... und irgendwann kann man richtig nicht mehr von falsch unterscheiden und vorwärts nicht mehr von rückwärts, man weiß nicht mehr, ob was man tut einen Sinn ergibt, oder ob man sich den Sinn nur einredet, weil er eben gerade so schön ins Bild passen würde; man weiß nicht, ob man sich selbst täuscht, indem man sich sagt das ist jetzt so, oder ob man nicht vielleicht eigentlich gar nicht mehr weiß, ob irgendetwas eigentlich noch einen Nutzen hat oder ob wir im Grunde nicht sowieso alle nur wie die kopflosen Hühner über unseren kosmischen Spielplatz torkeln, ab und an gegeneinander stoßen und die Bedeutung davon hoffnungslos falsch verstehen.
Vielleicht sind wir auch einfach alle irgendwo auf der Strecke wahnsinnig geworden und keiner hats gemerkt.
Die Tage sind zu kurz und ähneln mehr denn je der Messywohnung; deckenhoch schwankende Stapel schlecht sortiertes Irgendwas, mit Mühe und dem System jahrelanger Unordnung findet man ungefähr die Hälfte von dem, was man sucht. Der Rest modert vor sich hin, wird vergessen, oder später wiedergefunden; zu viel von allem und nichts scheint entbehrlich, heute habe ich schon wieder das alles nicht gemacht, ich sollte anfangen Not To Do Listen zu schreiben, so viele Dinge, die ich nicht getan habe und dann abhaken könnte. Vielleicht ist man auch einfach zu langsam, vielleicht sollte man aufhören zu schlafen oder weniger grübeln.
Man schleppt ein ständiges Gefühl irgendetwas vergessen zu haben mit sich herum. Irgendetwas, auf dem Weg zwischen Vergangenheit und Zukunft. Es ist nicht das Jetzt, nein, das drängt sich sehr penetrant in den Vordergrund und schiebt damit den Konjunktiv in die hinteren Hirnregionen, wo er zum schlechten Gewissen wird. Das Jetzt ist groß und pulsiert wie eine Eiterbeule, manchmal tut es auch weh. Am Fuße des Jetzt hat sich viel bald, morgen, heute Abend, vielleicht später angesammelt und wartet, klein und ein bisschen unscheinbar und halb vergessen im alles unter sich begrabenden Schatten der Gegenwart, die mit zu viel gefüllt ist, was vielleicht nie hätte darin sein sollen und trotzdem auf eine perfide Art Sinn ergibt (da ist er wieder).
Und so oft droht einfach alles im Dunkel zu verschwinden, obwohl man sich nichts mehr herbeisehnt als Licht; so häufig liegt man nachts wach, obwohl man nur schlafen will; andauernd droht einen das Leben zu überfluten mit all seinen kleinen, hinterhältigen Komponenten, die einem in den Rücken fallen, sich anhäufen und groß werden, eine Flutwelle, die sich meterhoch auftürmt, den Himmel zur Erinnerung verkommen lässt und auf einen zurast, bis man in einer letzten Momentaufnahme den Dreck darin sieht, eine braune Wand, eingefroren in den Details der letzten Sekunde, ehe sie über einem zusammenschlägt, unter sich begräbt und alles, was war, mit sich nimmt.
So oft, zu oft, fühlt sich das Leben so an. Manchmal ist es laut dabei, schreit einen an, hundert Stimmen aus weit aufgerissenen Mündern, der Zug, der durch den Kopf rast, von nirgendwo nach nirgendwo fährt, voller Menschen mit Augen, die nur aus Weiß zu bestehen scheinen, Haare flattern im Wind.
Und manchmal ist es leise, farblos, kalt, irgendwo unter Null, unter neutral, langsam und schwerfällig und eingepackt in feuchte Watte, die nichts rein, aber auch nichts raus lässt.
Manchmal lebt man auch auf ihr, der Nullinie, wenn man Glück hat häufig, irgendwo in der Neutralität.
Und manchmal fängt das Leben an zu leuchten, wird groß und bunt; die Sonne, die auf die Häuserfront fällt und eine Phalanx aus Farben daraus macht; Lichter und das ewige Blau über dem Kopf, das ebenso wie die Wand aus Wasser zuvor über einem steht, aber einen in sich aufnimmt, fliegen lässt. Die Sonne, die auf die geschlossenen Lider fällt und die Welt in Rot taucht, die auf den höchsten Stellen des eigenen Gesichts aufprallt und sich in die weiße Haut gräbt und die noch fadenscheinige, aber stärker werdende Wärme in einen hineinträgt, wo man sie versucht, aufzufangen, zu konservieren, für schlechte Tage einzulagern.
An manchen Tagen sieht man sich selbst an und merkt, dass es okay sein kann. Dass es sogar gut sein kann. Dann sieht man die Menschen, mit denen man sein Leben teilt, und weiß nicht mehr wohin mit sich, man möchte lachen vor Glück und tut es auch. Man merkt, dass die vielen kleinen, hinterhältigen Dinge, die zwar so häufig groß und überwältigend werden, auch so unbedeutend sein können, wenn man sie in Relation zu allem anderen setzt; wenn man es will, und wenn man es schafft, in den Momenten, in denen einem schon die Gischt des Tsunamis ins Gesicht spritzt, sich zur Ruhe zu zwingen.
In den Augenblicken, in denen das Leben einfach nur gut ist, in denen der seltene Vogel kommt und kurz bleibt, ehe er weiterfliegt, merkt man, was man eigentlich hat. Trotz allem, was passieren oder nicht passieren mag - das hier ist mein Leben, und ich wünschte, es würde häufiger jemand kommen, mit auf die Schulter tippen und sagen: jetzt.
Denn schneller als einem lieb ist ist der Vogel weitergeflogen und hat die leuchtenden Häuserfronten und die Sonne mit sich genommen. Alles türmt sich wieder auf (vielleicht hatte es sich auch nie abgetürmt), und irgendwann macht sich der Eindruck bemerkbar, dass man verlernt, Worte aneinanderzureihen, Sätze zu bilden, Sinn zu ergeben. Gleichermaßen drängt sich das Gefühl auf, auch aus Worten und Sätzen, die man liest, keinen Sinn mehr ziehen zu können; vage Bedeutungen verschwimmen im Kopf und schließen sich zu bunten Spiralen aus Konditionalformen zusammen, ein einziger Rausch aus Missverständnissen, hinein in den Ausguss aus Gedankenmüll, weg damit, weg damit.
Manchmal wird das Geradeausdenken schwierig, also denkt man in Kreisen, malt Flächen mit Farbe aus, statt Worte zusammenzukleben. Manchmal, manchmal auch häufig, braucht man leiernde Rhythmen und Stimmen und Melodien, weil alles andere zu konkret ist und man geradlinig ja nicht mehr vorankommt. Dann wacht man morgens auf und die Welt ist weiß, man fängt an, sein altes Leben zu vermissen und fragt sich einmal mehr, wo das eigentlich hinführen soll, aber das weiß man ja nicht. Alles scheint zeitgleich richtig und falsch zu sein. Man landet im Kinderliedland des eigenen Kopfes, wo alles alles bedeutet und deswegen gar nichts, wo einem nichts anderes übrig bleibt, als weiterzumachen und auf die Sonnentage zu warten; die, für die es sich lohnt, die Tage, an denen man das Tippen auf der Schulter spürt und die Stimme hört: jetzt.
Samstag, 24. Januar 2015
Freitag, 26. Dezember 2014
Des Drärchens dritter Teil
3.
Akt, II. Szene
Auf
dem Marktplatz im Dorf. Inzwischen ist es Nacht. Die Dorfbewohner
wetteifern mit dem Hofstaat um den Preis für den gelangweiltesten
Gesichtsausdruck, der Handlanger eilt hektisch umher, Gustavo
unterhält sich gedämpft, aber angeregt mit einer der dicken Frauen.
Die Königin steht inmitten der Menschen, ihre wallenden Gewänder
werden strategisch von intelligent platzierten Fackeln ausgeleuchtet.
Uhus schuhuen im Hintergrund und machen sich dabei ohne Zweifel über
das Spektakel lustig. Eine sehr alte Frau hinkt gebückt auf die
Königin zu und überreicht ihr mit gesenktem Haupt eine halb
zerfleischte Ratte.
KÖNIGIN
(angeekelt): Handlanger!
Man will mich für dumm verkaufen!
HANDLANGER
(eilig):
Nein nein, eure Majestät. (Wirft
einen vorsichtigen Blick auf das Geschenk der Alten und kann sein
angewidertes Zurückschrecken nur mit viel Mühe als spastisches
Kratzen am Ohr überspielen) Das
ist ein, äh, traditionelles … eine rituelle, ähm, Ehrerbietung
der …
GUSTAVO
(steht plötzlich lautlos hinter dem Handlanger, der unheilvoll
zusammenzuckt, als sein Lebensgefährte das routinierte Wort
ergreift): Das,
eure Majestät, ist eine altfernizische Dunkelblutratte. Sehr
selten, sehr wertvoll. Muss leider sofort nach ihrem Tod in Fetzen
gerissen werden, da sie sonst ihre Wirkkraft verliert. Sehr gut für
den Teint, Teuerste.
Der
Handlanger starrt Gustavo ungläubig an und nickt dann verhement.
KÖNIGIN:
Ach
… wirklich?
GUSTAVO
(entspannt): Aber
natürlich. Reibt euch jeden Abend das Blut ins Gesicht und ihr
werdet im Handumdrehen … zwan... (Der
Handlanger schüttelt panisch den Kopf) zehn...?
(Handlanger
schüttelt immer noch den Kopf, wenngleich weniger panisch) fünf
Jahre (der
Handlanger lächelt erleichtert und nickt) jünger
aussehen!
KÖNIGIN
(wirft interessierten Blick auf die blutigen Rattenfetzen in ihrer
Hand): Ach.
Der
Handlanger dankt der buckligen Alten überschwänglich. Daraufhin
entfernt sie sich, wird zunehmend schneller, bis sie eine
erstaunliche Geschwindigkeit erreicht hat und um eine
Fachwerkhausecke biegt. Gelächter holpert aus dem Off über den
Platz und ebbt erst ab, als es von einem krächzenden Hustenanfall
ersetzt wird.
HANDLANGER
(wirft Gustavo mit den Augen Dank zu und wischt sich mit dem Ärmel
über die schweißüberzogene Stirn. Seine Stimme zittert ein
wenig): Gut
… dann also der, äh, Nächste … (Er
würde sich einen neuen Job suchen. Gleich im neuen Jahr würde er
alles hinschmeißen und auswandern. Das heißt, gleich, nachdem er
die Königin an die Neujahrsandacht erinnert und selbige
durchgeführt hatte. Moment, nein, nachdem er die Königin nach
ihrem jährlichen Wutanfall über das Kreidegeschmiere am
Schlosseingang nach den heiligen drei Königen beruhigt hatte. Oder
vielleicht …)
Gustavo
tätschelt ihm nachsichtig die Schulter und gesellt sich wieder zu
der dicken Frau. Ein weiterer Bürger, ein älterer Mann, nähert
sich zögerlich der Königin, die ihn erwartungsvoll unter erhobenen
Brauen anblickt. Der Mann trägt ein Bündel unter dem Arm, aus dem
ein durchgelaufener Stiefel hervorblitzt. Der Handlanger schickt ein
Stoßgebet zum Himmel. Im selben Moment gehen sämtliche Fackeln auf
dem Marktplatz aus. Für einen Moment herrscht überraschtes
Schweigen, das nur von einem 'Huch!' durchbrochen wird, ehe jemand
'Autsch!' sagt und ein anderer 'Stell dich nicht so an!'; die
tanzwütige Menge formiert sich, ein leises 'Ach nicht schon wieder
…' ist zu vernehmen. Ehe die Musiker es jedoch geschafft haben,
ihre Weingläser wegzustellen und eilig ihre Instrumente im Dung zu
suchen, lodert eine einsame Fackel ins Leben und erhellt das nun
wieder von der Kapuze verdeckte Gesicht des Zauberlehrlings, der
etwas abseits zum übrigen Volk steht und grimmig guckt.
HANDLANGER
(entsetzt): Was
…? (Überfliegt
hektisch mit im Dunkeln zusammengekniffenen Augen seinen Ablaufplan,
ohne jedoch den entsprechenden Punkt darauf zu finden. Neuerlicher
Schweiß springt aus seiner Stirn)
GUSTAVO
(klatscht zweimal erfreut in die Hände): Großartig!
KLEINER,
DÜNNER MANN (trotzig an dicke Frau neben ihm gewandt): Du
weißt schon, dass der Typ schwul ist?
DICKE
FRAU (fröhlich): Aber
natürlich, Liebling.
Gemurmel
erhebt sich. Gemurmel erstirbt schlagartig. Zauberlehrling beginnt
mit überraschend lauter Stimme zu sprechen.
ZAUBERLEHRLING:
Königin
von Fernizien!
Das
Volk dreht sich synchron zur Königin und sieht sie erwartungsvoll
an. Irgendwo in den hinteren Reihen hält ein junger Mann einem
anderen jungen Mann eine Tüte Popcorn hin. Der andere wirft einen
skeptischen Blick darauf, zuckt mit den Schultern, und greift hinein.
KÖNIGIN
(verwirrt): Ja
bitte? Wir sind noch bei den Geschenken, das Füßeküssen kommt
später. Handlanger? Handlanger? Sag ihm, dass …
HANDLANGER
(erbleicht, schweigt).
ZAUBERLEHRLING:
Sei
still!
Die
Menge atmet kollektiv ein und belässt es dabei. Einer der beiden
jungen Männer versucht, geräuschlos weiterzukauen.
KÖNIGIN:
…
Bitte?
Die
Köpfe der Menge drehen sich zum Zauberlehrling, einem sehr langsamen
und sehr dunklen Tennismatch nicht unähnlich.
ZAUBERLEHRLING
(holt tief Luft und verlagert sein Gewicht von einem auf das andere
Bein. Das kleine Wesen boxt in seiner Manteltasche gegen seinen
Oberschenkel. Er hofft, dass es nicht zu übereifrig ist, sonst
könnte es doch unangenehme Folgen haben. Zumindest, solange es noch
in seiner Tasche steckt. Der Mantel war teuer.): Ihr
habt schon richtig gehört! Jetzt ist es an mir zu sprechen, und ich
spreche für das Volk!
GUSTAVO
(im Hintergrund leise an den Handlanger): Geht
es dir gut, Schatz?
ZAUBERLEHRLING:
Jedes
Jahr nehmt ihr eure Untergebenen aus und rühmt euch dabei noch mit
Großmut!
GUSTAVO
(immer noch im Hintergrund an den Handlanger): Du
sahst wirklich schon mal besser aus.
ZAUBERLEHRLING:
Dabei
gebt ihr eurem Volk nichts! Dieses Jahr wird sich das ändern!
KÖNIGIN:
Ach.
URALTER
MANN (mit durchdringender Stimme): Was
hat sie gesagt?
JUNGE
FRAU NEBEN IHM: Nicht
jetzt, Opa!
Ein
kurzes Schweigen schiebt sich zwischen die Massen. Der Wind frischt
auf und zerrt gefährlich an den Flammen der einzigen Fackel.
ZAUBERLEHRLING:
Dieses
Jahr werdet ihr eurem Volk etwas von eurem Reichtum geben, oder ich
werde einen Fluch auf euch loslassen!
Erneutes
lautes und kollektives Einatmen der Menge. Man hört ein leises
'Autsch!' als einer der beiden jungen Männer sich an einem
ungepoppten Korn einen Zahn ausbeißt.
KÖNIGIN
(offenbahr deutlich weniger eingeschüchtert als alle anderen, man
könnte auch sagen: belustigt): Ach,
und wie soll er aussehen, dein Fluch?
Die
Köpfe drehen sich erneut zum Zauberlehrling.
ZAUBERLEHRLING
(greift in seine Tasche. Das kleine Wesen beißt ihm in den Finger,
dann zieht er es hervor und hält es unheilvoll in den
Fackelschein): So
sieht er aus!
Die
Menge beginnt bereits, schon wieder entsetzt Luft einzusaugen, ehe
ihre Blicke auf das kleine, fellige Wesen fallen, das nun eifrig auf
der ausgestreckten Hand des Zauberlehrlings auf und ab hoppst. Sie
schaffen es gerade noch rechtzeitig, sich davon abzuhalten und
stattdessen die Augen zusammenzukneifen und irritiert die Stirn in
Falten zu legen. Die dramatische Pause wird nur vom Kauen eines der
beiden jungen Männer unterbrochen. Der andere schmollt.
URALTER
MANN (durchdringend an seine Enkelin): Jutta,
was ist
das? Kann mal einer das Licht anmachen? Das sind ja Verhältnisse
wie im Mittelalter!
GUSTAVO
(lauter): Ich
glaube, wir brauchen einen Arzt.
KÖNIGIN
(ruft im Zuge eines kleinen, wohlplatzierten brechtschen Einwurfs):
Sie
bricht in schallendes Gelächter aus und wirft ihren Kopf in den
Nacken, wo er bequem auf ihrer in der Kälte erstarrten Halskrause
zum Erliegen kommt!
