Sonntag, 2. Januar 2011

One more time

Draußen sinken vereinzelte Schneeflocken leidenschaftslos zu Boden. In den meisten Haushalten packen die weiblichen Angehörigen ein Arsenal der diversen Diätgurus aus, die diese unsere Welt da so zu bieten hat. Im Fernsehen laufen ausschließlich Filme, die mindestens 15 Jahre alt sind und die auch damals schon niemanden interessiert haben. Die Bildungswütigen unter uns realisieren, dass jetzt definitiv die Ausreden ausgehen, weswegen nicht gelernt werden kann und die übrigen kotzen sich einfach so an. Denn, oh treue Freunde des alkoholisierten Schwankes auf schwingenden Böden, es ist Neujahr.
Jedes Jahr aufs neue wird uns diese perfide Hinterhältigkeit reingedrückt- man arbeitet gefühlte Monate auf diese zwei Tage hin, die sich da Weihnachten und Silvester nennen, und bumm, sind sie vorbei. Aber anstatt dann ein bisschen Verschnaufpause zu haben, um zu akzeptieren, dass das alter Jahr passé ist, sich zum sterben in eine dunkle Höhle verzogen hat und abgetreten ist, den Löffel abgegeben hat, die Radieschen von unten anschaut, ja, quasi ein Ex-Jahr ist- stattdessen müssen wir uns gleich mit einem neuen rumärgern. Mit einem neuen, schrecklich jungen, motivierten und idealistischen Jahr, das uns versucht einzureden, dass dieses Mal alles anders, alles besser wird, dass wir mehr Geld haben und die Liebe unseres Lebens finden werden und endlich dem konsequent verstopften Abfluss im Badezimmer den Stinkefinger zeigen können.
Jedes Jahr das Gleiche. Dabei fühlt man sich doch in den ersten Tagen nach Silvester eigentlich ganz anders, zwischen dem ersten und dem vierten Januar zumindest, in etwa. In diesen paar ersten Freshmen Tagen des neuen, hibbelig auf und ab wippenden Jahres wird einem bewusst, dass die Zeit vergeht, EGAL was man tut, selbst, wenn man immer noch nicht großartig geworden ist. Immer noch Zweifel hat. Und immer noch nicht so ganz genau weiß, wer man eigentlich ist, ob man lieber in Heidelberg oder Manhattan leben will und wieso man sich das alles eigentlich überhaupt antut, die Sache mit dem Leben und der Selbstfindung. Im Großen und Ganzen herrscht in den ersten Tagen nach Silvester ein posttraumatischer Ausnahmezustand; wir werden ohne gefragt zu werden von einem Jahr zum nächsten geschubst, obwohl die Laune doch mehr nach Anhalten und mal drüber nachdenken ist, bevor man gleich wieder mit den über die Feiertage erfolgreich verdrängten Pflichten des drögen und und debil grinsenden Alltags bedrängt wird. In gewisser Hinsicht ist Silvester da wie Geburtstag haben.
In jedem Fall aber geht es Anfang Januar eher schleppend voran; nicht mal die Schneeflocken haben die Muse, vernünftig zu fallen, und die Sache mit den Diätgurus, liebe Damen der Schöpfung, wird doch eh nix, nur, weil gerade Neujahr ist. Genauso hört man nicht leichter auf zu rauchen und fängt an mehr Sport zu machen, schafft es nicht mehr zu vergessen, die Katze zu füttern oder schreibt endlich einen langgehegten, zumeist in Gedanken, Roman fertig, nur weil es gerade zufällig der erste Monat des Jahres ist. Und trotzdem nehmen wir uns immer wieder Dinge vor, die DIESES Jahr ganz sicher klappen werden. Denn irgendwie, neben sämtlichen Verpflichtungen, die wieder auf uns eindröhnen und uns nicht in Ruhe lassen wollen, bringt das neue Jahr doch auch ein gewisses Gefühl des Generalablasses. Gut, 2010 hat mich nicht großartig gemacht- nehmen wir eben 2011. Und sobald die ersten, schwierigen Tage nach der Geburt des Jahres vorbei sind, fühlen wir uns ja auch ganz gut damit und lassen uns von der hektischen, verstrahlten Begeisterung mitreisen, die das frische Jahr verströmt. Denn, ist sämtlicher Alkohol der Neujahrsnacht erst einmal abgebaut, der erste Schock über den Rückzug ins echte Leben verarbeitet und ein vager Plan gefasst, dann fühlt es sich doch eigentlich ganz gut an, der theoretische Neuanfang, der uns vom Januar vorgegaukelt wird.
Und schön wars ja doch auch, oder? 2010, meine ich. Bedeutend erfolgreicher und im allgemeinen sinniger als 2009, zumindest in meiner Welt. Es gab wenig zu bereuen, nicht mal die Neujahrsnacht gab Anlass (vgl.2009...), nur vielleicht ein kleines bisschen, aber eher wegen Dingen, die NICHT getan wurden. Na, wir haben ja schon ein neues Jahr, da kann man das ja nachholen-
Abschließend lässt sich sagen: das Gehirnzellenmassaker von 2010 hat stattgefunden! Und nun: One more time...

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen