Samstag, 15. Januar 2011

If the world's not gonna remember you-

-it was all a waste of time. 'Cause what happens in the world is all that matters.

Der radikale Wandel desjenigen, der nicht mehr er selbst sein will. Der sich fragt, ob er sein Leben auf die richtige Art und Weise lebt. Der sich und sein ganzes Dasein in Frage stellt. Der festgestellt hat, dass es so nicht weitergehen kann und alles anders machen will.
Die dokumentarische Aufzeichnung des tiefen Falls von einem, der alles hat und es dennoch anders haben will, der dafür scheinbar alles aufzugeben bereit ist, sein erfolgreiches Leben, das als einengend empfunden wird, seine engsten Freunde, denen misstraut wird, seine geistige Gesundheit, die sich zu verabschieden scheint...
"I'm still here" ist ein großartiges, filmisches Meisterstück, das einen aufsaugt und bis zum bitteren Ende nicht mehr losläßt. Man sieht dabei zu, wie Joaquin Phoenix ketterauchend, Kokain aus dem Versteck im stets getragenen Sonnenbrillengestell schnupfend, bärtig, haarig und im großen und ganzen ein wenig aus dem Leim gegangen durch sein Leben nuschelt, seine Schasupielkarriere an den Nagel hängt und sich dem Hip-Hop zuwendet. Und dabei auf ganzer Länge versagt...
Der Film ist streckenweise lustig. Allerdings auf eine ein schlechtes Gewissen produzierende Art und Weise, da die meisten humorvollen Momente auf Kosten Joaquin Phoenix' gehen.
Je weiter man aber über den Zenit des Films hinausgeht, desto mehr tut es weh, dem Geschehen auf der Leinwand zuzusehen. Man leidet unglaublich mit diesem Wesen dort vorne, das einst die Oskarnominierungen sammelte und nun scheinbar den Verstand zu verlieren droht, zerbrochen am eigenen Ruhm, getrieben und unglücklich bis ins Knochenmark. Das sich hinter seinem Vollbart versteckt, die Kippe schief im Mundwinkel hängen hat und seinen engsten Vertrauten derartige Beleidigungen an den Kopf wirft, dass sich einem die Frage aufdrängt: wen hasst du so sehr, dich oder ihn?
Zutiefst demütigende öffentliche Auftritte, die einem die Tränen in die Augen treiben, zusammen mit dem verzweifelten Hauptprotagonisten, I've fucked up my fucking life, dude, und wir fühlen mit dir, wir können gar nicht anders.
Dieser Film ist großartiges Kino, ist Kunst, die ihresgleichen sucht.
Das Bedürfnis, Großes zu tun, sich selbst so präzise zu definieren, dass man ganz man selbst ist, oder zumindest von der Welt dafür gehalten wird, nur, um auf einmal ALLES zu zerstören, in dem Glauben, es würde schon richtig sein. Die Panik, die aufsteigt, wenn man merkt, dass dem nicht so ist.
Und, letztendlich, die Frage:

Ist das jetzt alles wirklich so, oder einfach eine geniale Mockumentary?

Im Grunde ist es doch aber auch egal. Ob Joaquin Phoenix, oder auch JP..., nun wirklich zugrunde geht oder nicht. Das heißt, nein, natürlich ist es das nicht. Dieser bärtige Mann, der uns dort gezeigt wird, ist so zerstört, so verletzlich, dass es einem das Herz bricht. Während quälende Szenen gezeigt werden, in denen das ganze letzte Selbstvertrauen eines erwachsenen Mannes durch eine simple Frage P Diddy's zunichte gemacht wird, oder der ehemals gefeierte Superstar bei Letterman seine Würde zusammen mit dem ausgespuckten Kaugummi unter den Tisch klebt, wünschen wir uns NICHTS AUF DER WELT mehr, als dass die Dokumentation eben dies nicht ist, eine Darstellung realer Tatsachen.
Doch selbst wenn es so wäre- er wäre nicht der Erste, der fällt. Und im Großen und Ganzen vermittelt der Film, was auch immer er tatsächlich vermitteln will; den Untergang des Stars, die Verrücktheiten einer vom Ruhm gezeichneten Welt, die Art, auf die Joaquin Phoenix' Haare verkleben, nachdem er sie drei Wochen nicht gewaschen hat- was auch immer die exakte, subtil von den Machern erdachte Message dieser Glanzleistung sein mag, sei es nun echt oder nicht- vom bloßen Ansehen kann man nicht unterscheiden und verneigt sich innerlich vor der unglaublichen Leistung, die einem dort gezeigt wird.
Schauspieler versetzen sich weit hinein in ihre Rollen, um sie glaubhaft zu verkörpern. Aber so tief, so unbedingt und kompromisslos, dass die Rolle, die das eigene Leben zeigt, wenn auch auf verquere Weise, zur tatsächlichen Realität wird? Oder ist die Realität, die der Welt gezeigt wird, gar nicht die wahre Realität? Wie unterscheidet man als Schauspieler, wenn einen bereits alle Welt für übergeschnappt hält? Ist man vielleicht übergeschnappt? Ist vielleicht doch alles real? Wenn nicht, wie bleibt man in der Rolle? Wie, zur Hölle, fällt man nicht aus seiner Rolle, wenn ganz Amerika zusieht und das einzige, das man denkt, eventuell folgendes ist: was mache ich, wenn mich nach diesem Stunt tatsächlich keiner mehr haben will ?

Der Film gibt darauf keine Antwort; und in dem Moment ist es auch völlig egal. Der Mann auf der Leinwand ist am Ende und wir sind es mit ihm- und letztendlich zählt auch nur eins; zumindest vorläufig, bis wir wieder neue Kraft geschöpft haben, um unglaublich zu werden und unsere Spuren auf der Welt zu hinterlassen: ob wir nun gut oder schlecht sind, das Richtige getan haben oder nicht, uns auf dem Gipfel oder am Boden des Abgrunds befinden:

I'm still here, through all these years- I'm still real-
Bitch.

Und am Ende der Vorstellung applaudierte der ganze Saal.

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