ZAUBERLEHRLING
(düster und leise. Sofort ist Brecht wieder vergessen, zumal der
ohnehin noch nicht einmal geboren war zur Zeit des fernizischen
Königshofs. Der Fackelschein fängt des Zauberlehrlings
Gesichtszüge gekonnt ein und verleiht ihnen tiefe Schatten und mehr
Kanten, als nötig gewesen wären, um die Damenwelt von ihnen zu
überzeugen): Das
werdet ihr noch bereuen. Die negativen Gefühle sind Nahrung für
dieses … (er
wirft selbst einen ein wenig verwirrten Blick auf das kleine
Fellwesen in seiner Hand. Das Fellwesen hält einen Moment inne und
wirft einen Blick zurück) …
Wesen! Jetzt mag es klein sein, aber …
Die
Königin lacht lauthals. Ein Baby beginnt zu weinen. Das Fellwesen
wird größer.
ZAUBERLEHRLING:
Seht ihr! Seht her! Nun schaut schon her!!
Das
Volk blickt gehorsam auf den Zauberlehrling und saugt dieses eine Mal
in echtem Erstaunen den Atem ein. Das Wesen ist auf die doppelte
Größe gewachsen.
KÖNIGIN
(winkt gelangweilt ab): Ach,
so ein Unsinn.
ZAUBERLEHRLING:
Aber!
Das ist noch nicht alles. Diese – (er
wirft eine kleine Rauchbombe auf den Boden, die den Platz für
einige Sekunden in dichten Qualm hüllt. Er hofft innig, der
Auftritt möge auf Anhieb klappen. Dafür, dass sie von keinem
Theater Ferniziens angestellt wurden waren die Schauspieler ganz
schön teuer) NACKTEN,
HUNGERNDEN KINDER (der
Rauch verfliegt und das Volk schnappt in echter Empörung nach Luft;
der junge Mann verschluckt sich an seinem Popcorn, der andere lacht
hämisch) sind
von der Königin verstoßen und geächtet worden! Sie haben an den
Schloßtoren um Asyl gebettelt und sind abgewiesen worden! Die
Königin hat Kinder
vor die Tür geschickt; nackte,
hungernde Kinder!
Das
Wesen in der Hand des Zauberlehrlings wird zu schwer, als dass er es
noch halten könnte. Er zieht seinen Arm zurück. Die Wut unter dem
Volk schwappt hoch, und das Wesen wächst. Der Zauberlehrling freut
sich, könnten wir einen Close Up machen böte es sich nun an, um
seine gehässig zuckenden Mundwinkel einzufangen. Bedauerliches
Medium, dieses Theater).
ZAUBERLEHRLING:
Deswegen
werdet ihr dieses Jahr eurem Volk etwas zurückgeben!
KÖNIGIN:
Aber
… aber ich habe nichts bei mir.
Der
Handlanger kippt hinter ihr in den Matsch. Gustavo beugt sich über
ihn.
ZAUBERLEHRLING
(wenn möglich, noch gehässiger und düsterer als zuvor): Oh
doch …
Es
wird ruhig. Die Menge scheint nachzudenken. Der Uhu schuhut erneut.
Langsam werden die Gesichter der Umstehenden wieder heller. Die
nackten, hungernden Kinderdarsteller stöhnen und jammern. Endlich
versteht es auch die Königin.
KÖNIGIN:
Meine
Roben!
CHOR,
DER SICH SPONTAN AUS DER MENGE FORMT UND BEREITS ZU EINER
STEPPNUMMER ANSETZT: Ihre
Roben! Ihre Roben!
URALTER
MANN (mit hoher, stechender Stimme): Jetzt
seid doch endlich mal still!
ZAUBERLEHRLING
(mit dem unausweichlich triumphalen Blick unter buschigen
Augenbrauen hervor, den er so lange vor dem Spiegel geübt hat):
Eure
Roben … Ein Kleidungsstück dürft ihr behalten, mehr nicht. Nun
zeigt, wie großmütig ihr seid, und gebt eurem Volk, gebt den
nackten Kindern …
KÖNIGIN
(nach kurzem Überlegen, aber mit Nachdruck): Nein.
Zunächst
ungläubiges Schweigen. Dann totaler Amoklauf der Masse. Schreie,
Kreischen, hier und dort werden kleinere, leichtere Personen wütend
in die Luft geworfen. Scheiße wird schnell vom gefrorenen Boden
abgemeißelt und gesellt sich zu ihnen. Wütende Aufschreie schwappen
wie Wellen durch die Meute. Der Zauberlehrling steht wie im Auge des
Sturms darin; das Wesen wächst schnell, bis es schließlich die
Menge überragt und immer noch größer wird. Schließlich bäumt es
sich auf und setzt zum Brüllen an. Mit einem Mal ist die Menge ruhig
und fühlt sich klein und unwichtig. Dann fällt ihnen ein, dass das
Monster auf ihrer Seite steht. Sie wenden sich wieder der Königin zu
und schütteln wütend erhobene Fäuste in ihre Richtung.
KÖNIGIN:
Ich
… ja, also … (Blickt
sich um auf der Suche nach dem Handlanger. Dieser liegt bewusstlos
auf dem Boden, während Gustavo mit einem Mann diskutiert, der
behauptet, Arzt zu sein, aber offensichtlich Zierfischer ist)
MONSTER
(brüllt): [xxxx] ← nach Belieben mit Lauten füllen.
ZAUBERLEHRLING:
Nun?
Der
Tumult erstirbt. Die Königin schnaubt. Schließlich beginnt sie
langsam, ihre Roben zu öffnen. Das Volk starrt sie gebannt an dabei.
Die erste Robe fällt. Die vorderen Reihen drehen sich entsetzt zur
Seite, man hört ein leises 'Oh mein Gott!' und ein 'Autsch!' von
irgendwoher, aber die Königin fährt fort. Der Zauberlehrling selbst
hat nur schlechte Sicht auf das Geschehen, ist aber auch ganz froh
darüber.
KÖNIGIN:
Nur
damit das klar ist (eine
weitere Robe fällt mit prunkgeladenem Klatschen in den Dreck; ein
Stück daneben fällt Jutta in Ohnmacht, während ein uralter Mann
neben ihr anzüglich grinst und langsam rote Ohren bekommt), meine
Krone werde ich behalten!
ZAUBERLEHRLING
(bemerkt erst jetzt, dass eine Krone auch als Kleidungsstück
durchgehen kann. Kurzer Ausbruch kalten Angstschweißes. Dann
Schulterzucken): Bitte.
Nur zu!
Das
Monster bäumt sich erneut auf und erschreckt alle damit. Die
nackten, hungernden Kinderdarsteller fallen einer nach dem anderen
aus ihren Rollen, doch schließlich ist es geschafft. Die Königin
steht nackt bis auf die Krone vor ihrem Volk, das sich entgeistert
abwendet.
KÖNIGIN:
Zum
Zeichen meiner Großzügigkeit! Nehmt, und geht! (Sie
blickt sich suchend um, findet den Handlanger umgeben von Gustavo,
einem Zierfischer, dem kleinen, dünnen Mann und einigen
Schaulustigen mit Popcorntüten auf dem Boden liegen, und zuckt mit
den Schultern. Sie nimmt ihre zerfetzte Ratte an sich und schwingt
sich auf ihr Pferd, was panisches Jappsen der direkt Umstehenden
provoziert. Jutta, die sich soeben wieder erholt hatte, fält erneut
in Ohnmacht. Der uralte Mann neben ihr verlässt mit seltsam
breitbeinigen Schritten unauffällig das Geschehen).
Königin
ab. Das Volk starrt ihr einige Momente ungläubig nach, dann bricht
Jubel aus. Weitere Fackeln werden entzündet, auf einmal ist der
Marktplatz in gleißendes Licht getaucht. Das Monster, dass gerade
zum Brüllen ansetzen wollte, hält ein wenig erstaunt inne und lässt
es dann nach reiflichen Überlegungen bleiben. Die Bettler stürzen
sich auf die Roben der Königin, deren Gegenwert vermutlich halb
Fernizien durch die Fußball WM bringen könnte. Der Handlanger
erwacht aus seiner Ohnmacht und sieht Gustavos Gesicht über sich. Er
lächelt. Jutta kommt ebenfalls wieder zu sich und wird von einem
jungen Mann, dem ein Schneidezahn fehlt, aus dem Gewühl gezogen.
Zwei dicke Frauen und ein kleiner, dünner Mann verlassen verschämt
den Marktplatz, öffnen wahllos eine Haustür und schließen sie
hastig wieder, als sie dahinter einen uralten Mann entdecken und sich
mit dem Gesehenen lieber doch nicht weiter beschäftigen wollen. Der
Zierfischer wirft Zierfische unters Volk. Die königlichen Trompeten
stimmen einen treibenden Marsch an. Die nackten, hungernden
Kinderdarsteller blicken gelangweilt.
