Dienstag, 1. Dezember 2009

Mach's gut, Realität.

Ich gestehe: soeben habe ich Twilight Nummer vier beendet, auch bekannt als 'Breaking Dawn', irgend nen deutschen Titel hats glaub ich auch... naja, wir wissen, was ich meine. Den letzten Band einer Vampirsaga, die wahrscheinlich mehr Mädchen hat verzweifeln lassen, beglückt und berauscht verzweifeln, wohl gemerkt, als Seiten bedruckt wurden, um diese Bücher an den Mann, respektive eher die Frau, zu bringen.
Hey, ich kann euch hören! Euer Geseufze, da, am anderen Ende, aber JA, ich stehe dazu, ich habe mitgefiebert und mitgefühlt und mitgetrauert... und alles, ja! Und NEIN, ich schäme mich nicht für derartige literarische Entgleisungen, ich muss Bella und Edward nicht aus Prinzip uncool und nicht lesenwert finden, nur weil es alle lesen, ich muss mich nicht gegen den Büchermainstream meiner Zeit wehren, nur weil er Mainstream ist- genausowenig wie ich es ablehne, derartige Bücher zu lesen, nur weil sie in die Kategorie Unterhaltung eher passen als in die Kategorie anspruchsvoll.
Wer will denn immer nur Anspruch?
Klar, mit Joyce und Tolstoi lassen sich die Bücherregale bewunderungsheischender füllen als mit Stephenie Meyer und J.K.Rowling, und?
Die Realität sieht selbstverständlich anders aus; ja, tut sie das denn? Beweise?
Und außerdem: MUSS ich mir ständig die so genannte Realität geben, ist es nicht schlimm genug, dass ich jeden Tag in ihr leben muss, kann ich ihr da nicht auch mal für ein paar Stunden am Tag entfliehen, indem ich in der Traumwelt eines Buches weiterlebe? Was würde mir das Buch bringen, würde es mir nur die gleiche Verzweiflung, die gleiche Einsamkeit, Krankheit und Tod und den ganzen Müll, der unser Leben überschattet, zeigen, mit dem ich sowieso Tag für Tag konfrontiert bin?
Zudem: hat es nicht vielleicht einen Grund, liebe Zweifler, weswegen Twilight oder Harry Potter weltweit erfolgreich waren und sind, und das weitaus mehr als andere Bücher?
Ja, natürlich. Effi Briest war auch mal ein Renner. Der Vorleser ist durchaus empfehlenswert, obwohl wahrlich wenig erbaulich. Ulysses ist bestimmt ein Meisterwerk... schafft man es, während der Lektüre nicht alle zwei Seiten den Faden zu verlieren oder einzuschlafen.
Aber, ganz im Ernst: das Gefühl, gute Freunde zu verlieren, wenn man das Buch zuschlägt, hatte man bei Effi nicht. Verwandelte Käfer werden auch selten vermisst nach Beendigung der Lektüre, genausowenig wie dramatisch in den Fluten irgendeines amerikanischen Badeörtchens zugrunde gehende Frauen reicher Männer aus New Orleans.
Ok, ja. Es GIBT wirklich gute Bücher, die auch anspruchsvoll sind. Keine Frage. Aber hat einer hier bei Cabale und Liebe auch nur eine Träne vergossen, hä? Ich nicht.
Während andere Geschichten... nun, hiermit sei ich geoutet, ich habe tatsächlich geheult bei Twilight. Also, nicht all zu oft, gelegentlich war der prozentuale Schmalzanteil einfach zu hoch, aber ab und an... und ja, auch bei Harry Potter. Aber nur im siebten Band. Glaube ich.
Was ist es jetzt also, das Edward, Bella, Harry und Hedwig so viel verlockender, und somit kommerziell erfolgreicher, macht als das Effi und Crampas waren?
Der Abschied von der Realität. Die Dramatik. Die übermenschlichen Kräfte unserer Protagonisten, die einerseits so normale Leben führen, und gleichermaßen so anders sind, so viel stärker als wir das sind. Die in einer so wundersamen, wenn auch meistens eher etwas unsicheren und unheilvollen Welt leben, UND dazu meistens dann auch noch diejenigen verkörpern, die dem Unheil ein Ende machen. Die Helden sind.
Sehnen wir uns nach Helden? Nach Personen, die uns von unserem Elend des Alltags befreien?
Wahrscheinlich. Wobei allerdings Bruce Willis so oft langsam sterben kann wie er will, um nebenbei die Welt zu retten; er wird NIE so aufregend sein wie ein Harry Potter, weil der gute Bruce in der "echten" Welt lebt, während Harry uns mit jedem Buch erneut die Tür zu einer anderen Welt geöffnet hat, genauso wie der Cullen Clan das tut, uns immer wieder aus den Fängen der Realität befreit, auf heroischste, übermenschlichste Art und Weise; gleichermaßen aber eben doch auch noch die "Welt" rettet- quasi zwei lebensrettende Maßnahmen zur gleichen Zeit.
Unter diesem Blickwinkel frage ich mich doch: wer seid ihr, die ihr gute Bücher, da lebensrettende Bücher, verteufelt, nur weil sie sich gut verkaufen und die Geschichte wahrscheinlich noch jeden letzten, von Hollywood übrig gelassenen, Sinn für vernünftige, da nicht unmögliche, Beziehungen zerstört?
Ich wills gar nicht wissen. Es ist mir egal. Ich lese diese Bücher und lebe glücklich in meiner Traumwelt, in der steten und bekloppten Hoffnung, irgendwann noch den Brief aus Hogwarts zu bekommen oder WENIGSTENS gebissen zu werden von einem wunderschönen Gentleman aus dem 18. Jahrhundert. Und wenn die nächste Serie fantastisch unrealistischer Bücher auf den Markt kommt, werde ich diese auch lesen und glücklich sein, der Realität für eine kleine Weile entkommen zu können.

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