Freitag, 25. April 2014

Ein Plädoyer



Man sitzt in einem Zimmer, das einem, in dem man mal gewohnt hat, zum Verwechseln ähnlich sieht. Aber gleichzeitig ist es vollkommen anders. Nicht, weil die Möbel anders angeordnet wurden. Nicht, weil die Bilder an der Wand nicht mehr die eigenen sind, fremde Freunde zeigen, die man noch nie getroffen hat und die einem jetzt strahlend von der Zimmerwand entgegen lächeln.
Es ist die Kombination, der Schrank, in dem vor sieben Monaten noch die eigenen Hosen und Pullis gestapelt waren, und in dem jetzt zweifelsohne die einer anderen Person aufbewahrt werden (man hat nicht nachgeschaut, aber die Logik legt Schlüsse nahe). Der Schreibtisch, der zu Zeiten der eigenen Regentschaft noch überhäuft mit Zettelchen und unabgearbeiteten, umgeschriebenen To-Do-Listen war und der jetzt, sauber und aufgeräumt, an anderer Stelle steht. Es ist die Pinwand, an der die eigenen Bilder und Postkarten hingen und von der aus man nun von besagten Fremden angegrinst wird, als wüssten sie genau, wie seltsam man sich fühlt. Wie ein Eindringling im eigenen Haus.
Und wahrscheinlich ist man das auch. Man war weg, jetzt ist man wieder da, alles wie gehabt. Wirklich? Man kommt zurück in seine Stadt und nichts hat sich verändert die Enttäuschung ist groß - wirklich?
Irgendwie ja, aber eigentlich nein.
Auf den ersten Blick ist alles gleich. Der Bus fährt nach wie vor nur zwei Mal die Stunde. In der WG hängen noch dieselben Poster an der Wand. Es ist Ende April und tagsüber warm, nachts donnert es. Alles, wie es letztes Jahr auch war.
Aber sobald man das große Ganze verarbeitet hat und sich den Details zuwendet findet man die Unterschiede. Findet man die Läden, die geschlossen und neu eröffnet haben. Die Bilder, die abgehängt und durch neue ersetzt wurden. Das Zimmer, das seltsam gleich, aber eigentlich völlig anders ist.
Sieben Monate sind keine lange Zeit, aber sie ist ausreichend. Um sein altes Leben zurückzulassen und sich ein neues zu suchen. Um neue Freunde zu finden und dann wieder aus den Augen zu verlieren. Um sich selbst zu verändern.
Vermutlich ist das auch der Hauptgrund, weswegen man sich nach kurzen sieben Monaten in seinem alten Zimmer wiederfindet und so fasziniert das Mobiliar bewundert, als stünde man immer noch in der Tate, anstatt in seiner WG in Tübingen. Man selbst hat sich verändert, und damit hat sich die Sicht auf die Dinge verändert. Der nächtliche Donner erinnert einen vage an den vergangenen Sommer, aber trotzdem ist er eigentlich etwas ganz anderes.
Es ist so, aber; es fühlt sich so an, aber. Es ist alles irgendwie das eine, aber auch das andere, und im Grunde weiß man nicht so genau, man kann die richtige Stelle nicht finden und kratzt sich den Rücken wund auf der frenetischen Suche nach dem einen Punkt, der, an dem man wissen wird: hier. Das ist es, deswegen juckt es, deswegen ist alles jetzt so und nicht mehr anders. Und macht das was? Nein.
Das Leben ist nicht gradlinig und manchmal lebt man auf hermeneutischen Zirkeln. Kreist um einen Punkt, weitet seinen Kreis aus, verengt ihn wieder und denkt sich auf einmal, aha! So ist das also. Man mag zurückkommen, aber ein Teil von einem bleibt weg und wird auf dem Weg durch einen neuen ersetzt; oder die Summe des Ganzen wird einfach größer. Erfahrungen, Freundschaften, neue Ideen. So ist das also.
Und so sitzt man also in einem Zimmer, das einem, in dem man mal gewohnt hat, zum Verwechseln ähnlich sieht. Und denkt sich, Veränderung ist gut. Weggehen ist gut, wiederkommen aber manchmal auch.
Auch wenn hinterher alles anders ist - oder gerade deswegen.

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