Der
Zauberlehrling lächelt leise in sich hinein und murmelt
unverständlich. Das muntere Treiben auf dem Marktplatz wird leiser,
die Lichter gehen zurück, bis nur noch er erleuchtet ist, eine
düstere Gestalt in einem teuren Umhang mit Kapuze. Er dreht sich um
und verschwindet mit großen, hageren Schritten in der Dunkelheit.
Vorhang.
Nachhall
Dereinst
im fernen Königreiche
Fand
sich des Tags nach Weihnachten
Die
nackte und erstarrte Leiche
Der
Königin am Fluß.
Angenagt
von Wölfen und Rattenblut im Gesicht
(modisch,
aber schlicht)
Und
nur bekleidet mit der Krone;
Ihr
Anblick war durchaus nicht ohne,
Kurz
nach dem Sturz vom Throne.
Ohne
Gewand war sie erfrorn,
Hätt
sie mal statt Gold den Mantel auserkorn
Als
Kleidungsstück der Wahl -
Nicht,
dass es jemand stören würde,
Das
Volk warf sie in den Kanal,
Und
ließ sichs gut gehen.
Soviel
zu 'es war einmal'.
Frohe
Weihnachten!
Mittwoch, 24. Dezember 2014
Des Drärchens zweiter Teil
2.
Akt, I. Szene
Der
Handlanger und Gustavo stehen auf dem Platz unter dem königlichen
Verkündigungsbalkon; der Handlanger wirkt nervös, Gustavo trägt
eine rote Samtrobe und eine Federboa, er wirkt gelangweilt. Zögerlich
gesellen sich erste Ausläufer des Hofstaats zu den beiden. Es ist
der 24. Dezember, kurz vor fünf.
HANDLANGER
(von einem Fuß auf den anderen tretend): Wo ist sie, wo ist sie,
wo ist sie …
GUSTAVO:
Reg dich ab, sie wird schon kommen. Und wenn sies nicht tut, wäre
auch keinem geschadet …
HANDLANGER
(wirft Gustavo einen düsteren Blick unter zusammengezogenen
Augenbrauen zu): Du bist dir darüber bewusst, dass dies mein
Job ist, Gustavo, ich bin dafür zuständig, alles in geordneten
Bahnen verlaufen zu lassen, ich …
GUSTAVO
(verdreht die Augen, murmelt): Jetzt geht das wieder los.
Sie
sehen sich für einen Moment angespannt in die Augen, der Handlanger
setzt soeben zum sprechen an, da geht ein kleiner Tumult durch die
dürftige Menschenmenge.
RITTER:
Ich glaube, sie kommt.
HOFDAME
I: Wurde aber auch Zeit. Mein Puder friert bereits an meinem
Gesicht fest.
HOFDAME
II: Das macht auch keinen Unterschied mehr …
HOFDAME
I: … was?
HOFDAME
II (holt tief Luft, macht unbestimmte Handgeste und setzt zu einer
ohne Zweifel lang geplanten und mindestens ebenso lang
zurückgehaltenen Rede an, ehe sie unterbrochen wird):
Pompöses
Trompetendröhnen, untermalt vom subtilen Stöhnen aller Anwesenden
sowie dem etwas weniger subtilen Stöhnen des Hofmarschalls und
seiner Geliebten, die, unweit des Platzes, in einem billigen
Tavernenzimmer wilden Sex haben, die königlichen Weihnachtsgrüße
vergessen haben und dafür in Kürze erst von der Gattin des
Hofmarschalls und, ein wenig später, vom sich dabei äußerst unwohl
fühlenden Handlanger zur Rede gestellt werden.
MEGER
VOHN: Volk – DIE KÖNIGIN!
GUSTAVO
(leise zum Handlanger): Wie lange er das wohl einstudiert hat.
Volk:
seufzt. Vereinzeltes Klatschen, gepaart vom demonstrativen Blick auf
die Taschenuhr, die zwar eventuell noch nicht erfunden war, aber der
Geste des demonstrativ-auf-die-Uhr-schauens sicherlich nur um ein
paar Jahrhunderte dicht auf den Fersen folgte.
KÖNIGIN
(schielt unauffällig auf einen Zettel, den sie geschickt in ihrem
Muff versteckt hat): Holdes Volk! Wie auch im letzten Jahr
wollen wir uns zusammentun und ins Dorf hinabsteigen, dem armen Volk
unseren guten Willen und unsere Nächstenliebe zeigen, das
Weihnachtsfest gebührlich zelebrieren und …
HANDLANGER
(formt stumm die Worte mit ihr): … frohen Mut verbreiten …
GUSTAVO:
Ach Gottchen.
HANDLANGER
(lächelnd, den Blick auf die Königin gerichtet): Halt den Rand,
Schatz.
Die
Königin schweift aus. Das Volk zittert ergeben und verflucht sich in
Gedanken dafür, jemals auf die blödsinnige Idee verfallen zu sein,
am Hof leben zu wollen. Schließlich endet die Königin und Stille
legt sich über die Menge, nur unterbrochen vom triumphalen Schrei
der Geliebten des Hofmarschalls, die der Situation scheinbar mehr
abgewinnen kann als die meisten anderen.
Der
Handlanger wirft dem Volk einen auffordernden Blick zu und klatscht
lautlos in die Hände. Zögerlich fällt das Volk ein, der leicht ins
Säuerliche verrutschte Blick der Königin glättet sich soweit wie
möglich. Gebieterisch hebt sie den Arm, um das Volk zum Schweigen zu
bringen; der Erfolg kommt prompt. Sie blickt leicht irritiert, ruft
aber dennoch zum Aufbruch.
KÖNIGIN:
So sei es denn, lasst uns gehen, treue Untergebene, lasst uns
unseren Großmut zeigen!
Das
Trompetendröhnen setzt einen Tick zu früh ein und schneidet der
Königin die letzten Silben ab, der Zug setzt sich in Bewegung.
Vereinzeltes Kichern ist zu hören, der Handlanger fasst sich an die
Nasenwurzel. Gustavo wirft seine Boa über die Schulter und zieht den
Handlanger am Arm hinter sich her. Der Hofstaat durchschreitet
gemächlich das Hoftor, weit unter ihnen wird das Dorf sichtbar.
2.
Akt, II. Szene
Der
Marktplatz im Dorf. Halb gefrorener Matsch mit Exkrementen türmt
sich am Straßenrand; vereinzelte Fackeln erhellen die Berge
malerisch. Fachwerkhäuser lehnen sich wohlig mit den Schultern
eineinander und beteuern einander unter vertrauenserweckendem Knarzen
ihre Zuneigung. Aus einem Brunnen in der Mitte des Platzes kommt
dumpfes Klopfen, wird lauter und hektischer und erstirbt schließlich.
Im Anschluss ein entferntes Rülpsen.
Menschen
ziehen über den Platz, mit Säcken auf dem Rücken. Einige ziehen
Karren hinter sich her. Vereinzelte Hunde streunen, ein paar Bettler
sitzen in der Scheiße am Wegesrand und verfluchen die Welt
erstaunlich eloquent. Der Zierfischer reibt seine Hände aneinander
und räuspert sich.
ZIERFISCHER:
Zierfische!
Köstliche Zierfische!
PASSANT
(bleibt stehen): Was?
Ein
paar dicke Frauen in langen Kleidern und ein kleiner, dünner Mann
treten aus einem der Fachwerkhäuser und werfen die Tür hinter sich
ins Schloss. Dabei fällt ein Holzbalken aus dem Fachwerk und
erschlägt im Hintergrund eine Ratte. Katzen stürzen sich auf sie,
Blut spritzt.
DICKE
FRAU I: Wann
die blöde Ische wohl dieses Jahr kommt.
DICKE
FRAU II: Von
mir bekommt sich nichts!
KLEINER,
DÜNNER MANN: Haben
wir an die Kartoffeln gedacht?
DICKE
FRAU II (stöhnt): Haben
wir.
KLEINER,
DÜNNER MANN (entrüstet): Schrei
mich nicht so an!
DICKE
FRAU II: Hab
ich doch gar nicht.
KLEINER,
DÜNNER MANN: Hast
du wohl!
