Mittwoch, 17. März 2010

Crazy Life

Die letzten Jahre über habe ich mich immer wieder gefragt, ob das, was ich tue, Sinn macht. Ob 'Kunst' Sinn macht. Was zur Folge hatte, dass meine Kunst darunter gelitten hat, bis sie fast daran gestorben wäre, an dieser weit verbreiteten Krankheit, die sich 'Vernunft' nennt.
Man beginnt sich Gedanken über seinen Lebenswandel zu machen, wenn der Freundeskreis vernünftige Dinge studiert, vernünftige Berufe lernt, ja gar geregelten und unglaublich vernünftigen 9-to-5 Jobs nachgeht. Was jetzt vielleicht abschätzig klingt, aber nicht so klingen soll- das Konzept der globalen Unvernunft sollte um unser aller Willen wahrscheinlich nicht in die Tat umgesetzt werden; das der allgemeinen Vernunft allerdings auch nicht.
Trotz allem ist es manchmal schwer, man selbst zu sein, wenn man schon zum fünften Mal in drei Jahren umzieht und man sich dafür seiner Umwelt gegenüber rechtfertigen muss, obwohl es sich in einem selbst völlig natürlich anfühlt, weil es einfach so sein MUSS. Selbstverständlich muss man sich nicht jedem gegenüber rechtfertigen, aber immer noch gegenüber genug, um sich irgendwie unangepasst zu fühlen. Dann die Ausbildung. Der Regelfall heißt: Schule- eventuell Dienst- Studium/Ausbildung- Job. Meinen Werdegang will ich hier jetzt nicht detaillierter ausführen, mehr Umzüge als Jahre ist allerdings das etwaige Grundmuster, das sich auch auf alle anderen Bereiche anwenden lässt, und wir fühlen uns wieder unangepasst und irgendwie erfolglos, weil die Gesellschaft mittlerweile nur noch Leistungen in Form unterschriebener und beglaubigter Dokumente diverser Bildungseinrichtungen oder ähnlichem anerkennt- kein Mensch kümmert sich noch um Lebenserfahrung, wo man doch mit 22 schon seinen Doktor, 6 Praktika, zwei Auslandsaufenthalte und mindestens drei Jahre Berufserfahrung braucht.
All diese Umstände machen es einem also recht schwer, sich mit seinem Wesen, das so überhaupt nicht den Konventionen entsprechen will, zu arrangieren, man versucht sich die Vernunft anzuerziehen und verkauft dafür seine Seele.
Man stellt sich also die Frage: Wer braucht die Kunst?
Brauchen wir Musik, wie wir Medizin brauchen?
Brauchen wir großartige Regisseure, wie wir Ärzte brauchen?
Sind bildende Künstler so wichtig wie Lehrer?
Die erste Antwort, die einem in den Sinn kommt, ist -logischerweise- nein. Und selbst die, die jetzt mit Ja geantwortet haben, würden sich ihre Antwort gegebenenfalls noch mal durch den Kopf gehen lassen, wenn sie auf dem Sterbebett liegen und die Wahl zwischen Quentin Tarantino und Superdoc Prof.Dr. XXX haben. Und ich? Ich habe genau die Antwort gegeben, die jeder gibt: die Kunst ist nicht so wichtig, warum tue ich das? Man will Großes schaffen, man will, dass sein Leben etwas bedeutet- kann man mit einem der Vernunftsparte entsprungenen Beruf nicht so viel mehr erreichen?
Natürlich kann man das, man kann viel erreichen, aber wer sagt, dass man es mit der Kunst nicht kann?
Ich komme gerade aus dem Kino, Crazy Heart. Und nachdem ich nun also Jeff Bridges fast zwei Stunden dabei zugesehen habe, wie er alle Register seines Könnens zieht, wie er einem zeigt, wie es ist beinahe 60 zu sein, Alkoholiker zu sein, die letzte große Chance seines Lebens zu verpassen, am Boden zu sein, kotzend über dem Klo zu hängen und vor Verzweiflung sterben zu wollen- nachdem ich das gesehen habe, bin ich aufgewacht.
Die Kunst reflektiert das Leben. Jede Kunst. Ein kluger Mann namens Nietzsche sagte einmal "Wir haben die Kunst, damit wir nicht an der Wahrheit zugrunde gehen", und damit hat er recht. So recht. Ich habe im Kino gesessen und musste krampfhaft unterdrücken, loszuweinen, genau genommen muss ich das jetzt, wenn ich darüber schreibe, immer noch. Dieser Film spiegelt eine von vielen, melancholischen, traurigen, verzweifelten und gleichzeitig immer noch hoffenden Realitäten wieder, die dieses Leben bietet, und genau deswegen geht er uns so nahe, genau deswegen können wir es nicht ertragen und trotzdem nicht genug davon bekommen, wenn Jeff Bridges allein auf seiner Veranda 'Pick up your crazy heart and give it one more try' singt.
Und genau wegen dieser Momente ist die Kunst genauso wichtig wie es Ärzte und Medizin und Lehrer und Anwälte und alle anderen wichtigen und ernsthaften Berufe dieser Welt sind- denn, die Kunst mag zwar vielleicht nicht immer vernünftig sein, aber ernsthaft ist sie allemal, ernsthaft am Leben und an den Menschen, die sich darin befinden, interessiert. In Momenten, in denen keine Pille der Welt helfen kann, kann Musik Wunder bewirken. Ein einziges Buch kann mehr Wissen über das Leben vermitteln als 13 Jahre Schule. Ein einziger Film kann die Welt eines verwirrten Menschen wieder gerade rücken- ein einziger, großartiger Film, der dir sagt: du bist nicht allein, und es ist es wert. Die Möglichkeit, auch nur einem Menschen die Augen zu öffnen, einen Menschen glücklich zu machen, einen Menschen die Gänsehaut spüren zu lassen, die einem nur die Kunst zu vermitteln mag- das gibt jeglicher Kunst Berechtigung, die Berechtigung, ja, den Anspruch, ausgeübt zu werden, gelebt und geliebt zu werden, selbst, wenn man dafür durch alle Raster fällt.
In diesem Sinne, tut euch was Gutes und schaut euch Crazy Heart an. Und lebt euer Leben, wie IHR es leben wollt, und nicht wie ihr glaubt, es leben zu müssen.

Love, I

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