Freitag, 27. August 2010

Und der Mond zieht über mich hinweg

Wie kann die Zeit nur so schnell vergehen.
Wie kann es sein, dass Menschen, die man vor dem Bruchteil des kleinsten Teils einer Millisekunde im Universum erst getroffen hat sich als wichtig entpuppen, man sie gerade erst anfängt kennenzulernen, nur um im sofortigen Anschluss wieder allein dazustehen.
Wie kann es sein, dass zwei Menschen, die vor einem etwas größeren Bruchteil einer Sekunde im Universum in unser Leben getreten sind, jetzt plötzlich einen der größten Schritte ihres Lebens wagen, uns die Schönheit des Daseins vor Augen führen und uns vielleicht sogar für einen winzigen Augenblick an der Unumstößlichkeit des Zynismus zweifeln lassen.
Wie kann es sein, dass die Abstände zwischen einer Stadt und der nächsten, einer Idee und der nächsten, einem Leben und dem darauf folgenden so engmaschig sind, dass uns bei genauerer Betrachtung ganz schwindlig wird. Im Grunde haben wir keine Kontrolle- das Leben lebt sich von selbst; wir sind die Protagonisten, die es ausführen. Wiegen wir uns tatsächlich in dem Irrglauben, wir könnten die Geschehnisse beeinflussen?
Wie kann es dann sein, dass schon wieder ein Jahr vorüber ist. Dass wir plötzlich einem Event ins Auge blicken, das immer in weiter Zukunft zu liegen schien und nun auf einmal vor unserem Haus steht und mit aller Gewalt an die Tür hämmert, während sich dahinter schon ein weiterer Geburtstag nervös von den Fersen auf die Zehenspitzen und zurück wippt, um uns ein weiteres Jahr aufzudrängen. Plötzlich wird das Leben ernst und man selbst steht noch in Unterwäsche da, die Haare sind struppig, man hat es noch nicht geschafft eine ganze Tasse Kaffee zu trinken heute, und alles ist anders.
Schon wieder.
Menschen, die man gerade noch nicht kannte, nennen sich jetzt beste Freunde, neun Jahre sind vorbei und man hat es kaum geschafft, zweimal ruhig ein und wieder auszuatmen. Manchmal atmet man Rauch ein, manchmal nicht- die Abstände zwischen dem Aufhören und dem wieder anfangen schlechter Angewohnheiten sind verschwommen und holprig, ein Läufer, der rennt und zeitgleich die jubelnde Menge am Straßenrand filmt.
Die Haare werden lang und wieder kurz und wieder lang, mal sind sie braun, mal nicht- die Welt dreht ihre Runden und interessiert sich einen Scheiß für die Entwicklungen, die ihr selbstherrlicher Parasit Mensch durchlebt. Man reist in die Welt und kommt zurück, man vergisst die Menschen, die man dort getroffen hat und eines Tages findet man sie wieder, älter, vielleicht weise, verändert- und online. Eines Tages wird man die Menschen wiederfinden, die man eben erst getroffen und schon wieder verloren hat- älter, weiser, verändert, vielleicht online.
Wir teilen das Leben in Abschnitte, weil es uns sonst mit seiner Tragweite und der damit verbundenen schockierenden Unwichtigkeit umbringen würde. Eigentlich bringt es uns sowieso irgendwann um, das Leben, aber solange man kann, sollte man nicht daran denken- Zeit ist kostbar, das Leben ist kurzweilig- ein Roman von J.K.Rowling, ein guter Film, zwei Bier und alles ist vorbei.
Und doch verbringen wir unsere Zeit mit Banalitäten, wir ärgern uns übers Wäschewaschen, über eingetrocknete Essensreste, über den Regen- und schlagartig wird uns bewusst, dass wir uns monatelang davon abgehalten haben, wirklich zu leben.
Plötzlich ist es soweit, ein anderer Abschnitt hört auf und ein neuer fängt an und wir fragen uns warum jetzt schon wieder alles so schnell ging und wieso das timing einfach immer so verdammt beschissen schlecht ist, was das Universum noch für uns auf Lager hat und wieso zur Hölle eigentlich unsere persönliche, kleine Musik des Zufalls (Paul Auster) immer so verflucht dissonant klingen muss. Ob nicht vielleicht die Zeit, das geflügelte Monster, vor dem sich alle fürchten (sollten?) auch mal wieder zu Besserem aufgelegt ist als virtuos ausgestaltete Entäuschungen- DAS kann sie aber wirklich gut, das muss man ihr lassen.
Dann ist es Mittag und wir stehen immer noch in Unterwäsche im Flur, kratzen uns am Kopf und schauen in die halbe Tasse Kaffee in unserer Hand, mittlerweile kalt, während von außen an unsere Tür geschlagen wird. Nein, ich kann euch nicht reinlassen, ich will nicht. Alles ging zu schnell, können wir nicht einen winzigen Moment anhalten und uns alles als Standbild anschauen, damit man überhaupt verstehen kann, worum es hier eigentlich geht, weswegen ich das alles tue und ob ich es überhaupt richtig mache?
Nein, geht nicht, sagt die Zeit und rennt weiter, hyperkinetisch, aufgekratzt, zuviel Koffein, scheinbar ist sie auch damit schneller als ich, die immer noch an ihrer kalten braunen Suppe nuckelt ohne davon aufzuwachen.
Draußen ist es kalt, es regnet. Gestern war einer der letzten warmen Tage des Jahres, bald ist es Herbst und die Melancholie bricht in warmen Braun- und kalten Grautönen übers Land, den Winter im Gepäck. Das Leben friert, die Zeit rennt weiter.
Man seufzt und lehrt den Tasseninhalt ins Waschbecken, in dem Essensreste kleben. Man wäscht seine Wäsche (und seufzt erneut). Man vergisst neue Menschen, die nicht hier sind, und besinnt sich auf die, die immer schon da waren. Man lernt neue Leute kennen. Man lebt und schaut Filme, man lernt und hört Musik, man liest und ab und zu raucht man.
Und der Mond zieht über mich hinweg.
Und die Sterne.

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