DICKE
FRAU I (verdreht die Augen, schweigt und tritt beiläufig einen Hund)
Die
drei verschwinden im Getümmel. Am Bühnenrand werden wir ferner
Fackeln gewahr, die die fernizischen Hügel hinabwackeln und die
Karawane der Königin symbolisieren. Die Menge auf dem Marktplatz
formiert sich und verfällt in eine spontane Tanznummer, wobei sie
etwas wie „Oh nein, da kommt sie wieder, versteckt eure
Habseligkeiten oder besser noch euch selbst; ach was, zündet das
Dorf an und sagt der Versicherung, es war ein Unfall“ singen,
sinngemäß natürlich; bei Gelegenheit Hans Zimmer anrufen. Am
anderen Bühnenrand flackert ein kleines Licht auf und gewährt uns
einen kurzen Blick auf eine düstere Gestalt in einem langen Umhang,
der mit düsteren Blicken um sich wirft und leise murmelt. Dann
erlischt das Licht und die Karawane erreicht den Dorfeingang.
HANDLANGER
(eilt zur Königin und schüttelt sie zaghaft): Eure
Majestät!
KÖNIGIN
(schreckt hoch. Zu den ständigen Falten gesellen sich linksseitig
faltige Abrücke ihrer Stehkrause): Hmpf?
HANDLANGER:
Wir
sind im Dorf?
KÖNIGIN
(wird langsam wach): Wo?
HANDLANGER:
Im
Dorf!
KÖNIGIN
(Erkenntnis kriecht schwerfällig über ihr Gesicht und macht
daraufhin langsam durchdringendem Unwillen Platz, ehe ihr die zu
erwartenden Geschenke der Dorfbewohner einfallen): Man
kündige uns an!
GUSTAVO
(leise): Als
ob das hier irgendwem entgangen wäre.
HANDLANGER
(lächelt angestrengt und schweigt, gibt aber den königlichen
Trompetern ein Zeichen. Sogleich erzittert die gefrorene Scheiße
unter dem Tusch, aus dem Inneren der Dorfmauern hört man ein leises
'Autsch!' und ein geflüstertes 'Stell dich nicht so an!' als die
Tänzer und Sänger eilig ihre Nummer abbrechen und versuchen, eins
mit den Fachwerkhäusern zu werden.)
Die
königliche Karawane schickt sich an, in das Dorf zu reiten, langsam
erstirbt das Licht auf der Bühne. Dabei sehen wir wieder das
Flackern am anderen Bühnenrand, die düster beumhangte Figur
verfolgt die Königin mit den Augen, dreht sich schließlich um und
entfernt sich in großen Schritten in die andere Richtung. Vorhang.
3.
Akt, I. Szene
Ein
vollgestopfter Raum. Regale bedecken die Wände, darin Wurzeln und
Töpfe, getrocknete Frösche, Schweineohren, Gläser gefüllt mit in
Flüssigkeit eingelegten, nicht näher zu identifizierenden Tieren.
Mittig schwebt ein großer Kessel über einem leise prasselnden
Feuer, gelegentlich sieht man eine dickflüssige Blase daraus
hervorbrechen. Daneben ein Holztisch mit Stühlen, darauf einige
nackte, hungernde Kinder, die gelangweilt Dreck unter ihren
Fingernägeln hervorpulen und sich bis auf kurze, giftige
Gesprächsfetzen weitgehend ignorieren.
NACKTES,
HUNGERNDES KIND I (nach einer längeren Pause, an Kind neben ihm):
Und
was ist mit Shakespeare?
NACKTES,
HUNGERNDES KIND II (ohne den Blick zu heben): Pah.
Total ausgelutscht. Der wirds nie zu was bringen. Wollte ich gar
nicht.
NACKTES,
HUNGERNDES KIND I (nickt, hält kurz inne, dann leise): Hätten
sie dich denn genommen?
Alle
nackten, hungernden Kinder werden mit einem mal unauffällig sehr
still. Selbst die getrockneten Säugetiere in den Regalen scheinen
sich unmerklich nach vorne zu beugen.
NACKTES,
HUNGERNDES KIND II (widerwillig): …
nein, aber …
Alle
lehnen sich gleichzeitig wieder zurück und ergehen sich in Gemurmel.
Das Feuer scheint wieder lauter zu prasseln.
NACKTES,
HUNGERNDES KIND III (nach ein paar Minuten Pause, in denen alle
schweigend am Tisch gesessen und sich in würdevoller Mimik geübt
haben): Wann
wollte der Idiot nochmal zurückkommen? Und hieß es nicht, für
unser leibliches Wohl sei gesorgt?
Zustimmendes
Gemurmel erhebt sich. Ehe sich jedoch ernsthaft echauffiert werden
kann wird die Tür aufgerissen und eine düstere Gestalt in langem,
dunklem Umhang steht drohend im Raum, der Mantel weht ein wenig im
Wind, der Duft der Exkremente mischt sich mit dem beißenden Odeur
des Kessels (und der getrockneten Tiere). Sie schreitet in den Raum,
wirft die Tür hinter sich zu und zieht sich dramatisch die Kapuze
vom Kopf. Die nackten, hungernden Kinder schnappen unisono nach Luft
und fahren auf, einige von ihnen schlagen sich ihre knochigen Hände
vor den Mund. Das nackte, hungernde Kind rechts außen (V) blickt an
die Decke und schüttelt unmerklich den Kopf)
NACKTES,
HUNGERNDES KIND II: Er
ist so jung!
NACKTES,
HUNGERNDES KIND I: Beinahe
noch ein Kind!
NACKTES,
HUNGERNDES KIND IV: Kaum
zu glauben, dass er bereits ein Zauberer ist!
NACKTES,
HUNGERNDES KIND II: Man
gebe uns zu essen!
NACKTES,
HUNGERNDES KIND V: So
ein Blödsinn hier …
BEUMHANGTE
FIGUR: Ihr
macht das sehr gut. Method Acting, richtig? Ich kenne mich da ja
nicht aus. Und ich bin nur Zauberlehrling, aber vielen Dank.
NACKTES,
HUNGERNDES KIND III: Im
Inserat stand, es gäbe ein Buffet.
Die
übrigen Kinder nicken anklagend.
ZAUBERLEHRLING
(ein wenig unwillig; seiner Statur nach zu schließen ist das Wort
„Buffet“ keines, das es in seinen aktiven Wortschatz geschafft
hat): Später
… wir haben … zu tun. Sie ist angekommen.
Die
Kinder (beim aufmerksamen Zuschauer schleicht sich langsam die
Vermutung ein, dass es sich dabei nicht wirklich
um Kinder handelt) rutschen unangenehm auf ihren Stühlen hin und
her. Der Zauberlehrling durchquert den Raum eilig, nimmt einige Dinge
aus seinen Regalen und steckt sie in die zahllosen Innentaschen
seines ohne Zweifel teuren Mantels. Dann wendet er sich einer kleinen
Kiste zu, die auf dem obersten Regalbrett steht und unheilvoll
wackelt. Gelegentlich springt sie ein wenig, beruhigt sich jedoch in
der Regel daraufhin schnell wieder. Der Zauberlehrling betrachtet sie
einen Moment nachdenklich, dann nimmt er sie entschlossen an sich und
öffnet sie. Ein dumpfer Schein quillt aus ihr und legt sich über
sein kantiges Gesicht. Dann taucht er seinen rechten Arm mit
Nachdruck in die Kiste und zieht ein faustgroßes Wesen daraus
hervor. Wir erhaschen einen winzigen Blick darauf, einige der
nackten, hungernden Kinder schlagen sich erneut Hände vor den Mund.
Nicht einmal Nummer V verdreht die Augen. Dann ist das Wesen im
Mantel des Zauberlehrlings verschwunden, das Licht erstirbt langsam.
Wir hören Wind um die Häuserfront kratzen. Der Kessel ist das
Letzte, das noch zu erkennen ist, dann wird es dunkel.
Dienstag, 23. Dezember 2014
Des Drärchens erster Teil
Vorspiel
Dereinst
im fernen Königreiche
Fand
sich des Tags nach Weihnachten
Die
durchaus reichlich tote Leiche
Mit
vielen Falten in die (einstmals) weiche
Haut
gezeichnet; man muss beachten:
Es
war nicht, was die Leute dachten.
Nicht
Suff noch Elend war der Grund,
Nicht
Wahnsinn oder Ungesund(heit)
Aber
lest selbst, doch seid gewarnt!
Im
trüben Licht des Fackelscheins
Wird
durchaus einiges enttarnt.
