zur Ruhe, Entschleunigung; ein Moment, eine kleine, schillernde Blase im kollektiv nachhause trampelnden Feierabendverkehr.
Und inmitten aller ein Saxophonist, ein Fleckchen Gold und darüber schwebend, Jazztöne, weich und langsam, ein Netz aus Tönen, in denen sich die Horde verfängt, während sie rennt und rennt, im Kunstlicht und der Kälte.
Was man so trägt -
Nur Chinesen laufen in aller Öffentlichkeit mit Mundschutz herum. Alle laufen mit ihren Smartphones vor der Nase herum; am Tisch neben mir sitzt eine Frau, die einen Bauch mit sich herumträgt, einen schwangeren, dazu eine Tüte mit der Aufschrift "The Portland Hospital". Die meisten tragen Taschen, Rucksäcke, Tüten; und viele: Schal, bei den Temperaturen. Mützen, Handschuhe, die gelegentliche Sonnenbrille, es ist sonnig und wir sind in London. Das Gebäude gegenüber trägt Gerüst, das ziemt sich so.
Eine junge Asiatin (ohne Mundschutz) trägt einen schwarzen Rucksack, auf dessen Oberfläche gleichmäßig verteilt grellgelbe Stoffstacheln in die Luft stechen, seltsam deplatziert wie die Mandelstifte, die man als Kind in schokoladenüberzogene Birnenhälften gesteckt und das ganze "Igel" genannt hat.
Viele tragen sehr große Brillen. Ein Mann, vielleicht 25, trägt eine senfgelbe Wollmütze, darüber große Kopfhörer, aus denen Musik kommt, die mysteriöserweise denselben Takt anzuschlagen scheint wie die Musik in dem Café, in dem ich sitze. Seine Schritte passen sich nahtlos in den Pop der Lautsprecher über meinem Kopf ein, die großen, silbergrauen Papiertaschen, die er symmetrisch trägt, wippen gehorsam mit. Eine Fahrradrikscha trägt sich scheinbar schwerelos am Fenster vorbei - abfallender Straße sei Dank, sitzen doch drei Menschen auf ihrem kanariengelben und schwarz überdachten dreirädrigen Gestell. In London sind die Leute auch nicht leichter als in Indien.
Hinter mir trug wohl jemand ein Tablett, bis eben. Blecherner Krach, der auf dem Boden aufdotzt und sich kurz darauf wiederholt, schwächer, dann nichts mehr. Wahrscheinlich bückt sich jetzt jemand, ächzend, eine Hand auf der Schürze abstützend. Dann trägt er es weiter.
Immer weniger Leute scheinen Zigaretten zu tragen. Der Buckingham Palace trägt einen Union Jack. Manch einer trägt einen pikierten Gesichtsausdruck. Der angejährte Mann auf dem Gehweg trägt eine schwarze Pelzmütze zu Anzug und Aktentasche, mein schwarzer Mantel trägt Flecken.
Ich trage es mit Fassung.
Und dann steigt man in den Bus und steigt in Wales wieder aus. Reduziert sein Umfeld von 8 Millionen auf 7 Einzelindividuen und Pferde. Und fragt sich, was man hier eigentlich tut - aber das, meine Lieben, wird sich zeigen.
Abonnieren
Posts (Atom)