Es
folgt ein Weihnachtsdrärchen
„Die
Krone der Königin – gewisse öffentliche Demütigungen in ein paar
(zeichnerisch vermutlich durchaus herausfordernden) Akten und einem
Nachhall“
Unter
anderem treten auf:
Der
Zauberlehrling
Die
Königin
Der
Handlanger
Gustavo
Nackte,
hungernde Kinder
Ein
Monster
Jutta
Ein
uralter Mann
Meger
Vohn
Zwei
dicke Frauen
Ein
kleiner, dünner Mann
Ein
Zierfischer
Zweifelhaftes
Intro
Es
war einmal in einem fernen Königreich eine Königin, die es
regierte, das Reich. Sie war großzügig und gutherzig und wurde von
allen geliebt; ihre Gefolgschaft war ihr treu und würde es immer
sein, daran bestand kein Zweifel. Sie war unermesslich reich, wie
Königinnen das nun mal sind, und trotz allem ließ sie es sich nicht
nehmen, jedes Jahr zu Weihnachten persönlich ihr Volk zu besuchen,
um ihm frohe Weihnachten zu wünschen.
So
auch in diesem Jahr, vor langer, langer Zeit, in einem fernen, fernen
Königreich …
1.
Akt, O. Szene
Im
Dorf, es ist früher Tag, der Morgen bricht gerade
aufmerksamkeitsheischend an und taucht die Szenerie in
orangeflüssiges Licht. Der Zierfischer baut seinen Stand auf, um den
Tag über Zierfische zu verkaufen (er blickt ein wenig mürrisch, die
Geschäfte laufen nicht so gut zurzeit). Der Zauberlehrling geht
leise und vollkommen aus dem Zusammenhang an ihm vorbei und murmelt.
ZAUBERLEHRLING:
Es war einmal in einem fernen Königreiche, gegen Mittag, an der
Eiche …
ZIERFISCHER:
Wie bitte?
ZAUBERLEHRLING
(bleibt einen Moment stehen, hält inne, geht weiter): Ach,
nichts …
Vorhang.
1.
Akt, I. Szene
Wir
befinden uns im fernen, fernen Reich der Königin; im Folgenden
Fernizien genannt. Der Thronsaal prunkt mit der Robe der Königin um
die Wette, die Shakespearsche Halskrause war gerade in Mode gekommen.
Der Handlanger steht angestrengt vor der Königin aufrecht und kann
sich nur mit Mühe davon abhalten, sich müde die Stirn zu reiben,
während die Königin auf dem Thron sitzt und jede ihrer Trauben
einem eingehenden Casting unterzieht, ehe sie sie einzeln verspeist.
KÖNIGIN:
Handlanger?!
HANDLANGER:
Ja, o meine Königin?
Er
schmachtete sie gewohnheitsmäßig an. Nicht, dass der Handlanger
heimlich in die Königin verliebt gewesen wäre, nein, niemals, denn
erstens war er schüchtern und zweitens schwul wie die Nacht schwarz,
obgleich er der Königin eine gewisse Anziehungskraft nicht
absprechen konnte, wenn sie majestätisch ihr knöchernes Gestell
durch den königlichen Schlossgarten schob und dabei gelegentlich
königinnenhaft in ihr Taschentuch hüstelte. Nach ihrer Krönung,
als sie noch eine junge Königin und er ein junger, frischer
Handlanger voller Tatendrang gewesen war, gingen einige Zeit Gerüchte
um über ihn und ihre Majestät. Man erzählte sich, die oberste
Hofstaatsstabsführerin hätte sogar eine Wette mit dem zweitobersten
Hofstaatsstabkommandatenausbilder am Laufen gehabt, dem Gemunkel
zufolge hatten sie um ein königliches Springpferd und eine halbe
Gans gewettet - allerdings ist nie ans Licht gekommen, wer die Wette
denn nun gewonnen hatte, denn kurze Zeit darauf wurde der königliche
Springreitsport gestrichen und dem Hofstaat eine vegetarische Diät
verordnet. Tja, was soll man machen.
KÖNIGIN:
Ich wünsche, dass mir morgen Abend der Graf von Nebenan und seine
reizende Familie Gesellschaft leisten zum Dinner. Oder noch besser
nur der Graf von Nebenan, ohne seine reizende Familie …
Eine
weitere, dunkle Geschichte aus dem Reich verwinkelter, herrschaftlicher Zwiespältigkeiten; der Handlanger seufzte.
HANDLANGER:
Aber eure Majestät, morgen Abend ist doch …
KÖNIGIN:
WAS ist morgen Abend?!
Sie
funkelte ihn an, ihm wurde flau im Magen. Eine Falte ihres Halses
kroch gemächlich über ihren spitzenbesetzten Stehkragen.
HANDLANGER:
Eure königliche Hoheit, morgen ist Weihnachten, und Ihr wisst, was
das bedeutet …
Sich
jetzt bloß nichts anmerken lassen. Er hasste es, sie jedes Jahr
daran erinnern zu müssen und hatte sich schon mehr als einmal
gefragt, weswegen er immer noch königlicher Handlanger war, warum er
es überhaupt geworden war. Er hätte damals die Ausbildung zum
Zierfischzüchter machen, oder gleich mit Gustavo nach Holland
auswandern sollen. Aber nein, sie waren geblieben, er war
Handlanger, Gustavo fühlte sich nach wie vor zur Frau berufen und
trat deswegen eher selten im mittelalterlichen, hofstätischen
Treiben auf, und sein Vater war mittlerweile tot, Herzinfarkt,
nachdem er Gustavo kennengelernt hatte und dieser ihm zur Begrüßung
kokett die Hand zum Handkuss hingehalten, danach höfisch geknickst
hatte und zart errötet war. Und das, wo er ihm so oft gesagt hatte,
er solle es nicht übertreiben; sein Vater war da etwas altmodisch.
Wie
dem auch sei, die Königin funkelte. Dann beruhigte sie sich.
KÖNIGIN:
Ach ja, Weihnachten … Haben sie meinem Hofstaat bereits Bescheid
gesagt?
Das
war auch so eine Sache. Er musste dem Hofstaat im Grunde nicht
Bescheid geben, die einzige Person innerhalb der Schlossmauern, die
Weihnachten vergaß, war die Königin selbst, und vielleicht noch der
Urgroßvater der ersten Schlossgrabenstehers, aber der war auch
hundertundsieben, der Urgroßvater, nicht der erste
Schlossgrabensteher, und hatte Alzheimer. Was zu dieser Zeit noch
eine unentdeckte Krankheit war, aber wen interessiert das schon; den
Urgroßvater des ersten Schlossgrabenstehers zumindest nicht, der
erfreute sich abgesehen davon nämlich bester Gesundheit und lernte
dabei noch jeden Tag neue Leute kennen.
HANDLANGER:
Nein, eure Majestät, aber das werde ich selbstredend auf der Stelle
nachholen, wenn ihr gestattet.
Die
Königin wedelte mit ihrer knöchernen Hand ein bisschen in der Luft
herum, als wollte sie eine lästige Fliege verscheuchen, während
ihre Mimik beschloss, zu proben wie sie sich zu verhalten hätte,
sollte besagte lästige Fliege verschluckt werden. Der Handlanger
machte sich eiligst auf den Weg.
Die
Sache war nun also - der Teil, der es noch unangenehmer für den
Handlanger machte, als es ohnehin schon war, jedes Jahr aufs neue von
der Königin zur Schnecke gemacht zu werden, nur, um daraufhin wie
jedes Jahr am Weihnachtsabend nicht zuhause zu sein, wo er doch
wusste, wie sehr das Gustavo kränkte, kochte er doch jedes Mal,
letztes Jahr hatte er sogar Eierflip gemacht - die Sache war nun
also, der Hofstaat hasste es genauso wie er, am 24. Dezember von der
Königin eingespannt zu werden, um das Volk zu besuchen, für das
sich doch eigentlich weder der Hofstaat noch die Königin
interessierte. Aber wehe, der Handlanger würde sie in einem Jahr
nicht ans kommende Fest erinnern, er wäre seinen Job, und mit
ihm vermutlich auch seinen Kopf, schneller los als sich Gustavo in
eine seiner Designerroben werfen könnte, um zur Hinrichtung zu
erscheinen. Was zur Folge hatte, dass er zunächst alljährlich vor
der Königin schlecht dastand, weil er sie an unliebsame, wenn auch
selbst auferlegte, Pflichten erinnerte, nur um daraufhin vor dem
gesamtem Hofstaat schlecht dazustehen, der natürlich all seinen
Ärger an ihm abließ.
Der
Handlanger fühlte sich miserabel.
1.
Akt, II. Szene
Der
Handlanger begibt sich auf den königlichen Verkündigungsbalkon,
Meger Vohn ihm dicht auf den Versen, der Mann mit der lautesten
Stimme der Welt; ein lautes Organ, ja, nur leider würde nie mehr aus
ihm werden als ein königliches Sprachrohr, war er doch
bedauerlicherweise dumm wie eine Sinkwanne.1Die
Sonne geht langsam unter, auf dem Platz unter dem Balkon tummelt sich
das mittelalterlich berobte Volk und handelt angeregt mit
Bierfässern, Giftpilzen und abgehackten Fingern. Ein Barde steht
etwas abseits und stimmt verzückt seine Laute, auf einer kleinen
Bühne finden letzte Proben statt. Im Hintergrund eine
Hexenverbrennung. Einige Statisten sollten mimisch Gestank
verdeutlichen, u.U. könnte ein ehemaliges Mitglied Monty Pythons
beiläufig am Bühnenrand eine Gans wiegen; aber nur, wenn es nicht
zu teuer ist.
Der
Handlanger räusperte sich. Meger Vohn räusperte sich mit.
HANDLANGER:
Hört, hört…
MEGER
VOHN: HÖRTHÖRT!
HANDLANGER:
Ja, ganz so laut wird es wohl nicht …
MEGER
VOHN: JA GANZ SO LAUT WIRD …
HANDLANGER:
Nein, verdammt, das sollen sie nicht wiederholen!
MEGER
VOHN: NICHT?
HANDLANGER:
Nein. Also, nochmal.
Der
Handlanger fasste sich kurz an die Nasenwuzel und sammelte sich.
HANDLANGER:
Hört, hört!
Nichts.
Er warf Meger Vohn einen skeptischen Blick zu.
HANDLANGER:
Hört, hört!!
Wieder
nichts.
HANDLANGER:
Hören sie mal, Herr Vohn, können wir das jetzt bitte …
MEGER
VOHN: HÖREN SIE MAL HERR VOHN …
HANDLANGER:
Nein, HERRGOTT, hören sie doch zu!
Meger
Vohn blickte schuldbewusst auf den polierten Boden des
königlichen Verkündigungsbalkons und nickte.
HANDLANGER:
Gut, habe ich ihre volle Konzentration?
Meger
Vohn nickte erneut und biss sich auf die Unterlippe. Bitte
lieber Gott, mach, dass das bald vorbei ist. Der Handlanger war noch
nie gut darin, anderen Anweisungen zu geben.
HANDLANGER:
Hört, hört!
MEGER
VOHN: Hört, hört!
Aus
dem Publikum kamen erste genervte Rufe, sie würden ja zuhören, und
ob man jetzt bitte weitermachen könne, das Lustspiel finge gleich
an.
HANDLANGER:
Die Königin lässt verkünden,
MEGER
VOHN: Die Königin lässt verkünden!
HANDLANGER:
Dass am morgigen …
MEGER
VOHN: Dass am morgigen!
Der
Handlanger atmete tief durch. Nicht genug, dass er sich fühlte wie
eine schlechte Zirkusnummer mit Papagei, der Papagei war auch noch
schwer von Begriff.
HANDLANGER:
Könnten sie bitte erst einen Satz abwarten, bevor sie mich
wiederholen?
MEGER
VOHN: Natürlich!
Der
Handlanger atmete einmal tief ein und betont langsam wieder aus.
HANDLANGER:
Dass am morgigen Abend, dem Weihnachtsabend …
Der
Handlanger wartete.
HANDLANGER:
Herr Vohn?
MEGER
VOHN: Ich habe keinen Punkt gehört. Das war kein ganzer
Satz.
Der
Handlanger war kurz davor, handgreiflich zu werden, hielt sich jedoch
eisern im Zaum. Als ob dieser Halbidiot die Interpunktion verstanden
hätte.
HANDLANGER:
Würden sie bitte dennoch wiederholen, was ich gerade gesagt habe?
MEGER
VOHN: Sehr wohl. Äh, könnten sie gerade vielleicht nochmal…?
Es
war zum die Wände hochgehen. Wäre schon bekannt gewesen, dass
Aufregung extrem schlecht für den Blutdruck ist, hätte sich der
Handlanger jetzt wahrscheinlich Sorgen um seine Gesundheit gemacht.
HANDLANGER:
Dass - am morgigen Abend. DEM. WEIH-nachts-abend!
MEGER
VOHN: DAS AM MORGIGEN ABEND DEM WEIHNACHTSABEND
HANDLANGER:
Sich um fünf Uhr eingefunden wird, um das Volk zu besuchen.
MEGER
VOHN: SICH UM FÜNF UHR EINGEFUNDEN WIRD UM DAS VOLK ZU
BESUCHEN.
HANDLANGER:
Bitte bringt Mäntel und feste Schuhe, eventuell einen Esel oder wenn
ihr habt ein Pferd. Frohe Weihnachten.
Damit
verließ der Handlanger das frustrierende Szenario, Meger Vohn hörte
er noch, als er seine Schlafgemächer erreicht hatte.
Handlanger
ab, Meger Vohn verbleibt noch ein Weilchen auf der Bühne und erfreut
sich nutzloser Sinnlosigkeiten.
1 Und
erfand 13 Jahre später, nachdem die Monarchie endgültig abgeschafft
und durch eine Diktatur ersetzt worden war und die Gänsezucht sowie
der Springreitsport wieder aufgenommen wurden, das Megafon und wurde
der reichste Mann der Welt. Und das, obwohl er seiner Zeit das
Studium abgebrochen hatte.
Mittwoch, 10. Dezember 2014
Apocalypse in an empty theatre
Die Stimmen schweigen beharrlich und mit einer gewissen Penetranz in den Äther hinein. Irgendwie hat man gelernt, ihr Schweigen zu ignorieren und so zu tun, als wäre das Leben etwas ganz normales ohne sie, obwohl man natürlich weiß, dass es das nicht ist, dass es nicht normal ist, sein Leben in Uniräumen und Clubs zu verbringen, nicht, wenn man man selbst ist, nicht in diesem Dasein. Trotzdem funktioniert es momentan und es funktioniert ganz gut, auch wenn man spürt wie sie unruhig werden, die Stimmen, sie räuspern sich ein wenig nervös an guten, demonstrativ an weniger guten und einfach gar nicht mehr an schlechten Tagen. Let's face it, Schweigen ist scheiße, inneres wie äußeres; die Menschen müssen mehr kommunizieren, ob mit sich oder anderen sei jetzt mal dahin gestellt.
Die emotionale Sinuskurve schwingt, steil und mit unangenehmen Spitzen oben und unten versehen, immer wieder an den stummen Stimmen vorbei, hoch und runter, mehr runter als hoch. Ab und zu nimmt sie dabei ein paar willkürlich aneinandergereihte Worte mit und wirft sie aufs virtuelle Papier, manchmal auch auf echtes, lang lebe das unkaputtbare Analogicum, die Analogue Humanities freuen sich. Trotzdem - irgendwann wird man von innen heraus zerspringen, als sei man mit Porzellan ausgekleidet gewesen, zurück bleibt eine Schale, zäh vom Wind, aber jederzeit bereit, in sich zusammenzufallen, zu implodieren und sich in Rauch aufzulösen, man weiß es. Vielleicht sollte man über eine Pause nachdenken. Aber Weihnachten kommt, diese durchtriebene Kollaboration der Geschenkpapier-, Buch-, hässliche Krawatten-, Schokoladen- und Bildungsindustrie. Perfide. Bis dahin: weiteratmen und Frauenzeitschriften meiden; im Zweifel für das Katzenvideo (honestly, we need all the warm and fuzzy happiness we can get. Desperately. Anyone offering [asked the vultures and stopped gnawing on the leathery, dead bones that used to be their souls while looking up; eyes too wide and bloodshot; nervously twitching eyelids, pinkish rims above blueish rings]?).
Weitere Fakten, die zu beachten wären:
1) The unicorn is not a unicorn. It's a donkey with a plunger stuck to its face.
2) Ein voller Kühlschrank macht mich genauso nervös wie ein leerer.
3)Everyone knows how to talk, and no one knows what to say.
Im Folgenden lustige Anekdötchen zur Auflockerung und allgemeinen Erheiterung der Massen.
Anfang Dezember
Kapitel 1, die Neunzehnte
Man steht auf der Brücke über der Autobahn und sieht weißen und roten Lichtern beim Dasein zu. Pink Floyd untermalt den kleinen Ausflug mit einer Untertasse voller geheimer Dinge, an der man sich festhalten kann; an Geheimnistuerei und aufgesetztem Lächeln, man lebt aneinander vorbei, während keiner sagt, was er denkt, sondern stattdessen höflich zur Seite tritt; nein, natürlich ist das in Ordnung, darfs auch noch die andere Wange sein und vielleicht eine Extrascheibe für die lieben Kleinen?
Die Knie frieren von innen an der Strumpfhose fest. Wäre man obdachlos stünden die Chancen gut, in der Nacht draufzugehen. Ist man aber nicht. Auch wenn man manchmal den Eindruck hat, in der kosmischen Hackordnung nicht deutlich weiter oben zu stehen, man versucht es ja, aber irgendwas läuft da schief, mentale Obdachlosigkeit, vielleicht sollte man eine Petition starten oder wenigstens einen Häkelkurs belegen.
Das neue Leben ist knapp zwei Monate alt und schläft nicht durch. Man ist sich noch nicht ganz sicher, wie sehr man es mag, oder ob überhaupt - das heißt, nein, man mag es, wie man Kinder wohl mag, wenn sie selbst gemacht sind, man ist ja quasi verpflichtet. Und im Grunde wollte man das ja alles auch, nur manchmal ist es anders als man dachte. Trotzdem macht man weiter und irgendwie beugt man sogar der Instantdepression vor, meistens, die sich alle zulegen, die sich keine aus ganzen Bohnen leisten können. Im Großen und Ganzen aber ist es schon okay, man hält sich über Wasser, und das neue Leben wird ja auch irgendwann älter; zurzeit scheißt es noch recht viel und auch gerne an der Windel vorbei. Über kurz oder lang aber sollte sich das ändern, das Zahnfleisch ist ja auch eher schlechtes Gehwerkzeug, das wussten wir aber auch schon vorher. Also schieben wir Literatur zwischen uns und die Welt, um nicht daran verrückt zu werden (der Welt, that is) und das Man zwischen das Ich und den Text, um nicht über sich selbst zu sprechen (was man natürlich doch tut, wen wollen wir hier eigentlich verarschen). So richtig davon ablenken, dass man den Eindruck hat, auf der Stelle zu treten, kann das aber auch nicht. Stellt sich nur die Frage: hat man nur den Eindruck, oder ist dem wirklich so? Man weiß es nicht, man weiß es nicht. Was man weiß, ist dass sich die Einstellung stetig ändert und einen damit vermutlich recht effektiv daran hindert, Klarheit über irgendwas zu bekommen, seis jetzt Leben oder Studieren oder der übrige Mist, was bleibt da noch, weiß man auch nicht, irgendwas wirds schon sein, hofft man. Auch wenn man merkt, dass man eigentlich nichts anderes macht. "Leben" ist ja auch ein recht weit gefasster Begriff, das muss man schon zugeben, doch.
Vielleicht sollte man einfach aufhören, nachzudenken. Gelegentlich sortiert man die angesammelten Zettelwerke der vergangenen Jahre aus und findet immer wieder folgendes: a) Entscheidungsbäume. Und b) Erinnerungen an rare, klare Momente. Kürzlich unter besagter Rubrik gefunden: Don't think. Just DO.
Gesagt, nicht getan. Man ist sich vage darüber bewusst, dass sich nicht viel am Gesamtzustand ändern wird, wenn man jetzt sein Leben nimmt und über den Haufen wirft. Haben wir schon circa acht Mal getan, hat uns nie zum Menschen des Jahres gemacht. Sollte unterlassen werden. Sagt man jetzt.
Wäre doch aber so nett, sagt man dann morgen.
Oder vielleicht lieber doch nicht?, übermorgen.
Im Grunde ist es ja eigentlich ganz in Ordnung so wie es gerade ist. Letztendlich wird man nie das richtige finden, das perfekte. Und das weiß man eigentlich auch. Das sagt sogar die Literaturwissenschaft (na, dann ...).
Aber, aber! ruft das kleine Männchen im Hinterkopf und springt mit Anlauf und Elan mit den Füßen auf den Boden, stampft quasi stereo, und fuchtelt mit den Armen. Jajaja, sagt man und winkt ab. Irgendwie ist man über die Jahre zu müde geworden, um noch auf das Männchen zu hören, den Gnom, der nur darauf wartet, mal wieder so richtig einen drauf zu machen, wenn man gerade nicht hinschaut. Bevors uns noch zu wohl wird hier. Irgendwie hat man sich wohl doch entwickelt, auch wenn man es aus dem Moment heraus vielleicht nicht sehen kann (oder will). Es könnte ja doch durchaus sein, dass man ein, zwei Dinge richtig gemacht hat in seinem Leben. Die Masse der Dinge, die diesen zwei gegenüber stehen, wirkt aber immer noch so anheimelnd wie die Sohle des Wanderstiefels von unten auf die Ameisenkarawane wirken dürfte, man fühlt sich irgendwie fad und zäh wie alter Kaugummi. Du hast doch noch das ganze Leben vor dir! orakelt Omma demgegenüber und man ist sich nicht ganz sicher, ob man lachen oder weinen soll deswegen, und entscheidet sich dafür, beides gleichzeitig zu tun, leichte Schräglage zur Hysterie, was soll man da nur machen [Umziehen! Umziehen! kreischt das Männchen. Wir schweigen und nehmen einen wohl überlegten Schluck Wein.].
Vielleicht sollte man einfach ins Bett gehen. Oder mehr Wein trinken. Oder beides. Vielleicht sollte man sich nachts nicht auf Brücken stellen und dabei Pink Floyd hören (hey, sie lag auf dem Weg, ja). Vielleicht sollte man einfach mal aufhören, so viel nachzudenken, und einfach machen. Vielleicht kommen wir dann ja irgendwann wirklich zu Kapitel zwei.
Immer noch Anfang Dezember, später.
Mäandernde Gedanken running rampant.
Auch nachts sind Schäfchenwolken am Himmel, nur dunkler
Spätestens wenn man merkt, dass man sich selbst nicht mehr mag manchmal sollte man vielleicht mal über Reklamation nachdenken. Oder, Renovierung -
Glück ist, wenn man morgens aufsteht und weiß, warum.
Glück ist, wenn man morgens gar nicht erst aufstehen muss.
Glück ist, wenn man zu spät an den Bahnhof kommt und merkt, dass der Zug auch Verspätung hat.
Glück ist eine Flasche Rotwein.
Glück ist ein lieber Mensch, der tatsächlich freiwillig seine Zeit mit einem teilt und das, obwohl er bereits gemerkt hat, was für ein hoffnungsloser Weirdo man ist.
Glück ist, ein Dach über dem Kopf und genug Geld zum leben zu haben.
Glück ist -
zu merken, was für ein Glück wir eigentlich haben, diesen Mist hier lesen zu können, diesen Mist schreiben zu können, die Zeit zu haben, uns mit Unwichtigkeiten wie Blogs zu beschäftigen.
Glück ist der richtige Film zur richtigen Zeit, die richtige Musik im rechten Moment; Glück ist jetzt, ob ich es glaube oder nicht.
Glück ist, Dinge wieder tun zu können, die man bereits abgehakt hatte. Glück ist, jemanden zu finden, der mit einem weglaufen würde, um den Rest zu vergessen, nur nicht bleiben, gehen, ohne zu sagen, warum -
Glück ist - jetzt. Mehr als sonst, mehr als zuvor. Auch wenn man es nicht merkt, nicht wahrhaben kann oder will, nicht sieht, schmeckt oder riecht - hier, das ist Glück. When the lucky break hits it's like being Cinderella and hopefully midnight doesn't come.
Glück ist glauben ans Warum. Glück ist eine durchwachte Nacht in der Großstadt. Glück ist der Sonnenaufgang, der darauf folgt. Glück ist das Meer und der Verkehr, der an der Ampel steht, die Musik, die durch die Nachtluft hallt, Glück ist, ganz vorne an der Theke zu stehen und Glück sind Freunde, die einen auffangen, wenn das zu oft vorkam in einer Nacht. Glück ist der seltene Vogel, der sich auf deiner Schulter niederlässt, ein paar Takte in dein Ohr singt und weiterfliegt - Glück ist weglaufen und ankommen und wieder weiter gehen. Glück ist die Suche und nochmals die Suche; und wenn ich jemals behaupte, gefunden, gefunden, zu haben, dann schlagt mich, schlagt mich weich wie Kompott, denn niemand findet, niemand weiß - Glück ist die Unwissenheit und der Zweifel und die Aussicht auf mehr, mehr Leben, mehr Menschen, mehr Welt; denn nichts wenn nicht das spornt uns an, weiterzumachen.
Glück ist JETZT; Glück ist immer irgendwo, irgendwie. Nur meistens sieht man es nicht.
-
Die Sinuskurve. Vereinzelte Blätter hängen noch stoisch am Zweig und wehren sich aufmüpfig gegen das Fallen, sieben Stockwerke, wer kanns ihnen verübeln. Das Geschrei auf dem Fussballfeld ist abgeebbt, vielleicht kommen sie später wieder. Alles wird ganz leise und der Tee wird kalt.
Und ob ihrs glaubt oder nicht, die Dämonen, die an meinem Fenster kleben, wollen auch nur leben.
*salutes.
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